Würzburg (POW) Unter der Überschrift „Reggio – Es gibt Neues zu entdecken“ lädt der Diözesan-Caritasverband am Mittwoch, 26. September, zu einer Fachtagung in das Würzburger Matthias-Ehrenfried-Haus ein Würzburg. Über 260 Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen aus ganz Unterfranken haben sich dazu angemeldet.
So ungewöhnlich die Ergebnisse dieser Erziehungsphilosophie sind, so ungewöhnlich war ihr Anfang.
Villa Cella, ein Vorort von Reggio Emilia, im April 1945: Der Krieg ist gerade beendet und große Teile der Stadt sind zerstört. Bei ersten Aufräumarbeiten entdecken Männer und Frauen in den Ruinen einen Panzer. Sie zerlegen ihn und verkaufen die Einzelteile auf dem Schwarzmarkt. Gemeinsam entwickelt die Gruppe Vorschläge, wie der Erlös verwendet werden soll. In einer Abstimmung setzen sich schließlich die Frauen durch: „Wir wollen eine Stätte für Kinder bauen. Die beste Antwort auf einen Krieg ist ein Kindergarten, in dem wir eine neue Generation und uns selbst erziehen.“
Ohne weitere finanzielle Unterstützung und ohne Fachwissen, jedoch mit viel Engagement ist die gesamte Dorfbevölkerung an dem Aufbau des neuen Kindergartens beteiligt. In zahlreichen Diskussionsrunden wird immer wieder die Frage erörtert: Wohin wollen wir unsere Kinder nach dem Krieg erziehen? Nicht allein ein neues Haus soll Stein für Stein entstehen, auch neue Erziehungsziele wollen die Eltern finden und verwirklichen, um den Erfahrungen des Faschismus demokratische Erziehungsformen entgegenzusetzen. Bald können die ersten Kinder aufgenommen werden. Zwei Erzieherinnen betreuen sie zunächst unentgeltlich. Versorgt werden sie von den Bewohnern aus Villa Cella, die Lebensmittel, Kleidung und Spielzeug in ihren Kindergarten bringen, der schnell zum Zentrum für Kinder und Erwachsene wird.
Seither wurde in der Stadt Reggio Emilia ein Modell entwickelt, das die Wege und die Kreativität von Kindern beim Erforschen ihrer Umwelt ernst nimmt und unterstützt. „Ein Kind hat hundert Sprachen“, sagen die Pädagogen in Reggio und meinen damit, dass jedes Kind auf eigene und kreative Weise seinen Eindrücken über die Welt Ausdruck verleiht.
Eine Ausstellung Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre über die Wahrnehmungs- und Ausdrucksfähigkeiten von Kindern im Vorschulalter machte das reggianische Modell weltweit bekannt. Mit dem Titel „Das Auge schläft, bis es der Geist mit der Frage weckt“ vermittelte die Präsentation auf beeindruckende Art, wie Kinder ihre Umwelt wahrnehmen, begreifen und diese Erfahrungen mit ihren „Sprachen“ wiedergeben.
Die amerikanische Zeitschrift Newsweek verlieh den nach ihrer Meinung „schönsten Kindergärten und Krippen der Welt“ sogar 1991 einen Oscar für eine Pädagogik, die den vielerorts üblichen Vorstellungen zur Kindererziehung neue und außergewöhnliche Ideen entgegensetzt. Einjährige Kinder experimentieren an Staffeleien mit Farbe und Formen, Dreijährige erkunden das Wesen und Wirken von Computern, und Fünfjährige philosophieren über das Phänomen des Schattens: „Der Schatten ist wie ein Abend, der kommt, wenn die Sonne scheint.“
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