Hinweis

Ihre Browserversion wird leider nicht mehr unterstüzt. Dies kann dazu führen, dass Webseiten nicht mehr fehlerfrei dargestellt werden und stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Wir empfehlen Ihnen, Ihren Browser zu aktualisieren oder einen der folgenden Browser zu verwenden:

Reportage

„Etwas für die Seele“

Sonderführung für Blinde und Menschen mit eingeschränkter Sehfähigkeit im Museum am Dom

Würzburg (POW) „Wenn Sie möchten, dürfen Sie das Kunstwerk jetzt berühren.“ Berühren? Museumspädagogin Dr. Yvonne Lemke hat drei Stühle vor ein Kunstwerk von Käthe Kollwitz aufgestellt und setzt sich auf den vierten. Die Bronzeplastik ist eine Selbstdarstellung der Künstlerin mit ihrem toten Sohn. Lemke gibt eine detailgetreue Beschreibung der alten Frau, die um ihren im Zweiten Weltkrieg gefallenen Sohn trauert. Diese Führung ist keine alltägliche Führung im Würzburger Museum am Dom. Sie ist speziell für blinde Menschen und Menschen mit eingeschränkter Sehfähigkeit gestaltet. Die Sonderführung findet vierteljährlich unter wechselnden Mottos statt. Dieses Mal setzt Lemke den Fokus auf das Thema Frauen. Im Lauf der Führung stellt sie den Besucherinnen Werke von Käthe Kollwitz, Barbara Back und Friedrich Press vor.

Lemke beschreibt die verschiedenen Handschuhe, die in einer kleinen Kiste am Boden vor dem Kunstwerk liegen. Zwei Besucherinnen möchten Stoffhandschuhe, eine Besucherin lieber die Plastikhandschuhe, um das Kunstwerk beim Betasten besser spüren zu können. „Sind das die Beine?“, fragt eine Frau. Lemke bejaht. „Das ist ja schön fein. Aber wo sind die Augen?“, möchte eine andere Besucherin wissen, als sie an der Reihe ist, die Figur zu befühlen. Die Frau habe die Augen geschlossen, erklärt Lemke.

Das nächste Kunstwerk können die Besucherinnen nicht anfassen, da es hoch an der Wand hängt, aber Lemke hat eine Lösung: „Jetzt gebe ich Ihnen mal etwas in die Hand.“ Sie reicht einen Stoff herum. Die Frauen versuchen, das Material zu erraten. „Baumwolle“, „Filz“, „relativ steif“ und „Babywindel“ sind ein paar der Beschreibungen. Es handle sich um Molton, löst Lemke auf. Ein naturweißer Baumwollstoff, der vor allem in der Bühnentechnik verwendet wird, da er sich gut einfärben lässt. Für das moderne Kunstwerk habe die Künstlerin Barbara Back den Stoff gekämmt, damit er rauer wird, und in einer Lösung gewaschen, damit er dichter und filziger wird. 2012 habe die Künstlerin diesen Stoff entdeckt. Das Werk, das den Namen „Die Verweilung“ trägt, ist „kein stilles und kein aufdringliches Kunstwerk“, erklärt Lemke. Es ginge darum, den Formen nachzuspüren, in welche die zwei zusammengenähten Stoffe aus Molton geschlagen wurden. Die Stoffe an der Wand sind links geschlossen und rechts offen. Oben zusammengenäht und einmal umgeschlagen. Nach der Beschreibung reicht Lemke kleine Stoffvierecke herum, damit die Besucherinnen spüren können, wie unterschiedlich sich die Materialien anfühlen können. Der Titel passt offensichtlich zum Werk. Die Besucherinnen verweilen lange vor der Wand und unterhalten sich über das Werk.

Lemke nimmt sich Zeit, die Kunstwerke ausführlich zu beschreiben, und vermittelt detailliertes Hintergrundwissen zu den Künstlerinnen und Werken. So auch bei dem letzten Kunstwerk der Führung, das von einem Mann stammt. Friedrich Press war nach dem Krieg ein angesehener Holzbildhauer der DDR und gestaltete dort über 40 Jahre lang Kirchen aus. Zur NS-Zeit waren seine Werke Teil der entarteten Kunst, da sie sich mit der Zeit von figürlicher Kunst zur Abstraktion wandelten. Sein Sohn schenkte dem Museum am Dom später das gesamte Lebenswerk von Press. Auf einem Ausstellungstisch stehen zwei Holzbüsten. Eine davon ist ein Porträt von Berta, Press‘ Großmutter, und eine etwas kleinere daneben eine Heilige Jungfrau. Ein letztes Mal heißt es für heute: Handschuhe an! „Die gefällt mir schon sehr gut“, freut sich eine Besucherin, als sie über die Locken der Jungfrau streicht. „Ne, ich finde die Oma besser, die ist so lebensecht“, antwortet eine andere Frau. „Die Ohrläppchen bitte vorsichtig anfassen“, mahnt Lemke zwischendurch. Eine Besucherin sucht nach dem Loch auf dem Kopf der Heiligen Jungfrau auf dem einst eine Krone befestigt war. „Jetzt hab ich es!“, ruft sie.

Die Besucherinnen hatten heute merklich Spaß an der Führung. „Es hat mir gefallen. Ich hätte gerne noch mehr gehört“, berichtet eine Frau am Ende. „Es tut so gut. Diese Führung ist etwas für die Seele. Man hat die Zeit und Ruhe, etwas genauer zu betrachten.“

Vincent Poschenrieder (POW)

(4822/1331; E-Mail voraus)

Hinweis für Redaktionen:Fotos abrufbar im Internet