Salz (POW) Zum fünften Mal innerhalb weniger Minuten verschwindet Martin Schmitt durch die kleine Tür, die wenig größer ist als die eines Küchenschranks. Er bahnt sich seinen Weg durch die Unterwelt Betlehems: vorbei an Elektromotoren, bunt gewandeten Wachsfiguren, die kopfüber von der Decke herunterhängen, durch ein Gewirr an Seilen und Drähten. So sieht Weihnachten also aus der Froschperspektive aus.
Rund zwölf Quadratmeter misst die außergewöhnliche Krippenlandschaft in der Pfarrkirche von Salz im Landkreis Rhön-Grabfeld, die Martin Schmitt (51) und sein Vater Ehrenfried (78) seit Jahrzehnten im Advent aufbauen. Auf fünf Ebenen verteilt, verdeckt sie in der Weihnachtszeit den kompletten rechten Seitenaltar der Pfarrkirche. Allein die Größe macht sie zu etwas Besonderem. Der Clou sind aber die Figuren, die wie von Geisterhand bewegt durch die Landschaft gleiten.
Am Vortag haben insgesamt vier Männer das hölzerne Untergestell der Krippe aus dem früheren Bullenstall neben dem Pfarrhaus Stück für Stück herübergetragen: Stützbalken und Verstrebungen, den alten Elektromotor (Typ „Siemens-Schuckert“, offensichtlich noch aus Vorkriegsbeständen), der über eine mit Flugrost patinierte alte Fahrradfelge als Umlenkrolle den Großteil der beweglichen Teile antreibt. „Damit er nicht mehr so schwer arbeiten muss, habe ich vor ein paar Jahren diesen elektrischen Getriebemotor integriert“, erklärt Schmitt junior. Mit kundigem Blick prüft er den Sitz der heiß verschweißten Kunststoffseile, die heute anstelle der originalen Lederriemen oder Gummibänder für die Kraftübertragung sorgen. Jedes Jahr war ein anderer spröde geworden, so dass der findige Werkzeugmacher sich irgendwann die wartungsfreie Lösung einfallen ließ.
„Martin, die Schiffe fahren verkehrt herum“, ruft ihm sein Vater zu. Mit dem Heck voraus verschwinden die kleinen Segelboote vom Betrachter weg in das Tunnel statt daraus hervor zu schippern. Eine kleine Umstellung im Wirrwarr der Seile und Züge, und das Problem ist behoben. Derweil trägt Schmitt senior das Elternhaus Jesu herbei. Das Logo eines Hustenbonbonherstellers ziert die Bodenseite. Philipp Limpert, der Schöpfer des Krippenunikats und Großvater Ehrenfrieds, war seinerzeit auf das Material angewiesen, das er günstig beschaffen konnte, zum Beispiel hölzerne Warenkisten. Mit umso mehr Liebe zum Detail schuf er daraus seine Interpretation von Jesu Geburt und Leben: Außer der zentralen Krippe mit der Geburtsszene, die mittig in direkter Nähe zum Betrachter zu finden ist, gibt es auch noch andere Schauplätze: An höchster Stelle thront Herodes in seinem Palast und überblickt die Szene. Links neben der Krippe findet sich, mit goldener Kuppel verziert, das Elternhaus Jesu.
Dort gibt es heute mechanische Probleme. Es knarzt laut, jedesmal, wenn Josef der Zimmermann mit seinem Beil den Balken bearbeitet. Und Marias Spinnrad dreht sich noch nicht. Martin Schmitt wartet, bis der Motor sich zeitgesteuert wieder abschaltet. Dann hebt er vorsichtig das Häuschen und prüft den Sitz der Antriebsschlaufen. Immer wieder springt der Draht vom Spinnrad, bis er sich den Händen des Technikers schließlich fügt. Bei Josef wirkt ein Tröpfchen Schmieröl Wunder.
Mitunter braucht das technische Wunderwerk des Großvaters aber mehr Aufmerksamkeit. Als der Euro eingeführt wurde, ersetzte der Tüftler die alte Mechanik am Münzeinwurf durch zwei Münzschlitze aus ausgedienten Schwimmbadfönen. „In der Übergangszeit mussten ja sowohl Pfennigmünzen als auch Cent funktionieren.“ Als Nebeneffekt war damit auch die Ära beendet, als Kinder und Erwachsene mit einem länglichen Gegenstand den Zeitschalter im Münzschlitz in Betrieb brachten, dessen Mechanik einem alten Münzgrammophon entstammte. „Mitunter hat damals auch eine Münze geklemmt, und die Elektrik begann zu schmoren“, erinnert sich Schmitt senior.
Noch abenteuerlicher war die alte Zeitsteuerung, die einst daraus bestand, dass der Metallring, der links in der Szene einen Engel auf einer Kreisbahn erst aus und dann wieder in ein Kirchlein führt, im Kirchlein an einem Stück mit Isolierband umwickelt war. Dort war dann der 220-Volt-Stromkreis unterbrochen, und die Anlage kam nach einer Engelsrunde zum Stillstand; manchmal aber früher, wenn zum Beispiel ein Schlittschuhschlüssel auf den Ring fiel und einen funkensprühenden Kurzschluss provozierte.
Diese Gefahr besteht heute nicht mehr, das alte System ist durch ein niedervoltiges im Innern der Anlage ersetzt. Und zur Dekoration wird auch nur noch vier Wochen in der Scheune getrocknetes Moos verwendet, damit keiner einen elektrischen Schlag bekommt wie früher, als mitunter feuchtes und daher leitfähiges Material eingesetzt wurde. Ehrensache, dass Ehrenfried Schmitt das Grünzeug selbst in den Wäldern des Ortes sammelt und anschließend in mühevoller Handarbeit von Nadeln befreit. „Unter Buchen gibt’s leider kein Moos.“ Auf oft nur gerade zehn Zentimeter breiten Standflächen balanciert Schmitt junior und verteilt die teilweise sitzkissengroßen Moosstücke auf die kargen Holzflächen. So verschwinden die letzten noch sichtbaren Drähte. Einzig eine Freifläche oberhalb des Tunnels, aus dem die Schiffe segeln, bekommt eine andere Abdeckung: Mit leisem Rascheln verteilt Martin Schmitt Sägespäne und platziert die Hühner. Noch ein Detail, das die Sälzer Krippe originell macht.
Als das Becken am Ende der Wasserkaskade befüllt ist, beginnt der eigentliche Probelauf: Die verborgene Waschmaschinenpumpe schafft das Wasser nach oben, das auf halber Höhe aus dem Berg sprudelt. Verborgene Laufbänder aus Jute setzen Fußgänger, Reiter und Schiffe in Bewegung, an einem fast unsichtbaren Seilzug schwebt links hinten ein Rauschgoldengel auf und ab. Im Turm der Kirche links vorne läutet ein Himmelsbote die Glocke, während ein anderer seine Takt gebende Runde beginnt. Leise erklingt „Stille Nacht.“ Weihnachten kann kommen.
Die Krippe ist ab Samstag, 19. Dezember, täglich von 9 bis 17 Uhr in der Pfarrkirche in Salz zu sehen.
(5009/1470; E-Mail voraus)
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