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„Es ist wichtig, dass wir Genussfähigkeit entwickeln“

Interview mit Professor Dr. Michael Rosenberger über sein neues Buch „Im Brot der Erde den Himmel schmecken“

Würzburg/Linz (POW) „Im Brot der Erde den Himmel schmecken. Ethik und Spiritualität der Ernährung“, lautet der Titel des neuen Buchs von Professor Dr. Michael Rosenberger, Professor für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz. Der aus Kitzingen stammende Priester der Diözese Würzburg ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe zur Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung und der Arbeitsgemeinschaft Theologie der Spiritualität und forscht zu Themen der Umwelt- und Tierethik. In folgendem Interview erläutert er seine Thesen zu Spiritualität und Ernährung.

POW: Herr Professor Dr. Rosenberger, wie kamen Sie auf das Thema „Ethik und Spiritualität der Ernährung“?

Professor Dr. Michael Rosenberger: Ich beschäftige mich seit rund zehn Jahren mit dem Thema Ernährung. Damals wurde mir erstmals die Verbindung von Eucharistie, konkreten Mählern und ethischen Fragen der Ernährung bewusst. Als Priester verstehe ich mich als jemand, der die Menschen nährt – das war mein persönlicher und unmittelbarer Zugang zu diesem Thema. Im christlichen Glauben spielt zudem das Abendmahl eine besondere Rolle. Nur die Christen glauben, dass Gott Mensch geworden ist, und die Eucharistie ist nochmals die Verdichtung dieser Glaubensüberzeugung. Glauben zu dürfen, dass in diesem so grundlegenden Vollzug der menschgewordene Gott lebendig ist, das ist schon gigantisch.

POW: In vielen Religionen ist das Thema Ernährung mit Geboten und Verboten verknüpft.

Rosenberger: Eigentlich kennen alle Religionen Regeln für das Essen und Trinken. Im Judentum zum Beispiel wird sehr stark unterschieden zwischen dem, was man essen darf und was nicht. Auch in unserem alltäglichen Umgang mit Speisen steckt viel religiöses Brauchtum, wie im Tischgebet oder im Segnen des Brots, bevor es geschnitten wird. Man sollte nicht unterschätzen, wie tief das in uns drinsteckt. Vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil waren die Vorschriften für das Essen und Trinken noch umfangreicher. Beim Fasten zum Beispiel ging das bis hin zu den genauen Uhrzeiten, zu denen es beendet werden durfte. Es gab das Gebot der „eucharistischen Nüchternheit“, das heißt, man durfte vor der Eucharistie nichts essen oder trinken, nicht einmal einen Tropfen Wasser. Das alles war für die Gläubigen nicht immer einfach einzuhalten. Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat man deshalb beschlossen, den Menschen mehr Eigenverantwortung zu geben.

POW: Heutzutage legen sich viele Menschen freiwillig Verbote im Umgang mit Speisen auf. Was sagen Sie zu Ernährungstrends wie Vegetarismus oder Veganismus?

Rosenberger: Der Verzicht auf Fleisch und auf die Nutzung von Tieren beinhaltet meiner Ansicht nach religiöse Züge. Darin spielen Vorstellungen von einer heilen Welt eine wichtige Rolle. Nach einer Studie der Universität Jena ist der Prozentsatz der Vegetarier unter den Nicht-Gläubigen höher als unter den christlich glaubenden Menschen. Menschen, die wenig mit den etablierten Religionen anfangen können, brauchen offensichtlich etwas anderes, um ihre Religiosität auszuleben. So wie wir sagen „Ich bin Christ“ gehört es zur Identität dieser Menschen, zu sagen „Ich bin Vegetarier“ oder „Ich bin Veganer“. Aber auch in der Kirche war Vegetarismus lange Zeit ein fester und hoch geschätzter Bestandteil. So lebten zum Beispiel die Zisterziensermönche vegetarisch, Kartäuser tun das auch heute noch. Es galt als Zeichen der Vorwegnahme des Paradieses. Das ging erst in den vergangenen Jahrhunderten verloren, vermutlich durch den steigenden Wohlstand der Bevölkerung. Ich würde mich freuen, wenn die kirchliche Wertschätzung für den Vegetarismus wieder steigen würde.

Veganer nutzen ja überhaupt keine Tiere oder Tierprodukte und sind somit stärker auf chemisch erzeugte Produkte angewiesen. Das kann aus ökologischer Sicht fragwürdig sein. Ein Beispiel: Ich kann eine Bienenwachskerze verwenden und nutze damit die Bienen. Ich kann stattdessen eine synthetisch hergestellte Kerze nehmen, die aber für ihre Produktion eventuell giftige Stoffe benötigt, welche die Umwelt schädigen. Oder Baumwolle: Für ihre Herstellung werden viel Wasser und Pestizide verwendet, häufig ist die Baumwolle auch gentechnisch verändert – so zahle ich letztlich einen höheren ökologischen Preis. Das ist unser Leben: Wir verfolgen positive Ziele, müssen dabei aber Kompromisse eingehen. Aus diesem Konflikt kommt auch ein Veganer nicht heraus.

POW: Stichwort Gentechnik: Viele Menschen sehen darin einen unzulässigen Eingriff in die Schöpfung.

Rosenberger: Das Schöpfungsargument ist kein gutes Argument gegen die Gentechnik. Gentechniker nutzen letztlich nur jene Mechanismen, die bereits in der Schöpfung zugrunde gelegt sind. Sie erschaffen nichts Neues. Also ist es keine Schöpfung im Sinne des christlichen Glaubens, dass der Schöpfer etwas aus dem Nichts ins Sein ruft. Aber auch das Argument, dass man mit Gentechnik den Hunger in der Welt bekämpfen könne, zieht nicht. Papst Franziskus hat auf der Welternährungskonferenz daran erinnert, dass genügend Lebensmittel für alle da wären. Zwei Drittel der hungernden Menschen leben auf dem Land, vor Äckern mit Mais und Soja, quasi vor dem gedeckten Tisch. Aber sie haben keinen Zugang zu diesen Lebensmitteln, weil der Acker einem Großgrundbesitzer gehört, der die Ernte auf dem Weltmarkt verkauft. Das eigentliche Problem ist also die Verteilung von Lebensmitteln. Wenn durch die Gentechnik die Bewirtschaftung von riesigen Flächen begünstigt wird, halte ich das für ethisch bedenklich. Für Kleinbauern ist gentechnisch verändertes Saatgut einfach zu teuer in der Anschaffung.

POW: In vielen Ländern hungern die Menschen, in den Industrienationen scheint dagegen die Zahl derjenigen zuzunehmen, die an einer Essstörung leiden.

Rosenberger: Es hat in der Geschichte der Menschheit schon immer Menschen gegeben, die unter einer Essstörung litten. In einer auch heute noch sehr stark von Männern dominierten Gesellschaft ist eine Essstörung für eine Frau eine Möglichkeit, sich den herrschenden Machtstrukturen zu verweigern. In der Kirchengeschichte ist hier die heilige Katharina von Siena (1347-1380) sehr gut erforscht. Ihre Eltern wollten sie verheiraten. Weil sie das nicht wollte, hat sie streng gefastet. Dadurch hat sie letztlich erzwungen, dass sie nicht heiraten musste. Katharina hat das strenge Fasten in ihr Glaubenskonzept integriert und ein Stück weit auch durch eucharistische Frömmigkeit kompensiert. Ihre Familie und ihr Umfeld haben schon zu ihren Lebzeiten respektiert, wie sie ihr Leid aus ihrem Glauben heraus gedeutet hat. Man sah sie nicht primär als schwach, sondern war beeindruckt, wie sie mit ihrem Glauben umgegangen ist. Heute dagegen heißt es: Diese Menschen sind krank, sie müssen therapiert werden. Das ist für die Betroffenen nicht immer weiterführend. Manchmal wäre es besser, zu fragen: Wie kannst Du dein Leiden in den Horizont eines Lebens einbringen, das trotzdem zufrieden ist?

POW: Kann man überhaupt noch ohne schlechtes Gewissen das Essen genießen?

Rosenberger: Genuss ist mir ein Herzensanliegen. Ich finde es wichtig, dass wir Genussfähigkeit entwickeln. Jesus wird als „Fresser und Säufer“ beschimpft, aber dahinter steckt doch die Beobachtung, dass er das Leben genießt. Deswegen weist er das auch nicht zurück. Ich glaube, da können wir noch etwas lernen. Echter Genuss ist ein Zeichen von verantwortungsvollem und sorgsamem Umgang mit Lebensmitteln. Wenn ich ein Stück Fleisch esse und das wirklich genieße, dann brauche ich nicht so viel und zeige eine große Wertschätzung des Tiers, von dem es genommen wurde. Wer wirklich genießt, wird keine Billiglebensmittel essen, sondern darauf achten, dass zum Beispiel Fleisch tiergerecht erzeugt wurde.

POW: Zum Abschluss noch eine praktische Frage: Viele Kommunionkinder fragen sich, wie der Leib Christi in der kleinen Hostie stecken kann. Wie würden Sie das erklären?

Rosenberger: Das kann man sehr gut mit Hilfe von anderen Symbolen und Zeichen erklären, in denen Menschen präsent sind. Wenn ein Kind von seinem Paten oder seiner Patin zum Beispiel eine Kette mit einem Kreuz geschenkt bekommt, dann ist in dem Kreuz auch immer der Schenkende präsent. Das Geschenk erinnert das Kind daran: Dieser Mensch denkt an mich und begleitet mich. So ist es auch in der Eucharistie. Jesus vertraut uns etwas an als heiliges Zeichen, und in diesem Zeichen können wir gewiss sein, dass er bei uns ist, dass er mit uns dieses Brot bricht.

Michael Rosenberger: Im Brot der Erde den Himmel schmecken. Ethik und Spiritualität der Ernährung. 446 Seiten. 34,95 Euro. oekom verlag München 2014, ISBN 978-3-86581-687-0.

sti (POW)

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