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„Es ist absolut kurzsichtig, diese Technologie weiterzuverfolgen“

Interview mit dem aus Kitzingen stammenden Professor Dr. Michael Rosenberger zur Katastrophe in Japan, zur Nutzung der Atomenergie und zum Energie-Mix der Zukunft – Rascher Ausstieg aus Atomenergie und maßvoller Lebensstil gefordert

Linz/Kitzingen/Würzburg (POW) Eindeutig spricht sich der aus Kitzingen stammende Priester und Moraltheologe an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz, Professor Dr. Michael Rosenberger (49), für Änderungen in der weltweiten Atompolitik aus: „Wir müssen schon sorgfältig überlegen, welche Risiken wir uns und vor allem unseren Kindern und Enkeln zumuten dürfen.“ Im folgenden Interview spricht Rosenberger über die Katastrophe in Japan, über die weltweite Atompolitik, über das Moratorium der Bundesregierung und über nötige Änderungen im Lebensstil jedes Einzelnen.

POW: Die Katastrophe in Japan beschäftigt auch die Menschen in Deutschland sehr. Welche Antwort kann die Theologie auf eine solche Zerstörung von Mensch und Natur geben?

Professor Dr. Michael Rosenberger: Auf die Frage nach dem Sinn von Naturkatastrophen kann die Theologie ebenso wenig eine Antwort geben wie jede andere Wissenschaft auch. Sie kann aber kritisch darauf achten, dass wir uns kein zu naives Gottesbild machen. Das wäre einerseits dann der Fall, wenn wir uns einseitig auf einen „lieben Gott“ verlassen und damit seine dunkle, geheimnisvolle und unverständliche Seite verdrängen, andererseits dann, wenn wir die Katastrophe platt und direkt als Strafe Gottes erklären wollten – etwa weil die Japaner zu wenig gläubig seien. Nein, es gilt das Unbegreifliche unbegreiflich zu lassen, das ist ein Ausdruck unseres Respekts vor Gott wie auch vor den Opfern.

POW: Sehen Sie eine solche Katastrophe als schicksalhaft gegeben oder kommt dem Menschen eine Teilschuld zu?

Rosenberger: Ein Erdbeben beziehungsweise ein Tsunami dieser Größenordnung ist vom Menschen weder machbar noch aufhaltbar. Insofern hat es etwas „Schicksalhaftes“, was in Japan geschehen ist. Allerdings kann der Mensch mehr oder weniger gut und vorausschauend versuchen, die Folgen einzugrenzen. In puncto Erdbebensicherheit haben die Japaner hier in den vergangenen Jahrzehnten vorbildlich gehandelt – praktisch kein einziges Haus ist durch die Erdstöße eingestürzt. Wenn man das mit Haiti oder Neuseeland vergleicht, wird einem die japanische Erdbebenvorsorge überdeutlich. Was die Tsunamigefährdung angeht, hat Japan allerdings nicht mit der gleichen Sorgfalt gehandelt: Wie können so viele Wohngebiete im potenziellen Tsunami-Überschwemmungsgebiet liegen? Wie können Atomkraftwerke so nahe an der Küste stehen? Das ist für mich nicht nachvollziehbar.

POW: Sind angesichts einer solchen Katastrophe Änderungen im Lebensstil des Menschen notwendig?

Rosenberger: Ja klar. Die Katastrophe ist eindeutig ein „Zeichen der Zeit“, wie es das Zweite Vatikanische Konzil nennt, und trägt eine Botschaft in sich. Im Lichte des Evangeliums würde ich diese Botschaft in zwei Richtungen deuten: Einerseits gilt es, demütiger und damit weniger technikgläubig zu leben und die Überheblichkeit abzulegen, die meint, wir Menschen könnten mit der Technik alles beherrschen und in den Griff bekommen. Das können wir nicht. Andererseits scheint mir in der Katastrophe ein Signal zu einem maßvolleren Lebensstil zu liegen. Wir dürfen nicht jeden Quadratmeter Land für uns brauchen; wir dürfen nicht Energie konsumieren ohne Grenzen; wir müssen lernen, dort zurückzustecken, wo die Grenzen der Tragekapazität der Erde erreicht oder überschritten sind.

POW: Die Menschen sind angesichts der Vorfälle in japanischen Atommeilern verunsichert und verängstigt. Sind jetzt Änderungen in der weltweiten Atompolitik gefordert?

Rosenberger: Eindeutig! Die bisherige Politik der meisten Industrieländer war zu unkritisch gegenüber den Energiekonzernen. Man hat die Risiken offenkundig unterschätzt, obwohl es immer auch kompetente warnende Stimmen gab. Doch die wurden als Panikmache und apokalyptische Schreckensszenarien abgetan. – Was wir dringend brauchen ist eine ehrlichere Risikoabschätzung und eine demokratischere Risikobewertung. Nicht jedes Risiko lässt sich ausschließen. Aber wir müssen schon sorgfältig überlegen, welche Risiken wir uns und vor allem unseren Kindern und Enkeln zumuten dürfen.

POW: Wie sieht die Moraltheologie die Atomkraft?

Rosenberger: Unter meinen moraltheologischen Kolleginnen und Kollegen gibt es vermutlich auch nach Fukushima Befürworter und Gegner. Aber die atomkritischen Stimmen dürften sich deutlich mehren. – Ich selber halte den raschen Ausstieg aus der Atomenergie nicht nur wegen der Risiken in den Kraftwerken für geboten, sondern auch aus zwei anderen Gründen: Erstens gibt es bis heute kein Konzept der Endlagerung. Und selbst wenn es ein solches gäbe, müssten die nachfolgenden Generationen die Last tragen – das ist ungerecht. Und zweitens reicht das Uran nur noch wenige Jahrzehnte – auch diese Ressource ist äußerst knapp. Daher ist es absolut kurzsichtig, diese Technologie weiterzuverfolgen.

POW: Wo liegen die Grenzen des Menschen bei der Nutzung der Kräfte der Natur?

Rosenberger: Objektive Grenzen gibt es leider nicht. Mir scheint aber, dass zwei Aspekte doch relativ klare Annäherungen an die Bestimmung der ethischen Grenzen erlauben: Einerseits das Vorsichtsprinzip, das gegenüber möglichen großen und lang anhaltenden Schäden äußerst skeptisch ist. Und andererseits das Prinzip der Gerechtigkeit gegenüber künftigen Generationen: Wir dürfen denen nicht unseren (Atom-)Müll hinterlassen, sondern müssen selbst für dessen Beseitigung sorgen.

POW: In Deutschland hat sich die Bundesregierung derzeit für ein Moratorium entschieden und die ältesten Kernkraftwerke vorübergehend stillgelegt. Ist dies Ihrer Meinung nach der richtige Weg?

Rosenberger: Grundsätzlich ist das ein erster Schritt auf dem richtigen Weg. Entscheidend wird aber sein, an welchen Kriterien sich die beabsichtigten Sicherheitsprüfungen orientieren werden. Diese Kriterien sollte die Regierung in einem möglichst breit angelegten Dialog der Fachleute wie auch der Bevölkerung erarbeiten. Dass man dafür dann mehr als drei Monate brauchen wird, scheint mir allerdings klar zu sein.

POW: Wie müsste ein Energie-Mix der Zukunft aussehen?

Rosenberger: An erster Stelle einer zukunftsfähigen Energiestrategie müssen auf jeden Fall die sogenannten „Nega-Watt“ (Amory Lovins) stehen, das heißt die nicht verbrauchten und damit eingesparten Watt. Je weniger meine Glühbirne, mein Haarföhn, meine Kaffeemaschine oder mein Kühlschrank verbrauchen, umso besser. Und je seltener ich Glühbirnen, Haarföhns, Kaffeemaschinen und Kühlschränke einschalte, umso besser. An zweiter Stelle steht dann ein intelligenter Mix der regenerativen und praktisch CO2-freien Energien Wasser, Wind, Sonne – wobei auch diese negative Nebenwirkungen haben können und daher differenziert einzusetzen sind. Erst an dritter Stelle steht die CO2-neutrale, aber eben nicht CO2-freie Biomasse – dort, wo sie die Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln nicht untergräbt. Fossile Energieträger haben in der Zukunft keinen Platz mehr. Damit freilich der „intelligente Mix“ realisierbar ist, brauchen wir eine dezentrale Energieerzeugung, ein engmaschiges und zugleich schlankes Leitungsnetz sowie erheblich bessere Speichermedien.

POW: Was raten Sie jedem Einzelnen als Konsequenz aus dieser Mega-Katastrophe?

Rosenberger: Ich rate ganz schlicht zu einem bewussteren und einfacheren Leben. Solange wir über die Herkunft unseres Stroms nicht nachdenken, dürfen wir uns über Katastrophen nicht beschweren. Wenn wir uns aber darüber klar werden, dass jeder Konsum auch Folgen hat, können wir ihn auf das nötige Maß begrenzen – und umso dankbarer genießen, was uns anvertraut ist.

Zur Person:

Michael Rosenberger wurde 1962 geboren und wuchs in Kitzingen auf. Nach dem Studium in Würzburg und Rom und seiner Priesterweihe 1987 in Rom wirkte er zunächst als Kaplan in Traustadt und Marktheidenfeld. 1993 wurde er nebenberuflicher Religionslehrer am Frobenius-Gymnasium in Hammelburg und gleichzeitig Seelsorger für Weyersfeld und Höllrich, wo er bis 2000 nebenamtlich wirkte. 1995 promovierte er an der Universität Würzburg. Ab 1996 war er wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Moraltheologie der Universität Würzburg und freigestellt zur Habilitation. 1999 habilitierte er sich im Fach Moraltheologie und wurde Privatdozent an der Universität Würzburg. Von 2000 bis 2002 half er zusätzlich in der Seelsorge in Würzburg-Heilig Geist mit und war Geistlicher Beirat der katholischen Friedensbewegung Pax Christi in der Diözese Würzburg. Seit dem Studienjahr 2002/2003 leitet Rosenberger das Institut für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz (KTU). 2004 wurde er auch in die Gentechnik-Kommission des Österreichischen Gesundheitsministeriums berufen und im selben Jahr zum Umweltsprecher der Diözese Linz ernannt. Von 2006 bis 2010 war er auch Rektor der KTU Linz, seit September 2010 ist er Prorektor. Rosenbergers Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Schöpfungsethik und Schöpfungsspiritualität, Determinismus und Willensfreiheit sowie Spiritueller Theologie. Er ist Mitglied der Europäische Gesellschaft für Katholische Theologie, der Internationalen Vereinigung für Moraltheologie und Sozialethik sowie der Arbeitsgemeinschaft Theologie der Spiritualität.

(1211/0344; E-Mail voraus)

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