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„Ein unzerreißbares Netz“

Predigt von Generalvikar Dr. Karl Hillenbrand zum 30-jährigen Bestehen des Ökumenischen Zentrums in Lengfeld am 6. November 2005

Liebe Schwestern, liebe Brüder!

Beim Ökumenischen Treffen während des Weltjugendtags in Köln hat Papst Benedikt XVI. geäußert, er sehe einen tröstlichen Grund zum Optimismus in der Tatsache, dass sich immer mehr ein geistliches Netzwerk bildet zwischen den Christen der verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften (VAS 169, S.72). Ökumene als geistliches Netzwerk – es ist spannend, diesem Bild näher nachzugehen; es zeigen sich aber auch Spannungen, wenn man dieses biblisch bezeugte Symbol auf unser konkretes Bemühen um die Einheit im Glauben bezieht. Ich lade Sie ein, in drei Deutungsschritten diesen Versuch zu wagen.

1. Ein erstes ist wichtig: Das Bild vom Netz ist ursprünglich gar kein Symbol für die Kirche, sondern für das Himmelreich. Das geht aus verschiedenen Stellen des Neuen Testaments hervor (z.B. Mt 13, 47-50). Wenn wir es trotzdem auf kirchliche ökumenische Aktivitäten beziehen, dann nur unter dem Vorbehalt: Kirchliches Leben und Mühen um Einheit im Glauben kann nur dann im biblischen Sinn ein geistliches Netzwerk sein, wenn eines deutlich wird: Ökumenische Aktivitäten sind nie nur Kontakte zwischen einzelnen Christen und verschiedenen Kirchen, sondern vollziehen sich vor dem größeren Horizont des Reiches Gottes! Das macht die Suche nach den richtigen Formen des kirchlichen Lebens nicht überflüssig, sondern gibt ihr die entscheidende Richtung. Zentraler Maßstab ist die Reich-Gottes-Botschaft Jesu, die sich im Horizont einer weltweit veränderten Herausforderung des Christentums neu und verändert stellt. Ein Schlaglicht auf die Geschichte mag dies verdeutlichen: Martin Luther wurde umgetrieben von der Frage: „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ Unsere heutige Erfahrung zeigt, dass nicht mehr gefragt wird: Wie komme ich mit Gott zurecht?, sondern: Wie komme ich mit mir und meinem Leben zurecht? In dieser Situation stehen die Kirchen vor einer neuen gemeinsamen Herausforderung. Sie müssen das Erbe und den Reichtum ihrer jeweiligen Tradition unter radikal veränderten Bedingungen so erschließen, dass die Menschen neu fragen, wer Gott für uns ist und wer wir für Gott sind, wer Jesus Christus für uns ist und was er für uns bedeutet. Dass man diese Aufgabe bei der Gründung des Ökumenischen Zentrums in Lengfeld erkant hat, zeigen die Worte in der Urkunde, die 1974 in den Grundstein eingemauert wurde; darin heißt es: „Darum wollen wir die Einheit in Christus zu leben versuchen.... Wir wagen dies, ‚damit die Welt glaube’ ...“ (vgl. Joh 17,21). Dieser Bezug auf die Sendung Jesu für die ganze Welt bleibt für uns verpflichtend, wenn wir unser ökumenisches Mühen gerade in Zukunft mehr denn je am Maßstab seiner Botschaft vom Reich Gottes messen. Machen wir uns nichts vor: Dieser Versuch ist spannend und spannungsreich zugleich. Wir sind dabei wie die Jünger in unserer Schriftstelle (vgl. Lk 5,5) hin und her gerissen zwischen unserer Faszination für Jesus und der Resignation im Blick auf den Erfolg des eigenen Bemühens. Aber für das Bild vom Netz gilt das Gleiche wie für die anderen Bilder, die Jesus vom Reich Gottes verwendet, wie etwa in den Gleichnissen vom Senfkorn und vom Sauerteig (vgl. Lk 13,18-21): In all diesen Symbolen zeigt sich die Spannung zwischen unscheinbaren Anfängen und der Größe dessen, was Gott mit uns vorhat. Diese Spannung kann eine Dynamik entwickeln, die uns auch über Phasen der Resignation hinweghilft. Mein erster Wunsch zum Geburtstag des Ökumenischen Zentrums ist, dass dieser größere Horizont der Reich-Gottes-Botschaft Jesu als Erinnerung und Ermutigung stets präsent bleibt. Nur dann können wir antworten wie Petrus: „Auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen“ (Lk 5,5).

2. Man kann das Bild vom Netz aber auch anders angehen: Im Lukasevangelium heißt es, dass das Netz zu reißen drohte (Lk 5,6). Das weckt die Assoziation von gespannten Beziehungen – in der Tat: Ökumenische Arbeit im Dienst für das Reich Gottes kennt auch Spannungen und Zerreißproben. Die Festschrift des ÖZ Lengfeld drückt es vornehm – liebevoll so aus: „Einheit ist manchmal mühsam“ (S. 39). Es geht hier nicht um gegenseitige Schuldzuweisungen der Kirchen. Wie mühsam das Suchen nach Einheil sein kann, haben wir ja selbst vor einigen Jahren erfahren und ich fände es unredlich, diese Situation auszublenden. Ich musste als Generalvikar damals (1998) deutlich machen, dass von den theologisch-kirchlichen Voraussetzungen her eine gemeinsame Feier des Abendmahls bzw. der Eucharistie noch nicht möglich ist. Es gab Konflikte und Verletzungen, die uns alle sehr geschmerzt haben, auch mich, weil ich einerseits von der katholischen Position überzeugt war und mir andererseits die spürbare Sehnsucht und die fühlbare Enttäuschung vieler Menschen hier nicht gleichgültig sein konnte. Ich bin heute noch dankbar, das wir in dieser Situation im Gespräch geblieben sind und uns nicht in die jeweilige Befindlichkeit verschanzt haben. Gewiss, es waren harte, manchmal aggressive Debatten, aber ich habe es in diesem Ringen am Ende so empfunden, dass wir gemeinsam auf Kurs geblieben sind und uns verstärkt die Frage gestellt haben: Was führt wirklich weiter? In mir haben sich damals zwei Einsichten vertieft: Zum einen die Erkenntnis, dass wir alle uns immer wieder neu um ein vertieftes Verständnis dessen bemühen müssen, was uns bei der Feier des Abendmahles bzw. der Eucharistie geschenkt wird. Ein um die Ökumene so verdienter Mann wie Bischof Paul-Werner Scheele hat es öfter so ausgedrückt: „Im Blick auf die Teilnahme am Abendmahl sind wir nicht Einladende, sondern bestenfalls Tischdiener.“ In dieser Rolle können wir unter anderem die Türen so offen halten, dass in der weiteren Entwicklung Zugänge gefunden werden. Solche Zugänge ergeben sich aber weder aus bloßem Pragmatismus noch aus dem Einsatz von amtlicher Autorität allein; daraus entstehen im Regelfall Konfrontationen, die nicht weiterführen, sondern eher den Eindruck einer in sich widersinnigen Spaltung zwischen „Basis“ und „Amtskirche“ befördern. Wenn wir aber wirklich eine tragfähige Kirchengemeinschaft wollen – und das ist meine zweite Einsicht aus dem damaligen Konflikt – braucht es das Wissen darum, dass Ökumene kein Gewinn- und Verlustgeschäft darstellt, bei dem nach dem Modell von Tarifverhandlungen jede Seite etwas gibt und nimmt, sondern dass sie nur tragfähig ist, wenn sie als gemeinsames Wachstum zur Fülle (Kardinal W. Kasper) und als gegenseitige Hilfe verstanden wird. Der biblische Satz, dass die Jünger ihre Gefährten im anderen Boot um Hilfe gebeten haben (Lk, 5,7) kann auch hier Modell und Ermutigung sein. Und ein Wachsen zur Fülle wird nur dann gelingen, wenn das ökumenische Mühen umfassend ist. Man spricht neuerdings viel von einer „Ökumene der Profile“ – wenn das nicht eher abgrenzend als verbindend wirken soll, ist eine „profilierte Ökumene“ nur möglich als ein Wachsen in der Erkenntnis der Wahrheit, zugleich verbunden mit der Treue zu gewachsenen Einsichten. Und es kommt noch eine Dimension dazu, die ich in Anlehnung an Roger Schutz so ausdrücken möchte: Unser ökumenisches Denken und Handeln braucht noch weit mehr als bisher die Prägung durch katholische Weite, evangelische Tiefe und orthodoxe Dynamik. Nur dieses Wissen um die gegenseitige Verwiesenheit aufeinander bewahrt uns vor einem Ghettodenken; ich sehe hier in der ökumenischen Arbeit noch viel unausgeschöpftes Potential. Ich bin jedoch froh darum, dass z. B. die Arbeit im ÖZ mit eine Voraussetzung für die Bildung der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Würzburg war und eine bleibende Antriebskraft dafür ist. Möge dies weiterhin so bleiben!

3. Das Bild vom Netz muss auch im Kontext der persönlichen Glaubensberufung gesehen werden. Die geschilderte Begegnung zwischen Petrus und Jesus kann dabei ein Modell für uns alle sein (vgl. Lk 5,8ff): Im Staunen darüber, was aus der Befolgung von Jesu Wort entstanden ist, erkennt Petrus die eigene Begrenztheit, mehr noch: er spürt und bekennt sein Versagen. „Herr, geht weg von mir, ich bin ein Sünder.“ Aber gerade in dieser Szene liegt wieder eine eigenartige Spannung: Durch dieses Bekenntnis wird Petrus nicht auf das eigene Versagen fixiert – das Gegenteil ist der Fall: Er wird frei für eine tiefere Gemeinschaft mit Jesus; indem Barrieren wie Stolz und falsches Selbstvertrauen wegfallen, entsteht eine neue Offenheit für den Glauben und für die persönliche Berufung, die ihn über sich hinausführt und auf andere verweist: Petrus wird zum Menschenfischer, zu einem, der andere für Gott gewinnen soll. Im Grunde steckt in dieser Berufungsszene genau die Erfahrung, die Martin Luther im Gedanken von der Rechtfertigung des Sünders aus Gnade ausdrückt: In der Berufung durch Christus sind die Einsicht eigener Schuld und der befreiende Ausblick auf den geschenkten Neubeginn untrennbar verbunden, das Erkennen von Schuld lähmt nicht, sondern befreit zum neuen Leben in der Verbindung mit Jesus in der Gemeinschaft der Glaubenden. Die gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre, deren Verabschiedung sich dieser Tage wieder gejährt hat, will genau diese biblisch bezeugte Erfahrung als gemeinsamen Grund aller unterschiedlichen Glaubenswege in Erinnerung rufen. Ökumene besteht nicht in der Rückkehr der jeweils anderen zu uns, sondern in der gemeinsamen Umkehr zu Jesus. Christlicher Umgang mit Schuld braucht Versagen nicht zu verdrängen – in seiner Annahme werden wir vielmehr frei für unsere Berufung als Zeugen der Gnade Gottes in der Welt. Das kann nicht oft genug betont werden, und ich sage dies ganz bewusst, weil wir als Christen uns oft – zu Recht – den Vorwurf gefallen lassen müssen: Ihr seid doch auch bloß Menschen wie andere. Dabei schwingen nicht selten Enttäuschungen über inkonsequentes Verhalten und lieblosen Umgang untereinander mit. Auch das Zusammenleben und –arbeiten in einem Ökumenischen Zentrum ist nicht frei davon. Aber wenn gelebte Ökumene eben nicht in gegenseitigen Schuldzuweisungen besteht, sondern sich darin zeigt, dass wir einander helfen, im Licht der Frohen Botschaft mit der Last unserer wechselseitigen Schuldgeschichte wie auch mit den Beschwernissen des alltäglichen Versagens umzugehen, dann wird auch unsere gemeinsame Berufung als Christen neu deutlich. Sie besteht darin: Jesus macht aus Menschen wie andere Menschen für andere, er macht auch heute aus vor-läufigen, begrenzten Zeitgenossen Vor-läufer auf das Endgültige, nämlich auf Gott und sein Reich. Wenn in aller Gebrochenheit unserer gemeinsamen Glaubensbemühungen davon immer wieder etwas ausstrahlt, dann zeigt sich diese Spannung als fruchtbar. Eine von nüchterner Zuversicht getragene Ökumene kann aus der Vielzahl persönlicher Berufungen heraus in der Tat ein Netzwerk des Glaubens bilden, das hält und dauerhaft ist. Mein weiterer Wunsch für die Zukunft des Ökumenischen Zentrums in Lengfeld geht dahin, dass die verschiedensten Dienste und Charismen, die dort zur Geltung kommen, diese gemeinsame Berufung zur Umkehrgemeinschaft als Grundlage des Glaubens immer neu deutlich machen.

Liebe Schwestern, liebe Brüder!

„Ein unzerreißbares Netz“ – die Garantie dafür können wir nicht selbst geben, allein Jesus bietet Gewähr dafür, dass die Verbindung hält und der Zusammenhalt wächst. Aber wir können auf sein Wort hin das Netz auswerfen und so durch unseren Einsatz mithelfen, dass auch heute Menschen für Gott gewonnen werden. Es bleibt die Einsicht: Jesus bewirkt das Entscheidende – wenn wir unsere Entscheidungen an IHM ausrichten, wirken wir mit, dass er in der Welt zur Geltung kommt. Für dieses ökumenische Zeugnis ist deshalb eines wichtig, was Papst Benedikt XVI. in der ersten Ansprache nach seiner Wahl so ausgedrückt hat: „Die Bekundung aufrichtiger Gefühle reicht nicht aus. Es bedarf konkreter Gesten, die das Herz erfassen...“ (VAS 168, S.24). Es hat mich gefreut und bewegt, dass Sie mich zur Predigt bei Ihrem Jubiläumsgottesdienst eingeladen haben. Ich habe deshalb nach einer ganz persönlichen konkreten Geste meinerseits gesucht, die sicherlich bescheiden ist, aber von Herzen kommt: Ich möchte Mitglied im Freundeskreis des Ökumenischen Zentrums werden, um dadurch nicht nur meine bleibende Verbundenheit zu zeigen, sondern weil ich mir von dieser sichtbaren Gemeinschaft mit vielen Weggefährtinnen und -gefährten eine gegenseitige Bestärkung erhoffe, die uns weiter trägt. Amen.

(128 Zeilen/4505/1464)