Hösbach (POW) Sieben Pfarreiengemeinschaften und zwei Einzelpfarreien mit insgesamt rund 49.000 Katholiken bilden künftig das Dekanat Aschaffenburg-Ost. In folgendem Interview spricht Dekan Robert Sauer (Hösbach) über den Stand der Errichtung von Pfarreiengemeinschaften im Dekanat Aschaffenburg-Ost, über fehlende hauptamtliche pastorale Kräfte, über die Zusammenarbeit in den weit entfernt gelegenen Spessartdörfern und über die Bedeutung der Wallfahrtsorte Schmerlenbach und Hessenthal.
POW: Wie würden Sie den aktuellen Stand des Prozesses der Errichtung von Pfarreiengemeinschaften im Dekanat-Ost umschreiben?
Dekan Robert Sauer: Die Priester und hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Dekanat haben die zeitliche Vorgabe, erster Fastensonntag 2010, zur Errichtung der Pfarreiengemeinschaften von Seiten der Diözesanleitung ernst genommen und sich gemeinsam mit den kirchlichen Gremien zur Erreichung dieses Ziels auf den Weg gemacht. Was mit der Gründung dieser neuen Seelsorgseinheiten letztendlich verbunden sein wird, dass das auch mit der Aufgabe vieler liebgewonnenen Gewohnheiten und Traditionen zusammenhängt, konnte bisher nur schwer bei verschiedenen Pfarrfamilienabenden, Gesprächsrunden und Sitzungen den uns anvertrauten Menschen in unseren Gemeinden vermittelt werden. Einzelne Pfarreiengemeinschaften wurden schon vor geraumer Zeit errichtet, wie zum Beispiel Bessenbach im Jahr 2005 oder die Pfarreiengemeinschaft „Hochspessart“ im Jahr 2007. Andere Pfarreiengemeinschaften stehen kurz vor der offiziellen Gründung. Einzelpfarreien wie Haibach mit den Filialen Grünmorsbach und Dörrmorsbach werden wohl in ihrer bisherigen Form zusammenarbeiten. In der Pfarrei Rottenberg, in der erst vor kurzem ein Pfarrerwechsel stattgefunden hat, werden noch viele Details der künftigen Zusammenarbeit in der Pfarreiengemeinschaft mit dem neuen Pfarrer nachgearbeitet werden müssen. Das wird wohl nicht mehr bis zum ersten Fastensonntag 2010 zu realisieren sein. Dass die offizielle Gründung einer Pfarreiengemeinschaft erst der Anstoß zu einem langen, wahrscheinlich sehr mühsamen und oft genug schmerzhaften Prozess sein wird, ist uns allen bewusst.
POW: Wo liegen die besonderen Probleme, wo die besonderen Chancen in ihrem Dekanat?
Sauer: Auch wenn unser Dekanat an die Stadt Aschaffenburg angrenzt und es in unmittelbarer Nähe zur Stadt große Pfarreien wie Haibach, Goldbach und Hösbach gibt, ist das Dekanat doch auch über weite Strecken ländlich geprägt, erstreckt sich dieses doch weit in den Spessart hinein. Die Seelsorgeteams der Pfarreiengemeinschaften oder Einzelpfarreien in unmittelbarer Stadtnähe werden in Zukunft sehr große Seelsorgseinheiten zu betreuen haben. Diese bewegen sich in der Größenordnung von 6000 bis 8000 Katholiken. In den ländlichen Gebieten unseres Dekanats gibt es Seelsorgseinheiten von 3500 bis 6000 Katholiken. Gerade die Priester sind auf diesem Hintergrund mit einer Vielzahl von Gottesdiensten und anstehenden Kasualien wie Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen zeitlich stark beansprucht. Von daher muss es ein vorrangiges Ziel sein, vor allem die leitenden Priester in unseren Pfarreiengemeinschaften von stets wachsenden Verwaltungsaufgaben zu entlasten. Der Priester muss sich gerade in dieser Zeit des Umbruchs immer stärker auf seine spezifisch priesterlichen Aufgaben konzentrieren können. In diesem Zusammenhang möchte ich auf unsere Würzburger „Priester-Initiative“ hinweisen, die diesbezüglich eine Reihe von guten, zukunftsorientierten Vorschlägen unterbreitet hat.
POW: Wie sind die anderen pastoralen Berufsgruppen im Dekanat vertreten?
Sauer: In unserem Dekanat konnten alle ausgeschriebenen Stellen für Gemeinde- und Pastoralreferentinnen und -referenten und Diakone – sechs an der Zahl – zum September 2009 nicht besetzen werden. Diese bedrückende Tatsache ist vor allem darauf zurückzuführen, dass in den zurückliegenden Jahren von Seiten unserer Diözese zu wenig Frauen und Männer für die genannten Berufsgruppen motiviert und schließlich auch nur in sehr begrenztem Umfang angestellt wurden. Der momentane Stellenplan stimmt mit dem vorhandenen Personal hauptamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur sehr begrenzt überein. Das bedeutet ganz konkret für die Situation vor Ort, dass vor allem für die zentrale, pastorale Aufgabe der Erstkommunion- und Firmkatechese in den Pfarreiengemeinschaften kaum Pastoral- und Gemeindereferenten zur Verfügung stehen. Wenn auch in Zukunft sehr gut überlegt werden muss, was die einzelnen Pfarreien innerhalb einer Pfarreiengemeinschaft gemeinsam auf den Weg bringen können – „der Blick über den eigenen Kirchturm hinaus“ wird entscheidend sein, wie gemeinsame Gottesdienste an Festtagen, Predigt- und Vortragsreihen, gemeinsame Prozessionen und Wallfahrten, pfarreienübergreifende Katechesen –, so gilt es dennoch, die Einzelpfarrei zu stärken. Fragen wie: „Welchen Schwerpunkt können wir setzen? Welche bewährte Tradition gibt es bei uns? Wie können wir als Gemeinde von ... Profil zeigen?“ sind nicht unwesentlich. Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit ist dort vorhanden, wo nicht das Gefühl entsteht, es wird uns nur weggenommen!
POW: Wie beeinflusst die Nähe der Stadt Aschaffenburg das kirchliche Leben in den Umlandgemeinden?
Sauer: Da zunehmend zu beobachten ist, dass die Menschen heutiger Zeit nicht mehr die enge Bindung an ihre Heimat-Pfarrgemeinde haben, wie es vor Jahren noch der Fall war, spielt natürlich die nahe Stadt Aschaffenburg mit ihren vielfältigen kirchlichen Angeboten eine entscheidende Rolle. In unserer Zeit wird den persönlichen Bedürfnissen entsprechend „ausgewählt“. Hat man zu früheren Zeiten fast selbstverständlich den Vorabend- oder Sonntagsgottesdienst in der Pfarrgemeinde vor Ort besucht, so spielen heute die Gottesdienstzeiten oder auch der jeweilige Pfarrer eine wesentliche Rolle bei der Entscheidung, welchen Gottesdienst ich besuche. Auch traditionelle Bindungen bestehen, wie zum Beispiel der generelle Gottesdienstbesuch bei einer Ordensgemeinschaft wie den Kapuzinern. Auch das Martinushaus spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle. Das breit gefächerte Angebot in der Erwachsenenbildung schlägt hier ebenfalls eine Brücke nach Aschaffenburg.
POW: Im Spessart sind Gemeinden oft weit voneinander entfernt. Wie kann hier eine Zusammenarbeit in einer Pfarreiengemeinschaft gelingen?
Sauer: Beispielhaft für eine Pfarreiengemeinschaft im Spessart ist „Sankt Hubertus im Spessart“, zu der die Gemeinden Rothenbuch, Waldaschaff und Weibersbrunn gehören. Diese wurde am Pfingstmontag 2009 offiziell errichtet. Der gemeinsame Weg dahin begann jedoch schon im Oktober 2000, als der damalige Pfarrer von Weibersbrunn und Rothenbuch in die Rhön wechselte und der Pfarrer von Waldaschaff auch noch für Rothenbuch und Weibersbrunn zuständig wurde. Da diese drei Pfarreien ihre je eigene Jahrhunderte alte Geschichte haben, ist es nicht einfach, Gemeinsamkeiten zu finden und zu entwickeln, damit es eine lebendige Pfarreiengemeinschaft wird. Erschwerend kommt die geografische Situation hinzu: die drei Gemeinden liegen durchschnittlich etwa zehn Kilometer voneinander entfernt. So war es ursprünglich sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, dass es vor Ort hauptamtliche Bezugspersonen gab. Das Modell des Pfarrbeauftragten war in drei Gemeinden des Dekanats etabliert – in Weibersbrunn, Rothenbuch und Hösbach-Bahnhof. Dieses Modell gehört leider der Vergangenheit an. Ein Element für eine gelingende Zusammenarbeit innerhalb der Pfarreiengemeinschaft ist die Kommunionkatechese. Die Gruppenleiterinnen treffen sich alle zusammen an einem Ort und werden gemeinsam für die einzelnen Katechesen von der Gemeindereferentin vorbereitet. Somit gibt es hier erste Kontakte über die eigene Pfarrei hinaus. Ein anderes wichtiges Element waren und sind die Treffen des Gemeinsamen Ausschusses, in dem die einzelnen Pfarrgemeinden als auch das Seelsorgeteam vertreten sind. Durch eine gute externe Begleitung ist im Gemeinsamen Ausschuss eine gute Atmosphäre und auch ein gutes Miteinander entstanden oder gewachsen. Diesem Gremium kommt in Zukunft sicherlich eine besondere Bedeutung zu, um die unterschiedlichen Anliegen und Interessen der einzelnen Pfarrgemeinden zusammenzuführen. Eine gelingende Zusammenarbeit zwischen den zum Teil weit auseinander liegenden Spessartdörfern kann nur in kleinen Schritten gelingen, was eines langen Atems, sehr viel Geduld und ständiger Ermutigung bedarf, damit die Bereitschaft bei den uns anvertrauten Menschen wächst, sich öfter einmal auf den Weg in eine Nachbargemeinde zu machen, um dort an einem Sonntag oder Feiertag die Messe mitzufeiern oder an einem besonderen Zielgruppengottesdienst teilzunehmen. Fazit: In dieser besonderen Situation fehlt ein „Mittelpunktsort“, was es oft schwer macht, Gemeinsamkeiten zu entwickeln.
POW: Was sollte künftig allein auf Ebene der Pfarreiengemeinschaft stattfinden?
Sauer: Selbst bei kritischer Betrachtung bieten Pfarreiengemeinschaften die Möglichkeit, das Bisherige auf dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und der begrenzten personellen Begebenheiten zu reflektieren. Daraus resultieren könnten dann die verstärkte Zusammenarbeit im Bereich der örtlichen Nachbarschaftshilfe, des Krankenbesuchsdienstes, sowie die Konzentration haupt- und ehrenamtlicher Kräfte in den Katechesen, der Jugend-, Familien- und Seniorenarbeit oder neu erkannter Zielgruppen innerhalb einer Seelsorgeeinheit.
POW: Der Kirchenabriss in Sailauf hat die Menschen vor Ort sehr bewegt. Wie wichtig sind Gotteshäuser vor Ort, auch für die kleinste Gemeinde, und wie könnten Sie mit Leben gefüllt werden?
Sauer: Gotteshäuser prägen nicht nur das Ortsbild einer Gemeinde oder dienen ihrer gottesdienstlichen Versammlung. Sie verorten sich auch in nicht gering zu schätzendem Maß in den persönlichen Biografien der Menschen. Sie sind der Ort, wo die Sakramente der christlichen Initiation gespendet, Ehen geschlossen werden oder ein sonstiges emotional tiefgehendes Ereignis im Mittelpunkt steht. Bei vielen Menschen, gerade auch solchen, die sich nicht (mehr) zur so genannten Kerngemeinde zählen, ist das Bedürfnis nach Räumen persönlich gelebter Spiritualität oder nach kleinen Gemeinschaften feststellbar. Das lässt sich meines Erachtens in der Errichtung von Kapellen ablesen, die in jüngster Zeit auf die Initiative von Privatpersonen oder überkonfessioneller Interessensgruppen zurückgehen. Sollte in einer Pfarrgemeinde ein Kirchenabriss unumgänglich sein, ist es entscheidend, dass diese einschneidende Maßnahme auf allen Ebenen transparent kommuniziert wird. Das ist in der Vergangenheit nur sehr bruchstückhaft gelungen.
POW: Schmerlenbach und Hessenthal sind zwei kleinere Wallfahrtsorte im Dekanat. Welche Bedeutung haben Sie für das gesamte Dekanat?
Sauer: Wie im allgemeinen Trend spüren auch die beiden Wallfahrtsorte etwas von der neuen Bewegung des „Unterwegsseins im Glauben“. In Schmerlenbach sind es nicht so sehr die großen Wallfahrtsgruppen, die die Ruhe, Einkehr und Besinnung im Gebet in der Wallfahrtskirche suchen. Gerade in der Verbindung des Exerzitienhauses, dem ansprechenden Garten und der Kirche genießen Menschen aus den umliegenden Pfarreien hier die Ruhe und die Zeit für das Gebet. Das gilt in Besonderem auch für Menschen, die auf der Suche nach einer neuen Heimat in der Kirche sind, weil sie diese in der Heimatpfarrei nicht mehr vorfinden. Offensichtlich wird dies auch durch die vielen Anfragen für Hochzeiten und Dankgottesdienste in der Wallfahrtskirche. Viel stärker noch als Wallfahrtsort erlebbar ist Hessenthal mit einer über 700-jährigen Geschichte als Stätte der Glaubenserfahrung. So besuchen über 100 Buswallfahrtsgruppen und zirka 20 Fußwallfahrtsgruppen während der Wallfahrtszeit das Marienbild in der Gnadenkapelle. Zielort ist die Wallfahrtskirche auch für sonntägliche Gottesdienstbesucher, denen die Gottesdienstzeiten in der Heimatpfarrei nicht gelegen kommen. Auch die Beweinungsgruppe von Tilman Riemenschneider und die Kreuzigungsgruppe von Hans Backoffen ziehen viele Kunstinteressierte an. Darüber hinaus ist der Wallfahrtsort Hessenthal auch eine Station auf dem Fränkischen Marienweg.
POW: Was möchten Sie am 1. Fastensonntag 2010 mit Blick auf das Dekanat Aschaffenburg-Ost sagen können?
Sauer: Der Anstoß zu einem sehr langen Prozess ist gegeben.
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