Würzburg (POW) Die Weihe eines Bischofs hat ihre ganz eigene Liturgie. Ein zentraler Bestandteil ist das Auflegen eines Evangeliars: Zwei Diakone halten dabei dem erwählten Bischof das Evangeliar über den Kopf, um deutlich zu machen, dass der neue Bischof das, was er verkündet, auch mit Leben erfüllt. Ulrich Boom hat sich für diesen Teil seines Weihegottesdienstes am 25. Januar ein besonderes Evangeliar ausgeguckt: Das Exemplar, das ihm während seiner Bischofsweihe von den beiden Diakonen Andreas Freund und Gerd Mergenthal über den Kopf gehalten werden wird, hat Boom während seiner Zeit am Priesterseminar selbst abgeschrieben. Doch fast hätte dieser eindrucksvolle Teil der Weihe so nicht stattfinden können. Das Werk war über Jahre hinweg verschwunden – bis es an einem Silvesterabend in einem Würzburger Autohaus wieder auftauchte.
Kunstvoll und prächtig sieht es aus, das vom designierten Weihbischof Ulrich Boom selbst abgeschriebene und gestaltete Evangeliar. In abendelanger Handarbeit habe er als junger Student am Priesterseminar die vier Evangelien von Hand abgeschrieben und mit Bildern kunstvoll verziert, erinnert sich Boom. Wie lange die ganze Schreibarbeit letztendlich genau gedauert hat, weiß der 61-Jährige heute gar nicht mehr so genau: „Zwei Jahre vielleicht? Ich weiß es wirklich nicht mehr.“ Um den zahlreichen beschriebenen Blättern auch eine würdige Aufbewahrung zu ermöglichen und die liebe- wie mühevolle Arbeit nicht durch Plastik oder schnöden Karton zu entwerten, entschied sich Boom damals für einen massiven Holzeinband. So kam es, dass nun Eichenholz aus den früheren Kirchentreppen von Booms Heimatgemeinde im Münsterland die beschriebenen Seiten zusammenhält. In den Buchdeckel eingelassen ist außerdem ein mit einem Kreuz versehener Stein, den der designierte Weihbischof bei einem Besuch im Konzentrationslager Dachau gefunden hat. „Mir gefällt das Bild, dass wir bei Gott alle einen Stein im Brett haben“, erklärt Boom heute dazu verschmitzt.
Doch dass der zukünftige Weihbischof darüber wieder lachen kann, hängt auch damit zusammen, dass er sein Evangeliar heute wieder in Händen halten kann. Über Jahre hinweg war das gute Stück nämlich verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. Selbst das eingeschaltete Münchener Landeskriminalamt wurde bei der Suche nicht fündig. Doch was war geschehen? Das fertige Evangeliar gefiel nicht nur seinem Erschaffer, sondern auch anderen Priesterseminaristen. Also kam es nicht nur bei der Priesterweihe Ulrich Booms, sondern auch bei der Primiz von Thomas Hermes zum Einsatz. Als dieser das Evangeliar im Jahre 1985 wieder an Boom zurückgeben wollte, war das außergewöhnliche Buch jedoch unauffindbar. Dabei hatte es Hermes doch extra vermeintlich sicher in einer Leinentasche in seinem Wagen verstaut.
Einige Jahre später klingelte bei Ulrich Boom am 31. Dezember das Telefon. Am anderen Ende der Leitung war sein Amtskollege Christian Müssig, der ihm vom Kauf seines neuen Wagens berichtete. Für Boom jedoch viel interessanter war die „theologische Zugabe“, die Müssig mit seinem neuen Auto erhalten hatte: Booms handgeschriebenes Evangeliar. Dieser fuhr noch am gleichen Abend nach Würzburg, um das Buch persönlich in Empfang nehmen zu können.
Wie das Buch genau im Autohaus gelandet ist, darüber kann Boom heute nur mutmaßen. Am wahrscheinlichsten aber ist, dass Hermes Jahre zuvor dem gleichen Händler sein altes Auto verkauft und das eingepackte Evangeliar darin schlicht und einfach vergessen hat. Aus dem Auto wanderte das Buch mit theologischem Inhalt über die Jahre wohl zunächst auf, dann unter den Tresen des Autohauses – bis es schließlich in der Wohnung des Autohändlers landete. Erst als mit Müssig wieder ein Kirchenmann in sein Autohaus kam, erinnerte sich der Händler an das ungewöhnliche Buch, das da seit Jahren in seiner Wohnung lag.
Damit kann sich Ulrich Boom bei seiner Bischofsweihe auch unter sein Evangeliar stellen und diese äußerst symbolträchtige Passage der Weihe-Liturgie genießen, wie er selbst sagt: „Das Stehen unter dem Evangeliar signalisiert Zuspruch und Anspruch. Aber zuerst kommt der Zuspruch, dann der Anspruch!“
aic (POW)
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