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Europas menschliches Gesicht gezeigt

Vier Helfer der Würzburger Gemeinschaft Sant‘Egidio haben auf der griechischen Insel Lesbos Geflüchtete betreut – Katastrophale Lebensbedingungen und Perspektivlosigkeit im Lager Moria

Würzburg/Lesbos (POW) 15.000 Menschen auf dichtestem Raum, katastrophale sanitäre Verhältnisse, kaum medizinische Versorgung, keine Freizeitangebote für Kinder und kein Schulunterricht. Das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos steht für die humanitär dunkle Seite der europäischen Flüchtlingspolitik. Pfarrerin Angelika Wagner und die jungen Erwachsenen Franziska Müller (22), Johannes Reder (25) sowie Mohamad Albdewi (21) von der Gemeinschaft Sant’Egidio aus Würzburg haben Anfang Augst zehn Tage dort verbracht, um „ein menschliches Gesicht Europas zu zeigen“, wie sie sagen. Dank der guten Kontakte der Gemeinschaft sei es Sant’Egidio gelungen, trotz des Corona-Lockdowns eine Genehmigung für die Aktion zu bekommen. Die griechische Regierung sei in den vergangenen Monaten zunehmend restriktiv gegenüber den Nichtregierungsorganisationen (NGOs). „Ärzte ohne Grenzen“ hätten wegen der vielen Einschränkungen ihre Corona-Station wieder geschlossen.

Schon im Vorjahr hatte die kirchliche Gemeinschaft Sant’Egidio, die sich stark in sozialen Projekten engagiert, ihre Mitglieder aus ganz Europa nach Lesbos zu einem „Sommer der Solidarität“ eingeladen. Insgesamt 150 Mitglieder, neben Deutschen unter anderem auch Italiener und Polen, leisten dort den ganzen August über Dienst, jeweils in Gruppen von rund 40 Personen. „Wir selbst haben während unseres Aufenthalts Essen ausgegeben, ein Beschäftigungsprogramm für die Kinder organisiert und Englischkurse gegeben“, erzählt Wagner. Coronabedingt sei alles immer mit Abstand und Masken, die die Helfer auch an die Flüchtlinge verteilten, erfolgt. „Auch wenn es wichtig ist, sich gegenseitig vor einer Infektion zu schützen: Wir wollen als Gemeinschaft nicht hinnehmen, dass durch die Pandemie alles blockiert wird.“

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Albdewi berichtet davon, dass er als Übersetzer und bei der Essensausgabe eingespannt war. Er habe aber auch täglich mit vielen Kindern und Jugendlichen Fußball gespielt. Müller organisierte unter anderem Spielprogramme für gleichzeitig mehrere hundert Kinder, Maltische oder eine Station, bei der Kinder zu Musik tanzen und toben konnten. „Viele von ihnen haben das erste mal seit langem wieder gelacht“, sagt die Studentin. Auch das Knüpfen von Freundschaftsbändchen sei rege gefragt gewesen, erzählt Albdewi und zeigt an seinem Handgelenk eines, das er im Lager geschenkt bekomme habe.

Die Angebote von Sant’Egidio finden außerhalb des Kernlagers statt, erzählt Müller. „Im ursprünglichen Teil leben auf für 3000 Personen vorgesehenem Raum etwa 5000 Menschen, rund um das Lager nochmal etwa 10.000 Personen in Behelfsquartieren.“ Es gebe in diesem Bereich nur eine offene Kanalisation, der Gestank von Fäkalien und Müll liege in der Luft. „Viele Menschen schlafen auf Pappkartons und sind so nachts ungeschützt vor Ratten und Schlangen“, sagt Wagner. Hinzu käme die ständige Gefahr durch Feuer, die von griechischen Rechten immer wieder im Lager entzündet würden.

Rund 80 Prozent der Lagerinsassen seien aktuell Afghanen, Syrer seien nur noch eine kleine Minderheit. „Was allen gemeinsam ist, ist die Verzweiflung angesichts der Hoffnungslosigkeit und der fehlenden Perspektiven“, sagt Albdewi. Er selbst kam im August 2015 ebenfalls über Lesbos nach Deutschland und hat inzwischen Bleiberecht. Im Lager sei heute die Situation der Menschen aus Syrien besonders prekär: Weil diese durch das Abkommen der EU mit der Türkei in Europa kein Recht auf Asyl mehr haben, bekommen sie weder Geld noch Nahrungsmittel.

Von anfangs 300 sei die Zahl der Teilnehmer am Abendessen von Sant’Egidio auf bis zu 750 Personen gestiegen. Für sie alle kocht den ganzen August über ein Küchenteam vor Ort ein warmes Essen. „Immer möglichst proteinreich, mit viel Gemüse, denn das Essen im Lager ist, haben uns die Menschen erzählt, so schlecht, dass man es selbst mit Hunger kaum verzehren kann“, erklärt Wagner. In einer Halle unweit des Camps werde abends immer schön eingedeckt, auch als Zeichen der Wertschätzung für die Geflüchteten. „Die Kinder machen dann immer ganz große Augen“, berichtet die Pfarrerin. „Das allerwichtigste aber ist, und das haben wir immer wieder gehört, dass wir den Leuten einfach zuhören. ‚Ich fühle mich heute zum ersten Mal seit ganz langer Zeit wieder als Mensch‘, hat mir ein Mann gesagt“, erzählt Albdewi. Wagner berichtet vom Schicksal, das ihr eine Flüchtlingsfamilie bei einem Abendessen geschildert hat. Mehrfach sei diese vom Festland zurück auf die Insel geschickt worden. Die Tochter der Familie sei dann auch von einem griechischen Polizisten vergewaltigt worden, das Kind abgetrieben worden. „Wir haben auf der Flucht auch noch unsere Würde verloren“, habe der Vater gesagt.

In Deutschland wird in den Augen der vier Helfer von Sant’Egidio zu oft pauschal negativ über die Flüchtlinge geurteilt. „Es sind viele Kinder und Familien auf Lesbos. Jeder einzelne ist ein Mensch, der auf der Suche nach einem guten Leben ist. Und viele im Lager sagen zurecht: Wir leben hier in Moria schlechter als Tiere.“

Sant’Egidio setzt sich seit langem für so genannte „Humanitäre Korridore” ein, durch die Geflüchtete in europäischen Ländern Aufnahme erhalten und von der Zivilbevölkerung mit Hilfe der Kirchen und anderer Organisationen Unterstützung zur Integration erhalten. „Dieses Programm wurde in Italien und anderem europäischen Ländern erfolgreich durchgeführt, auch mit 60 Flüchtlingen aus Lesbos, und soll weiterhin durchgeführt werden“, sagt Wagner.

mh (POW)

(3520/0868; E-Mail voraus)

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Beitrag der Fernsehredaktion des Bistums zum Thema