Würzburg (POW) Professor em. Dr. Karlheinz Müller gilt als Experte für die Geschichte der Würzburger Judengemeinde im Mittelalter. Im folgenden Interview äußert er sich zu den jüngsten Ausgrabungsergebnissen unterhalb der Würzburger Marienkapelle.
POW: Was bedeuten die Ergebnisse dieser Ausgrabungen für einen Historiker?
Professor em. Dr. Karlheinz Müller: Die Ausgrabungen bezeugen erstmals für das Jahr 1349 den Brand der Synagoge und wahrscheinlich des ganzen Judenviertels, den wir aus den historischen Chroniken kennen. Dazu kommt, dass jetzt ein Stück ältesten Judentums hier in der Stadt sichtbar ist: ein Teil des Mauerwerks der alten Synagoge, an deren Stelle später die Marienkapelle gebaut wurde.
POW: Worauf weist diese Brandschicht genau hin?
Müller: Die Brandschicht weist auf das Jahr 1349 hin, wo mit dem Vorwurf der Brunnenvergiftung die Würzburger Bürger die Juden umgebracht haben – und zwar ziemlich restlos. Es gab einige Flüchtlinge, aber die Gemeinde hörte damit praktisch auf zu existieren. Die geflohenen Juden kamen nicht mehr zurück. Es dauerte Jahrzehnte, bis sich hier wieder etwas jüdisches Leben bilden konnte.
POW: Sie haben Jahrzehnte an der Geschichte der Würzburger Judengemeinde im Mittelalter geforscht. Was empfinden Sie persönlich?
Müller: Ich muss schon sagen, dass mich die Brandschicht, die so unscheinbar aussieht, sehr bewegt hat. Darin enthalten sind Teile des Obergeschosses der Synagoge, die bis auf die Grundmauern abgebrannt ist und deren Asche sich in dieser Schicht sammelt. Der Anblick dieser Schicht hat mich emotional sehr bewegt.
POW: Dass es jetzt doch keine Mikwe an dieser Stelle gibt, wie man angenommen hatte,...
Müller: ... habe ich problemlos weggesteckt. Viel wichtiger ist das, was jetzt herausgekommen ist.
POW: Insgesamt eine Sensation?
Müller: Ja. Die Funde halte ich wirklich für eine Sensation. Danken darf ich besonders Generalvikar Dr. Karl Hillenbrand und Diözesanbaumeister Caesare Augusto Stefano für ihren Einsatz, um zu diesem Ergebnis zu kommen. Auch die Art und Weise, wie die Grabungsergebnisse dokumentiert sind, ist wirklich auf höchstem Niveau.
POW: Was wäre Ihnen künftig wichtig? Wie sollte man mit diesen Ausgrabungsergebnissen umgehen?
Müller: Ich würde es nicht für gut halten, wenn ganze Touristenströme hier durchgingen. Aber für bestimmte Gruppen sollte auf jeden Fall die Mauer und vor allem diese Brandschicht sichtbar bleiben. Beispielsweise könnten Schulklassen heruntergeführt werden, um ihnen die Funde zu zeigen. Die Führung müsste aber vom Wissen um die ganzen Vorkommnisse des Jahres 1349 begleitet werden.
Interview: bs (POW)
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