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Schwerpunktthema „Einsamkeit“

„Es wird einfach ein Teil des Lebens“

Timo Heilig erzählt im Porträt, wie es ist, einsam zu sein – Plötzliche Krankheit der Mutter war Schicksalsschlag für die ganze Familie

Aschaffenburg (POW) „Ich nehme am Leben nur teilweise teil, und das zu merken tut weh“, erzählt Timo Heilig. Er spricht sehr offen über das Auf und Ab seines Lebens. Er ist Anfang 40, 1,75 Meter groß, wiegt 65 Kilo. Er hat ein markantes Gesicht, trägt eine Brille mit großem Rand und lächelt leicht. Timo Heilig lebt in einer Ein-Zimmer-Einliegerwohnung in seinem Elternhaus. Arbeiten kann er aufgrund seiner psychischen Erkrankungen im Moment nicht. Aber er kann seine Gefühle gut in Worte fassen.

Der siebenjährige Timo erlebte einen Schicksalsschlag – einen, der sein Leben prägt. Seine Mutter wurde bei einem Routineeingriff zum Pflegefall. Ein Rechtsstreit folgte und kostete die Familie Nerven, Geld und Zeit. In diesen Jahren war Timo Heilig häufig bei ihr im Krankenhaus. Er erinnert sich an seinen achten Geburtstag dort: umgeben von Ärzten und surrenden Maschinen. In der Zeit, als sie im Krankenhaus behandelt wurde, lebte Timo Heilig als Pflegekind bei seiner Tante. Die Wochenenden verbrachte er bei seinem Vater oder eben im Krankenhaus.

Nach dem Krankenhausaufenthalt pflegten Timo Heilig und sein Vater die Mutter zu Hause. Es blieb nicht viel Zeit für Freizeitaktivitäten. „Ich hatte viel Spielzeug, aber wenige Spielkameraden“, erinnert er sich. Noch vor seiner Geburt haben seine Eltern ihre Tochter mit acht Jahren bei einem Autounfall verloren. Das führte auch dazu, dass Timo Heilig zu Hause der Prinz war, wie er es selbst beschreibt. Dennoch erfuhr er außerhalb seiner Familie nicht viel Anerkennung, ein stabiles soziales Umfeld fehlte. Die Belastung durch die Situation spiegelte sich in seinem Essverhalten: Timo Heilig wurde übergewichtig und die Zielscheibe von Mobbing in der Schule. Den Schulabschluss schaffte er auch beim zweiten Anlauf nicht. Sein Selbstwertgefühl war im Keller, und auch heute gehören Selbstzweifel zu Timo Heilig dazu, genau wie das Gefühl der Einsamkeit: „Mir geht es zwar in Phasen besser, wenn ich Freunde bei mir habe, aber das hält nur sehr kurz. Kaum bin ich wieder daheim und alleine fehlt einfach das, was den meisten Menschen gegeben ist: eine Partnerin, mit der man sich austauschen kann“, erzählt er.

Sich das Problem bewusst zu machen, habe ihn viel Überwindung gekostet. Dabei begleitet ihn das Gefühl der Einsamkeit beinahe sein gesamtes Leben. Akut wurde es in einer Zeit, in der viele Jugendliche mit sich selber im Unreinen sind: Als Jugendlicher seien die Probleme mit seiner Mutter und in der Schule für ihn greifbar geworden. „Hinzu kam, dass ich abgewiesen worden bin und gesehen habe, wie andere ihr Glück gefunden haben und ich das einfach nicht leisten konnte“, erinnert er sich.

Zu dieser Zeit merkte Timo Heilig, dass es hilft, sich mitzuteilen. Seit seiner Jugend besucht er deshalb Beratungsstellen und Ärzte. Seine psychischen Erkrankungen, wie zum Beispiel Depressionen und Waschzwang, wurden und werden dort behandelt. Er macht bis heute viel Sport und normalisierte dadurch sein Gewicht. Doch das Gefühl der Einsamkeit zu therapieren ist schwierig. Vielmehr hat Timo Heilig gelernt, damit zu leben: „Es wird einfach ein Teil des Lebens, man nimmt das hin. Es gibt Phasen, da ist es weniger ausgeprägt, aber es ist nie ganz weg.“

Nie ganz weg ist auch die Belastung durch die Krankheit seiner Mutter. Im Jahr 2017 kämpfte sie um ihr Leben, während Timo Heilig in diesem Jahr erneut von dem seinen enttäuscht wurde: Seine damalige Freundin verließ ihn. Mit jedem Rückschlag werde es schwerer, sich zu öffnen, erklärt er. Die Hoffnung nehme ab und die Selbstzweifel zu. Rückschläge habe er viele erlebt. Dazu gehören schlechte Erfahrungen beim Onlinedating, die Abweisung von Frauen im echten Leben und Brüche in Freundschaften. Der Weltschmerz käme dazu. Sieht er in den Nachrichten leidende Menschen oder gar Kinder, fühlt er stark mit ihnen mit. Diese Empathie lässt seinen Lebensmut noch schwächer werden.

2017 kam seine Mutter ins Pflegeheim, dort besucht Timo Heilig sie auch heute beinahe täglich. „Ich habe eine sehr enge Beziehung zu meinen Eltern. Vermutlich enger als die meisten Menschen, besonders in meinem Alter“, reflektiert er. In seinem Alltag besucht er seine Mutter und führt den Hund seiner Tante aus. Sein größter Ausgleich ist das Nordic Walking. Das mache er nicht nur, um sein Gewicht zu halten, sondern auch, um einen klaren Kopf zu bekommen: „Das funktioniert draußen sehr viel besser als zu Hause im Zimmer, weil da kreisen die Gedanken ständig um einen herum. Auch wenn einem beim Laufen Wut und Enttäuschung mal überkommen, so gibt es einem doch eine gewisse Freiheit und Kraft.“

Magdalena Rössert (POW)

(0322/0058; E-Mail voraus)

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