Liebe Schwestern und Brüder!
„Herr, bleibe bei uns!“ – diese Bitte der Emmausjünger bewirkte eine einzigartige Begegnung von Menschen mit dem auferstandenen Herrn Jesus Christus. Diese Bitte erwuchs in den Herzen der Emmausjünger aus einer beglückenden Begegnung und einem trostvollen Gespräch mit einem Weggefährten, bei dem den Jüngern „das Herz entbrannte“. Diese Bitte ließ die Jünger schließlich beim Brotbrechen den Herrn erkennen, seine österliche Gegenwart im Geheimnis der Eucharistie.
Wenn wir uns diese Bitte zu eigen machen – und wir sollen dies in dieser Stunde tun – können auch uns „die Augen aufgehen“ für das große Geheimnis unseres Glaubens, für das Geheimnis vom Leid und Blut Christi, von seiner bleibenden Gegenwart im Tabernakel.
Liebe Schwestern und Brüder!
Ja – diese Bitte der Emmausjünger „Herr, bleibe bei uns!“ ist eine glaubensstarke Bitte für uns Christen. Das Wort „bleiben“ ist zunächst ein ganz besonderes, inhaltsreiches und tiefreichendes Wort in der Heiligen Schrift. Mit dem Wort „bleiben“ bezeichnet Jesus besonders im Johannes-Evangelium seine eigene Lebenswirklichkeit. Jesus ist derjenige, „der in der Liebe des Vaters bleibt“ (Joh 15, 10). Und: Johannes der Täufer bezeugt: „Ich sah den Geist vom Himmel herabkommen wie eine Taube, die auf ihm (Jesus) blieb.“
Das göttliche trinitarische Lebensgeheimnis leuchtet bei diesem Wort „bleiben“ auf. Mit diesem Wort wird uns ein Blick in das innerste Wesen Gottes geschenkt: Gott ist der „Bleibende“, der „Ewige“. Der Mensch ist dagegen wie ein Schatten, „der bleibet nicht“. Und im Psalm 119 heißt es: „Herr, dein Wort bleibt ewiglich“. „Bleiben“ heißt auch und gerade im Munde Jesu eine wahre, feste und lebendige Beziehung zu haben, treu zueinander zu stehen. In Gott ist dies die personale Wirklichkeit: Jesus bleibt beim Vater – selbst in der dunklen Nacht des Kreuzes: „Vater, in deine Hände empfehle ich meinen Geist ...“ So lebt er, was er sagt: „Ich bleibe in seiner Liebe.“
Auch menschliche Liebe, besonders die Liebe bräutlicher Menschen, ist so angelegt, dass Menschen beieinander bleiben wollen, zu bleiben versprechen – ein Leben lang. Man kann nicht von wahrer Liebe sprechen, wenn man nicht beieinander bleiben will. Und so bittet auch Jesus seine Jünger: „Bleibt in meiner Liebe!“ – auch bei Versagen und Schuld. Jesus bleibt selber gerade in solchen Situationen bei uns. Siehe Petrus. Und Petrus ist bei Jesus geblieben.
Liebe Schwestern und Brüder!
Wir verehren hier in Walldürn Jesus in seiner bleibenden Gegenwart im Geheimnis des Altares. Ich denke: Dieser Wallfahrtsort ist vor Jahrhunderten entstanden, weil Menschen eine tiefe Glaubenseinsicht in das sakramentale Bleiben Jesu im Altarsakrament geglaubt und bekannt haben. Das Einzigartige des Altarsakramentes ist ja, dass Jesus wirklich und wahrhaftig in der Gestalt von Brot und Wein mit seinem Fleisch und Blut unter uns bleibt. In der Hostie und im Kelch des Altares ist mehr als ein Symbol, das uns auf Jesus hinweist. Nein – wir bekennen: Unabhängig von unserer Einsicht und sogar von unserer Glaubenskraft bleibt Jesus in den heiligen Gestalt gegenwärtig. Das Korporale von Walldürn ist nicht bloß ein Hinweis auf das Geheimnis des Altares; es trägt in den Spuren der eucharistischen Gestalten wirklich die bleibende Gegenwart Christi in sich: das Korporale ist gleichsam die Monstranz für das heilige Blut Jesu Christi. So kündet uns dieses heilige Blut auf dem Korporale von Walldürn das reale Bleiben Jesu – auch über Jahrhunderte hinweg – von der bleibenden Gegenwart des Gottesmenschen Jesu Christi in unserer Mitte. Wir verehren nicht das Tuch, sondern das Blut Christi, des gekreuzigten und österlichen Herrn. Darum habt Ihr Recht, hierher zu kommen. Ihr begegnet hier ihm, wie es die Emmausjünger erlebt haben. Die Blutspuren auf dieser Monstranz, dem Korporale, sagen uns: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eigenen Sohn für sie dahingab, nicht um die Welt zu richten, sondern zu retten.“ Eine Rettungsstation besonderer Art ist dieser Ort. Wer hierher kommt, der darf gewiss sein, dass er hier ihn findet, der uns das Leben gibt und es in Fülle gibt. Die Jünger von Emmaus haben den Herrn eingeladen: „Herr, bleibe bei uns“ und es heißt weiter: „Da ging ER mit hinein, um bei ihnen zu bleiben.“ Genau das ist die Situation der Kirche von Anfang an: Sie ist die Gemeinschaft, das wandernde Gottesvolk, das in jeder Eucharistiefeier die Erfahrung machen darf: „Jesus ist auch heute noch bei uns, wirklich und real – bis zum Ende unserer Wege.“
Dieser altehrwürdige Wallfahrtsort ist ein Ausdruck für die gläubige Gewissheit: „Jesus bleibt bei uns!“. Wenn wir also hier uns zusammenfinden, sagt uns Jesus: „Ich bin bei Euch – alle Tage bis zur Vollendung der Welt.“ Wir leben also in der österlichen Weg- und Tischgemeinschaft mit Jesus.
Liebe Schwestern und Brüder!
Brauchen wir denn als Einzelne und als Menschheit diese Erfahrung? Nun, wir können aus der Bitte der Emmausjünger wirklich die Sorge und die Not vieler Menschen heraushören, deren Leben geprägt ist vom Schatten des Kreuzes auf Golgotha. „Wir aber hatten gehofft ...“ Wie viele Hoffnungen müssen Menschen immer wieder begraben!? In wie vielen Erwartungen werden und wurden sie oft getäuscht? Wie viele gehen traurig und schweren Herzen ihren Weg – zuweilen auch bedrückt vom Schweigen Gottes? Mussten nicht die Emmausjünger denken und sagen: Wenn sogar ein solch wunderbarer Mensch wie dieser Jesus – mit so viel Gottvertrauen ein solches Ende fand, was können wir noch erwarten? Wer kann uns noch helfen? Wir aber hatten gehofft ...
Viele, die nach Walldürn kommen, fühlen sich in ähnlicher Stimmung und Lebenslage, wenn sie auf ihre Lebenssituation und unsere Weltlagen schauen. Der Schatten vom Golgothakreuz ist lang. Nach Walldürn zu gehen – seit Jahrhunderten – ist bei vielen ein Emmausweg. Darum gehen sie ihn, weil sie gerade beim Wallfahren und beim Verweilen an dieser Gnadenstätte des heiligen Blutes österliche Erfahrungen machen. Sie erfahren hier Begegnung mit dem Herrn – im Bußsakrament, in der Eucharistiefeier, im Verweilen vor dem Gnadenbild. Also beim Herrn, der sakramental bei uns verbleibt. Ja, viele Menschen spüren hier eine eigenartige Atmosphäre, eine dichte Nähe Jesu, der alles für uns hingab, bis zum letzten Blutstropfen seines Herzens. Sie erfahren, was auch den Emmausjüngern geschenkt wurde, mit den Worten der Heiligen Schrift beschrieben: „Er ging mit ihnen hinein, um bei ihnen zu bleiben.“
Vielen geht hier beim Herrn das Herz auf in Dankbarkeit und Lobpreis – und kommen deshalb immer wieder hierher zum 20., zum 30. – ja zum 50. Mal. Sie erfahren hier angesichts des heiligen Blutes in der Eucharistiefeier und im Korporale: So gottverlassen ist die Welt, sind wir gar nicht. „Musste nicht Christus all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen?“ Viele entdecken neu oder immer wieder, wie sehr der Herr unsere Wege mitgeht, unser Weggefährte ist, wie er bei uns bleibt. Viele kehren in ihren Alltag zurück und lassen auch andere etwas von ihrer Erfahrung, ihrer Freude am Herrn, erleben. Besonders wächst hier in Walldürn die Dankbarkeit für das wundervolle und wunderbare Geschenk der Eucharistie, aus der die Kirche lebt. „Herr, bleibe bei uns! Und ER ging mit ihnen hinein, um bei ihnen zu bleiben!“ Amen.
(2607/0961)