Würzburg (POW) Virchowstraße 20 in Würzburg. Ein unscheinbares, aber großes Haus an einer viel befahrenen Straße unweit des Sanderrings. Am Eingang gibt es dutzende Klingelschilder und die Treppen im Hausinneren scheinen endlos in die Höhe zu führen. Im Erdgeschoss sind Stimmen zu hören. Eine Türe öffnet sich und warmes Licht strömt in den dunklen Flur. Hellgraue Holzbänke, eine Abendmahl-Szenerie an der Stirnseite des Raumes, Kerzen und frische Blumen neben einem Bild von Papst Johannes Paul II. auf dem Fenstersims. Es ist die Hauskapelle, in der die Katholische Polnische Mission jeden Mittwochabend Gottesdienst feiert.
Die Missionsgemeinde ist eine von zehn muttersprachlichen Gemeinden im Bistum Würzburg. Sie seien gegründet worden, um Ausländern und Deutschen mit Migrationshintergrund die Möglichkeit zu geben, in ihrer Muttersprache ihren Glauben zu leben, Gottesdienste zu feiern und die Sakramente zu empfangen, erzählt Domkapitular Christoph Warmuth, stellvertretender Leiter der Hauptabteilung Seelsorge im Bistum und zuständig für die Betreuung der Missionen. „Wir behalten den Überblick, beobachten Entwicklungen und kümmern uns um die Seelsorger. Diese werden je nach Größe der Gemeinde ausgewählt und betreuen oft sogar mehrere Diözesen.“ Fremdsprachliche Missionen gibt es in ganz Deutschland: über 400 in rund 30 Sprachgruppen, in denen fast 500 Priester und Ordensleute als Seelsorger wirken. Die Initiative zum Aufbau der Gemeinden kommt von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK). Stefan Schohe ist Nationaldirektor der DBK für die Katholische Ausländerseelsorge: „Fast jeder fünfte Katholik in Deutschland ist mit einer anderen Muttersprache als der deutschen aufgewachsen.“ Die Missionen seien für die Migranten Gemeinschaft und Lebensraum, in dem sie gerade auch mit ihrer Sprache und Glaubenstradition Beheimatung und Zuwendung erlebten, ihr eigenes kulturelles und religiöses Leben pflegten und so ihre Identität finden könnten.
Pfarrer Jerzy Sobota ist im Bistum für die Polnische Katholische Mission zuständig, die 1989 von Bischof Dr. Paul-Werner Scheele gegründet wurde, und versucht genau das: denen Heimat zu geben, die ihre Heimat verlassen haben. „Es geht aber auch darum, dass wir Kindern und Jugendlichen in zweiter Generation vermitteln, dass sie stolz darauf sein können, polnische Wurzeln zu haben und diese bei uns auch kennenlernen können. Es sind im Grunde also zwei Ansätze“, sagt Sobota. Er selbst stammt aus dem polnischen Sępólno Krajeńskie, seine Priesterweihe empfing er 1994 in Pelplin (Polen). Das Verbindende sei auf jeden Fall die Sprache. „Wir möchten bei uns polnische Kultur leben – mit allem was dazu gehört.“ Die Gebete sind polnisch, die Lieder auch, und zum Studententreffen nach dem Werktagsgottesdienst gibt es in den Räumen der Mission traditionelles polnisches Gebäck. Die Studierenden, die hier jede Woche zusammenkommen, sind fast alle in Deutschland geboren. Und während sie untereinander deutsch sprechen, unterhalten sie sich mit Pfarrer Sobota über Gott und die Welt auf Polnisch. Patrick Sikora ist einer der Studenten: „Auf polnische Art und Weise an den Glauben rangehen, das bereichert meinen Alltag, der sich ja sonst nicht von dem der anderen jungen Deutschen unterscheidet.“ Der 23-Jährige ist in Schweinfurt geboren, studiert Jura in Würzburg. „Wenn die Mission nicht wäre, hätte ich nur in meinem Elternhaus den Kontakt zur polnischen Sprache und Kultur. Das wäre sehr schade.“
„In diesen Gemeinden hält sich anfangs natürlich die Muttersprache. Aber genau das macht es für Neuankömmlinge ja so angenehm“, erklärt die Soziologin Dr. Rosemarie Sackmann. „Wer sich sehr viel in diesen Gruppen aufhält, wird vielleicht eher später als früher die neue Sprache lernen. Aber schließlich gibt es in der Regel noch genügend Kontakte außerhalb der muttersprachlichen Gemeinde.“ Die Rolle der Sprache für die Integration sei umstritten, erklärt Sackmann. Entscheidend für eine gute Integration seien Selbstverständlichkeiten: dass man sich im Alltag zurechtfindet, dass man weiß, wo der Bus fährt oder wie man sich auf dem Amt verhält. Dafür könnten Gruppierungen wie die katholischen Missionen sehr hilfreich sein. „Gerade diese Gemeinden sind ja eine Börse für alles Mögliche, vor allem, wenn es darum geht, Kontakte zur Arbeitswelt herzustellen.“
Die gebürtige Polin Monika David hat Tränen in den Augen, als sie an ihre ersten Begegnungen mit der polnischen Mission denkt: „Die Mission hat mir das Ankommen in Deutschland sehr erleichtert.“ Sie habe sich sofort zuhause gefühlt und sehr willkommen. Die Gemeinderatsvorsitzende der Mission in Würzburg leitet die Krabbelgruppe am Mittwochmittag. In der Samstagsschule ist Elzbieta Steinberger, die Sekretärin der Gemeinde, engagiert. „Polnische Kinder erfahren in Deutschland häufig ein Gefühl der Fremdheit. Durch die Erfahrungen in der Mission, dort eine Heimat zu haben, öffnen sie sich mit der Zeit auch für die deutsche Gesellschaft“, erzählt sie von ihrer Erfahrung. Oft erlebe sie, dass viele Frauen und Männer versuchen, die guten Erfahrungen, die sie in der Mission gemacht haben, in ihrer deutschen Ortsgemeinde einzubringen. „Muttersprachliche Gemeinden sind nicht ein Angebot in Konkurrenz zu den territorialen Pfarreien, sondern eine Brücke und eine Chance, durch die das Leben der Kirche in Deutschland bereichert wird“, sagt auch Stefan Schohe von der DBK.
Ein gemeinsam organisiertes Pfarrfest, ein zweisprachiger Gottesdienst oder eine Fronleichnamsprozession mit deutscher Musikkapelle und polnischen Liedern: An vielen Stellen verbinden sich die Gemeinden. Georg Dierkes ist Kirchenpfleger in Sankt Gertraud in Würzburg, der Kirche, in der die polnische Mission ihren Sonntagsgottesdienst feiert. „Diese Gottesdienste sind etwas ganz Besonderes. Die Polen habe eine ganz besondere Frömmigkeit und die bringen sie mit nach Deutschland und mit in die Heilige Messe.“ Es kämen viele Familien mit ihren Kindern. Das kenne er so von deutschen Gottesdiensten nicht. „Die vielen jungen Menschen, deren Liebe zu Liedern und ihre traditionellen Trachten schaffen eine schöne Atmosphäre.“ Im Zuge der Seligsprechung von Papst Johannes Paul II. ist Dierkes mit der polnischen Mission nach Rom gefahren. Obwohl er anfangs kein Wort verstanden habe, sei es für ihn ein prägendes Ereignis gewesen. Seither nehmen er und seine Frau öfter an deren Veranstaltungen teil. „Wir sind Weltkirche. Wir können viel voneinander lernen“, betont Christine Dierkes. Seit 2012 betet das Ehepaar – durch die polnische Spiritualität inspiriert – jeden Freitag um 15 Uhr mit anderen deutschen Gläubigen in Sankt Gertraud den Barmherzigen Rosenkranz.
Pfarrer Sobota ist sichtlich gerührt von dem großen Engagement: „Ich bin dankbar, dass unsere Gemeinde so voller Leben ist und das Polnische in Deutschland einen Platz hat.“ Der Bedarf dafür ist gegeben: Rund 4600 Polen und über 22.000 Deutsche mit polnischem Migrationshintergrund leben laut Zensus 2011 des Bayerischen Landesamts für Statistik in Unterfranken. „Die Mission blüht auf, weil die Menschen, die sich einbringen wollen, auch einen Platz dafür haben. Ich versuche, diesen Platz zu schaffen, damit jeder sich mit seinem Charisma einbringen kann“, erklärt Sobota seine Vision. So könnten die vielen Menschen mit polnischen Wurzeln eine Bereicherung sein für die deutsche Gesellschaft.
Stichwort: Muttersprachliche Gemeinden im Bistum Würzburg
Im Bistum Würzburg gibt es zehn fremdsprachige Missionen beziehungsweise muttersprachliche Gemeinden, in denen Ausländer und Deutsche mit Migrationshintergrund ihren Glauben leben können: Italienische Katholische Mission, Koreanische Katholische Gemeinde Würzburg, Kroatische Katholische Mission (Standorte in Aschaffenburg und Würzburg), Polnische Katholische Mission (Standorte in Aschaffenburg und Würzburg), Portugiesische Katholische Mission, Spanische Katholische Mission, Seelsorge für Tamilen, Ukrainisch-Katholische Mission, Seelsorge für ungarisch sprechende Katholiken und Seelsorge für vietnamesisch sprechende Katholiken. Eine Liste mit Ansprechpartnern gibt es auf der Homepage des Bistums unter www.glauben.bistum-wuerzburg.de/seelsorge/.
Sarah Jehle (POW)
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