Rom/Würzburg (POW) Er kennt den Vatikan aus der Innenansicht: Monsignore Dr. Matthias Türk (50) ist Würzburger Priester und arbeitet seit 1999 im Päpstlichen Rat für die Einheit der Christen in Rom. Im folgenden Interview beschreibt er die gegenwärtige Stimmung rund um den Petersplatz, spricht über die direkten Auswirkungen des Rücktritts von Benedikt XVI. auf die Arbeit der vatikanischen Behörden und erläutert, welche Chancen seiner Meinung nach ein Papst von der südlichen Halbkugel hat.
POW: Benedikt XVI. ist zurückgetreten: Welche persönliche Erinnerungen verbinden Sie mit dem deutschen Papst?
Monsignore Dr. Matthias Türk: Meine wichtigste und zugleich ganz persönliche Erinnerung ist der Tag meiner Priesterweihe am 10. Oktober 1989. Damals weihte uns 16 Diakone aus dem Collegium Germanicum et Hungaricum der damalige Kardinal Joseph Ratzinger im Auftrag unserer Diözesanbischöfe in der großen römischen Jesuitenkirche Sant‘ Ignazio zu Priestern. Ich denke, ein jeder von uns ist sein gesamtes Leben lang in besonderer Weise mit dem Bischof seiner Priesterweihe verbunden, und ich habe mich immer wieder über die Begegnungen mit ihm im Rahmen unserer Weihekurstreffen gefreut.
POW: Haben Sie darüber hinaus Kontakt mit Benedikt XVI. gehabt?
Türk: Als ich später nach Dienstjahren im Bistum Würzburg 1999 Mitarbeiter im Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen und Mitglied des deutschen Priesterkollegs am Campo Santo wurde, freute ich mich über die nahezu allwöchentliche gemeinsame Eucharistiefeier mit Kardinal Ratzinger als Hauptzelebranten. Hier hat er uns alle mit seiner tiefen geistlichen Auslegung der Heiligen Schrift und der verschiedenen Festtagsgeheimnisse reich beschenkt. Im Rahmen meiner Tätigkeit für die internationale Ökumene habe ich in den Jahren seines Pontifikats mehrmals während des Jahres ökumenische Gäste und Delegationen zur Privataudienz bei Papst Benedikt XVI. begleitet. Sein freundlicher Zuruf aus diesen Begegnungen ist mir immer noch lebhaft im Gedächtnis: „Wir kennen uns ja!“ Nur beim letzten Mal, im Januar 2013, ging mir der tiefere Hintersinn seiner Bemerkung erst später auf, als er sagte: „Sie sind auch schon lange bei dieser Sache.“
POW: Wie ist die allgemeine Stimmung, wenige Tage vor Beginn des Konklaves, in Rom? Welche besonderen Vorbereitungen werden derzeit getroffen?
Türk: Wie bei anderen Großereignissen ist in diesen Tagen eine gespannte Unruhe in den Straßen rund um den Vatikan und Sankt Peter zu spüren. Nicht nur die großen Aufbauten der Journalisten und Berichterstatter aus aller Welt mit Scheinwerfern und Kameras fallen in den Blick, sondern auch stille Beter und Gruppen begeisterter Jugendlicher, die mit den Fahnen ihres Heimatlandes fröhlich singend durch die Straßen ziehen und sich auch auf dem Petersplatz zum Gebetstreffen versammeln. Die Audienzhalle, die Aula Pauls VI., wurde in den vergangenen Tagen für die täglichen Zusammenkünfte des Kardinalskollegiums hergerichtet, die es ab Beginn der Sedisvakanz gibt.
POW: Was hat sich an der Arbeit der vatikanischen Behörden mit der Vakanz des Stuhles Petri geändert? Welche Einrichtungen können ohne Papst überhaupt nicht arbeiten?
Türk: Die Leiter der römischen Dikasterien, also der Ämter der römischen Kurie, die Präfekten der Kongregationen und die Präsidenten der Päpstlichen Räte und Kommissionen verlieren mit dem Eintritt der Sedisvakanz ihre spezielle Leitungsaufgabe. Die Geschäftsführung bis zur Neuwahl eines Papstes übernehmen in dieser Zeit, in der keine grundlegenden Entscheidungen zu treffen sind, die Sekretäre der Dikasterien. Die Gesamtleitung der Kirche selbst liegt in den Händen des Kardinalskollegiums, das vom Dekan des Kollegiums zu täglich stattfindenden Kongregationen bis zum Beginn des Konklave zusammengerufen wird, bei denen alle nötig gewordenen Entscheidungen kollegial zu treffen sind.
POW: Wie macht sich die Vakanz im Päpstlichen Rat für die Einheit der Christen bemerkbar?
Türk: Infolge der Sedisvakanz steht Kardinal Kurt Koch nicht mehr als unser Präsident zur Verfügung. Die Geschäftsführung liegt in den Händen von Bischof Brian Farrell, dem Sekretär unseres Päpstlichen Rates. Ungeachtet dessen muss die inhaltliche Arbeit mit den internationalen Dialogkommissionen und unseren ökumenischen Gesprächspartnern weitergeführt werden. Zur Vorbereitung der Amtseinführung eines neu gewählten Papstes gilt es, die ökumenischen Vertreter, mit denen wir in einem Dialog stehen, zu informieren und sie bei ihrer Ankunft in Rom und als Teilnehmer der Papsteinführung als hochrangige Gäste des Heiligen Stuhls zu betreuen.
POW: Wo wird der neue Papst in der Ökumene als erstes besonders gefragt sein?
Türk: Die Ökumene atmet mit zwei Lungenflügeln, wie es der selige Papst Johannes Paul II. einmal ausgedrückt hat, weil sie sowohl die Beziehungen zu den Christen des Ostens wie des Westens betrifft. Hier kommt es darauf an, nicht den Atem anzuhalten, sondern mit allen Kräften tief weiterzuatmen. Vor allem müssen wir mit Leben erfüllen, was uns schon heute untereinander verbindet. Geistliche Ökumene im gemeinsamen Gottesdienst und Gebet sowie die liebevolle geschwisterliche Begegnung stehen auch für den neuen Papst im Vordergrund. Hier wird er als Mitbruder allen anderen Vertretern der Christenheit in Verbundenheit begegnen. Zum anderen wird er den theologischen Dialog über die noch trennenden Fragen weiterführen, um immer mehr der ersehnten vollen, sichtbaren Einheit der Kirche entgegengehen zu können. Dabei sind die Fragestellungen recht unterschiedlich, was die Verschiedenheit der ökumenischen Partner betrifft.
POW: Können Sie ein Beispiel nennen?
Türk: Im Gespräch mit den Ostkirchen wird vor allem die Untersuchung des ersten christlichen Jahrtausends im Vordergrund stehen, also der Zeit, in der die Kirchen noch nicht getrennt waren. Dabei wird sich der ökumenische Dialog mit der Rolle des Papsttums, der Konzilien und auch des Mönchtums, also des geistlichen Lebens, beschäftigen. Im Gespräch mit den kirchlichen Partnern im Westen gehen wir weiter der Frage nach, wie die schon vorhandene kirchliche Gemeinschaft unter uns weiter wachsen kann und widmen uns den Themen des Kircheseins, des Lebens aus den Sakramenten und des kirchlichen Amtes.
POW: Sie kennen den Vatikan aus der Innenansicht. Glauben Sie, dass die Zeit schon reif ist für einen Papst aus der südlichen Hemisphäre?
Türk: Selbstverständlich gibt es überzeugende Vertreter der südlichen Ortskirchen, die diese Aufgabe mit großem Erfolg wahrnehmen können. Aber mehr als die Region, aus der ein Kandidat stammt, ist doch meiner Ansicht nach seine Person ausschlaggebend für seine Eignung für dieses Leitungs- und Dienstamt der Weltkirche. Darüber hinaus bin ich mir sicher, dass der Heilige Geist seine Wahl bereits getroffen hat, und es nun die Aufgabe der im Konklave versammelten Kardinäle ist, diesen Kandidaten durch ihre Wahl herauszufinden und zu bestätigen. Deswegen wird das gemeinsame und persönliche Gebet das wichtigste Tun der Papstwähler sein, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden, den von Gott berufenen Kandidaten zu finden.
(1013/0244; E-Mail voraus)
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