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Dokumentation

„Es ist keine Fiktion, die hier inszeniert wird“

Predigt von Weihbischof Paul Reder in Sömmersdorf bei der Messfeier zum Abschluss der Passionsspiele 2024 am Sonntag, 18. August 2024

Liebe Schwestern und Brüder Christi,

liebe Mitwirkende bei den Passionsspielen,

in seinem Gedicht „An die Freunde“ beschreibt Friedrich Schiller (1759-1805) die Theaterbühne als „Bretter, die die Welt bedeuten”. Dieser Ausdruck wurde zurecht zum geflügelten Wort und er gilt in besonderer Weise auch für die Bühnenbretter hier in Sömmersdorf. Mit den Passionsspielen wird uns eine ganz eigene Welt bedeutet. Seit 1933 hier auf der Bühne ausgedeutet, was unsere Welt - bis heute - prägt und trägt.

Das Jahr der Erstaufführung ist schon ein erstes Indiz, welche Welt hier ausgedeutet wird. Denn der Beginn im Jahr 1933 errechnete sich an den 33 Lebensjahren Jesu. Am 6. Januar 1933 berief Papst Pius XI. ein „Außerordentliches Heiliges Jahr” ein – zur Erinnerung an das Sterben Jesu Christi, das sich nach damaliger traditioneller Berechnung vor 1900 Jahren ereignete. Damit wird uns schon ein erster Hinweis darauf gegeben, welche Welt uns diese Bretter hier bedeuten. Es ist keine Fiktion, kein Märchen oder eine klug ausgedachte Fabelei, die hier inszeniert wird. Bereits der 2. Petrusbrief des Neuen Testaments erinnert daran, dass sich das Leben und Sterben von Jesus Christus in den Dimensionen von Raum und Zeit ereignet haben, das heißt als konkrete menschliche Geschichte, die der Erinnerung wert ist. Darum betont der 2. Petrusbrief: „Denn wir sind nicht klug ausgedachten Geschichten gefolgt, als wir euch die machtvolle Ankunft unseres Herrn Jesus Christus kundtaten, sondern wir waren Augenzeugen seiner Macht und Größe.”

Für jede Fassung und Darstellung eines Passionsspiels gilt, dass vor Augen geführt wird, was sich an einem bestimmten Ort unter den damaligen Gegebenheiten der Zeit tatsächlich ereignet hat. Was zunächst wie ein Widerspruch klingt, nämlich „Passion” und „Spiel”, das trägt die Bezeichnung doch zurecht, weil im Schau-Spiel anschaulich dargestellt wird, was uns in den Passionserzählungen der Evangelien überliefert ist.

Damit sind wir bei einem weiteren wichtigen Punkt angelangt. Die Passion und ihre Überlieferungen sind nicht neutral. Es sind Glaubensurkunden. Es geht nicht um nüchterne Berichterstattung eines Prozesses und seiner Begleitumstände bis hin zur Exekutionsauführung. Glaubensurkunde meint, die Darstellung erschöpft sich nicht im Informativen. Sie gründet vielmehr in einer Überzeugung und will Glauben wecken, der bloßes Informiert-Sein und logisches Argumentieren übersteigt.

In der Passion Jesu wird uns nämlich nicht nur eine religiöse Welt von damals vor 2000 Jahren vor Augen gestellt. Vielmehr wird unsere Welt ausgedeutet, die Lebenswelt von uns Menschen, die in ihrer Größe und ganzen Abgründigkeit darin vorkommen. Vielleicht hat es seinen tiefen Sinn, dass Passionsspiele vielerorts an Freilichtbühnen wie hier in Sömmersdorf oder in einer Art von Mysterienprozession im Freien stattfinden. Kein Schauspielhaus mit den Begrenzungen von Wänden und Dach kann ein Ereignis fassen, das von seiner Bedeutung her die Grenzen von Raum und Zeit übersteigen will.

Im Kern des Geschehens steht eine dramatische Ereigniskette, die Menschen miteinander verbindet. Wollten wir es in zwei Sätzen umschreiben, was die Passion Jesu kennzeichnet und darin von allen anderen Leidensgeschichten dieser Welt unterscheidet, könnten wir sagen. Die Passion zeigt, wie sich Sünde unter uns ereignet und welche Folgen sie hat, indem sie Menschen von voneinander und von Gott trennt. Und das Passionspiel zeigt, wie sich Erlösung ereignet und welche Folgen sie hat, indem sie - in Jesus - neu Menschen untereinander und mit Gott verbindet.

Im Evangelium heute geht es nicht um Bretter, die die Welt bedeuten. Jesus deutet sich selbst aus als „Brot des Lebens.” Diese Selbstaussage bezieht sich auf ein wesentliches Element seiner Passion, nämlich auf das, was sich am Vorabend seines Kreuzestodes bei der Zusammenkunft mit seinen Jüngern ereignen wird.

Die provokative Rede Jesu von seinem „Fleisch”, das er „für das Leben der Welt gibt” ist in ihrer Anstößigkeit durchaus gewollt. Jesus gibt sich nicht nur symbolisch oder fiktiv hin, sondern total, ganz und gar als Mensch, der wahrer Gott ist. Und mehr noch: in der Mahlgemeinschaft, die Jesus anbietet, schenkt er sich selbst als Lebensmittel, das den „Neuen Bund”, also die neue Verbundenheit mit Gott und miteinander, stärkt.

In jeder Messfeier sind wir eingeladen, Jesus als Brot des Lebens zu uns zu nehmen. Im Mahl soll uns in Fleisch und Blut übergehen, was wir hier mit Jesus feiern: seine Leidenschaft, die sogar tödlich verwundet nicht aufhört zu lieben, seinen Frieden, der Versöhnung stiftet, weil er den trennenden Abgrund der Sünde im Tod durchlebt hat, sein neues Leben, das uns schon jetzt geschenkt ist und über diese Welt und Zeit hinausführen wird. Darum tun wir, was er uns zu seinem Gedächtnis aufgetragen hat. Wir spielen nicht Passion. Und doch ereignet sie sich unter uns. Wir stehen unter seinem Kreuz und begegnen dem auferstandenen Herrn. Und das bedeutet für uns die Welt und ist im christlichen Glauben nicht zu überschätzen. Amen.