Aschaffenburg (POW) Das Stadtdekanat Aschaffenburg steht vor großen Veränderungen: Bis 2010 sollen die über 37.000 Katholiken in fünf Pfarreiengemeinschaften und zusätzlich von der Citypastoral betreut werden. In folgendem Interview spricht Stadtdekan Dr. Jürgen Vorndran über den aktuellen Stand der Errichtung der Pfarreiengemeinschaften im Dekanat Aschaffenburg-Stadt, über Probleme und Herausforderungen in der städtischen Seelsorge, über den Dialog mit den Religionen und über Visionen.
POW: Wie würden Sie den aktuellen Stand der Errichtung der Pfarreiengemeinschaften im Dekanat Aschaffenburg-Stadt umschreiben?
Dekan Dr. Jürgen Vorndran: In den vergangenen Jahren ist vieles in Bewegung gekommen. Während bis 2001 noch alle 13 Stadtpfarreien und die Kuratie Gailbach mit einem eigenen Pfarrer besetzt waren, sind es momentan zwölf und schon bald werden es nur noch neun sein. Da spüren die Menschen, dass es an der Zeit ist, zu handeln, weil es keine Lösung sein kann, nur abzuwarten, bis es einen trifft. Wir haben im Frühjahr und Sommer sehr intensive Gespräche auf allen Ebenen geführt. Dabei ist auch ein Bewusstsein für eine Stadtkirche in Aschaffenburg gewachsen: Wenn wir uns als eine Gemeinschaft im Stadtdekanat erfahren und nach dem Vorbild unseres Stadtpatrons Sankt Martin handeln, dann heißt Teilen nicht nur, dass wir dem, der nichts hat, etwas abgeben, sondern dass wir durch das Teilen vor allem selbst zu einer neuen Lebensform finden. So haben wir in Aschaffenburg zu einer neuen Lebensformel gefunden, indem wir die 14 Gemeinden in fünf Pfarreiengemeinschaften einbinden wollen, und zwar die Innenstadt als Mitte und darum vier Pfarreiengemeinschaften in den vier Himmelsrichtungen. Die Pfarreiengemeinschaft Süd ist dabei so groß, dass wir dort zwei leitende Pfarrer einsetzen wollen, von denen die Pfarrgemeinderäte in Absprache mit dem Dekan einen bitten werden, jeweils für den Zeitraum von zwei Jahren die Aufgabe des Moderators zu übernehmen.
POW: Wo liegen die besonderen Probleme, wo die besonderen Chancen in Ihrem Dekanat?
Vorndran: Aschaffenburg hat aus seiner jahrhundertealten Tradition als Residenzstadt der Mainzer Erzbischöfe eine geschichtlich gewachsene katholische Identität, die auch heute noch prägend ist. So ist Kirche nicht nur im Binnenraum der eigenen Pfarrei präsent, sondern wie selbstverständlich auch im öffentlichen Leben der Stadt. Ich sehe es als eine große Chance an, dass die Kirche vor allem auch im kulturellen Leben Aschaffenburgs einen festen Stand hat, der auch von vielen Fern- oder Außenstehenden als große Bereicherung gesehen und gewürdigt wird. Ebenso ist das Martinushaus mit dem Martinusforum als Zentrum der Erwachsenenbildung und den vielen weiteren Einrichtungen von der Caritas bis zum Seniorenforum und dem Jugendtreff „Katakombe“ ein Pfund, mit dem wir wuchern können und müssen. All das trägt dazu bei, die Identität einer Stadtkirche aus den einzelnen Pfarreien und Pfarreiengemeinschaften noch weiter auszubilden. Natürlich gilt auch für eine Stadt wie Aschaffenburg, dass da Grenzen besonders hoch gehalten werden, wo viele eng aufeinander leben. Darin besteht die große Versuchung gerade jetzt beim Entstehen der Pfarreiengemeinschaften, dass einzelne ihr Heil allein in der Abgrenzung suchen.
POW: Vor welchen Herausforderungen steht die Seelsorge im städtischen Bereich?
Vorndran: Die Herausbildung von fünf Pfarreiengemeinschaften kann nicht beschönigen, dass wir in den kommenden Jahren auch in Aschaffenburg vor einem gewaltigen Substanzverlust stehen, was unsere über Jahrhunderte gewachsene Struktur betrifft. Wird es gelingen, immer anspruchsvoller reagierende Menschen für den Glauben zu gewinnen, wenn doch so vieles Liebgewordene einfach wegbricht? Das kann nur gut gehen, wenn wir es wirklich schaffen, das Denken in Statussymbolen in den einzelnen Pfarreien zu überwinden und das gemeinsame Ganze in den Blick zu bekommen. Nur wo der einzelne bereit ist, etwas abzugeben und auf etwas zu verzichten, kann er selbst Kräfte freibekommen, um neue Aufgaben zu übernehmen. Wenn jeder nur an sich denkt und die eigene Fahne hochhält, werden uns im Nu die Kräfte schwinden. Wo bisher alle Pfarreien die ganze Bandbreite der Möglichkeiten abzudecken versuchten, wird es in Zukunft darum gehen, abzuklären, wer sich um welchen Schwerpunkt besonders annimmt. Nach dem Ringen um die Gestalt der Pfarreiengemeinschaften wird uns klar, dass damit noch überhaupt nichts gewonnen ist: Die große Herausforderung, vor der wir jetzt stehen, liegt darin, gemeinsam eine Vision der Seelsorge für Aschaffenburg zu entwickeln, die wir dann miteinander umsetzen. Anders wird es nicht mehr gehen, wenn wir uns nicht darauf reduzieren lassen wollen, dass jeder einzelne für seine Pfarreiengemeinschaft gerade mal eine Notversorgung sicherstellt.
POW: Welche neuen Ansätze der Citypastoral gibt es in Aschaffenburg?
Vorndran: Die Citypastoral ist Vorreiterin der eben genannten Vision. Sie setzt darin an, dass sie sich auf der Ebene der Stadtkirche von Aschaffenburg ansiedelt und sich in der Mitte der Stadt im Martinushaus, in der Sandkirche und in der Stiftsbasilika, vor allem auch der Stiftsmusik, verortet. Hier sollen für Menschen in Erwachsenenbildung, Spiritualität und Kultur Türen zum Glauben geöffnet werden und zwar in der Polarität von Niederschwelligkeit auf der einen und Tiefe auf der anderen Seite. Das kann in unserer Zeit die einzelne Pfarrei gar nicht mehr leisten. Dazu kommt, dass nicht nur in der Stadt viele Menschen unsere Pfarreien als verkernte Kerngemeinden erleben. Wer nicht immer schon dazugehörte, kommt nicht rein. Die Citypastoral will Türen offen halten und so auch gleichzeitig Türen in die Pfarreien hinein öffnen. Ob die Citypastoral in Aschaffenburg dazu auch den so genannten Gesprächsladen in der Fußgängerzone braucht, steht noch dahin.
POW: Wie wirkt sich der Einfluss des Großraums Rhein-Main auf die Seelsorge in Aschaffenburg aus?
Vorndran: Die Stadt hängt am Puls des Rhein-Main-Gebiets. Das ist unser wirtschaftliches Glück, das heißt aber auch für die Menschen Zwang zur Mobilität. Viele Arbeitnehmer, gerade Fachkräfte, wohnen nur eine kurze Zeit bei uns und werden dann in andere Großräume versetzt. Verständlich, dass sich solche Menschen nicht auf ihre Wohnortpfarrei einschränken lassen, sondern auf der Ebene der Stadt Aschaffenburg Ausschau halten, wo sie sich kirchlich angesprochen fühlen. So dringend wir die Wohnortpfarrei auch weiterhin als Lebensraum vor Ort erhalten müssen, so dringend brauchen wir die Stadtkirche, die durchlässig wird für verschiedene Bedürfnisse. Manche Erwartung werden wir nur an ganz bestimmten Orten erfüllen können. Nur so werden wir einer immer größer werdenden Bandbreite gerecht. Dazu muss es aber die einzelne Pfarrei zulassen, dass es Wanderbewegungen nach drinnen und draußen gibt.
POW: In Aschaffenburg leben zahlreiche Angehörige anderer Religionen. Was ist Ihrer Meinung nach im Dialog vor Ort mit anderen Religionen wichtig?
Vorndran: Es ist in den vergangenen Jahren gelungen, neun christliche Konfessionen in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen an einen Tisch zu bekommen. Dabei haben wir erlebt, wie wichtig es ist, fest in der eigenen Überzeugung verwurzelt zu sein, um ohne Berührungsängste auf andere zugehen zu können. Ich denke, es gilt das gleiche für den Dialog mit anderen Religionen. In Aschaffenburg gibt es Bestrebungen, wieder eine jüdische Gemeinde zu gründen. Muslime haben in verschiedenen Veranstaltungsräumen sechs Moscheen eingerichtet. Ein christlich-muslimischer Gesprächskreis trifft sich bereits. Demnächst soll es Vorgespräche über einen Dialog zwischen Muslimen und der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen geben.
POW: Was möchten Sie am ersten Fastensonntag 2010 im Blick auf das Dekanat Aschaffenburg-Stadt sagen können?
Vorndran: Dass wir fest im Glauben stehen und eine gemeinsame Vision gefunden haben, wie wir die Stadtkirche in Aschaffenburg in ihren fünf Pfarreiengemeinschaften und der Citypastoral seelsorgerisch mit Leben füllen. Es wäre fatal, wenn wir ein schönes neues Haus mit sechs geräumigen Zimmern gebaut hätten und dann feststellen müssten, dass unsere Möbel so nicht hineinpassen.
(3907/1325)