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Flammen des Niedergangs oder der Läuterung?

Bischof Dr. Franz Jung diskutiert unter anderem mit Bundesministerin a. D. Annette Schavan in der Marienkapelle über das Buch „Die Kirche brennt“ von Sant’Egidio-Gründer Andrea Riccardi

Würzburg (POW) Wie kann die Kirche den aktuellen Herausforderungen begegnen? Über diese Frage haben am Dienstagabend, 13. Juni, auf Einladung der Gemeinschaft Sant’Egidio Bundesbildungsministerin a. D. Annette Schavan, der evangelisch-lutherische Bischof em. Dr. Markus Dröge, Bischof Dr. Franz Jung und Pfarrer Dr. Matthias Leineweber von Sant’Egidio in der Würzburger Marienkapelle diskutiert. Anlass der Veranstaltung war das aktuelle Buch von Andrea Riccardi mit dem Titel „Die Kirche brennt. Krise und Zukunft des Christentums“. Der Gründer der Gemeinschaft Sant‘Egidio, emeritierter Professor für Geschichte und von 2011 bis 2013 italienischer Minister für „Internationale Zusammenarbeit und Integration“, nahm das Feuer in der Kathedrale Notre-Dame in Paris zum Anlass, auf die Situation der katholischen Kirche in Europa zu schauen.

Schavan hob insbesondere die Klarheit hervor, mit der Riccardi das Auseinanderdriften Europas beschreibe. Es gebe immer härtere Positionen, die sich unversöhnlich gegenüberstünden, und auch der Nationalismus sei im Aufwind. Hinzu komme, dass 72 Prozent der jungen Niederländer sich mit keiner Religion identifizierten. „Ähnliches passiert in ehemals katholisch geprägten Ländern wie Spanien und Irland.“ Dabei dürfe nicht vergessen werden, dass ohne die überzeugten Katholiken Alcide de Gasperi, Robert Schuman und Konrad Adenauer die EU nicht existierte. „Sie waren überzeugte Christen und weitblickende Politiker. Wo sind solche Politiker heute?“, fragte Schavan. Zugleich sprach sie vom „Dilemma der Frauenfrage“. Der Zugang zu Weiheämtern für Frauen, den sie selbst befürworte, stoße in Osteuropa und Afrika auf Widerstand. Papst Johannes Paul II. habe stets betont: „Es kann sich alles ändern“, obwohl es zeitgleich Stimmen gab, die noch bis in den Spätsommer 1989 sagten: „Die Mauer wird nie fallen“. „Fromm sein und politisch sein gehören zusammen“, betonte Schavan. Viel Applaus bekam sie zudem für die Feststellung: „Es ist nicht so richtig faszinierend für die Menschen, Leute zu erleben, die immer nur am Rückbauen sind.“

Bischof Jung lobte den weiten Blick von Riccardi. Dieser sei unglaublich belesen. Die Nachricht vom April 2019, dass die Kathedrale in Flammen stehe, habe er selbst zunächst nicht glauben können. „Vielfach habe ich dort selbst schon Gottesdienste gefeiert, unter anderem mit dem Kardinal die Chrisammesse“, sagte Bischof Jung. Er kritisierte, dass der Autor in dem Buch viele Phänomene des Niedergangs beschreibe, aber die pfingstlichen Flammen nicht vorkämen. Das Feuer der Läuterung stelle vieles auf den Prüfstand, ermögliche aber auch Veränderung. Wenn Metall erwärmt werde, ließe es sich in neue Formen gießen. Laut Bischof Jung sieht Riccardi in seinem Buch verschiedene Papstfiguren als Repräsentanten verschiedener Formen des Kirche-Seins. So habe Papst Benedikt XVI. durch seinen Rücktritt deutlich gemacht: Nichts ist mehr von Dauer. „Umgekehrt ist das ein Zeichen von Lebendigkeit.“ Papst Franziskus wiederum habe die Volksfrömmigkeit aufgewertet und sei persönlich in den Krisenherden der Welt präsent. Riccardi werte in seinem Buch den kirchlichen Traditionalismus als Flucht in die Vergangenheit. Das Plädoyer von Benedikt XVI. für „kreative Minderheiten“ sei aber für den Autor auch keine Lösung. Auch dem Nationalkatholizismus erteile der Gründer von Sant’Egidio ein klare Absage. Wenig überraschend ist laut Bischof Jung, dass in Riccardis Vorschlägen für die Zukunft viel Sant’Egidio zu finden sei: die Zuwendung zu den Armen, eine Kirche, die nicht um sich selbst kreist. „Jeder echte Kampf für die Welt ist auch ein Kampf für das Christentum“, fasste Bischof Jung zusammen.

Für Bischof em. Dröge, der von 2009 bis 2019 die Evangelische Kirche Berlin-Brandburg-schlesische Oberlausitz leitete, ist „Die Kirche brennt“ „spannend zu lesen wie ein Krimi“. Es sei in erster Linie eine Analyse der römisch-katholischen Kirche. Ein roter Faden des Buchs sei der Widerstreit zwischen Traditionalisten und Reformwilligen. Riccardi beschreibe immer wieder, wie Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus einen dritten Weg versuchten. Dröge ermunterte, Koalitionen mit Menschen zu suchen, die christliche Werte leben, ohne diese so zu nennen. In der evangelischen Kirche gebe es ähnliche substantielle Probleme. Es sei daher wichtig, Menschen in ihrer Suche anzusprechen, gemeinsam mit den Katholiken. Wichtig sei, von Gottes Liebe her zu leben und Räume der Barmherzigkeit zu schaffen. Es gelte, aufmerksam zu schauen, was sich ergebe, und auf den Heiligen Geist zu vertrauen.

Pfarrer Leineweber kennt den Sant’Egidio-Gründer seit 40 Jahren persönlich. Deswegen hob er hervor: „Riccardi jammert nicht, auch wenn er viele Krisenpunkte darstellt.“ Mit Krisenphänomenen habe die Kirche schon zu jeder Epoche zu kämpfen gehabt. In jüngerer Zeit habe sie beispielsweise gegen Nationalsozialisten und die DDR-Diktatur ums Überleben gekämpft. Heute gehe es um die Frage, wie das Evangelium in die Gegenwart übersetzt werden könne. „Nationaldenken in der Religion grenzt den Fremden, den anderen aus.“ Die Eucharistie wolle Verbindung schaffen. Und Leineweber betonte: „Die Armen sind Vollmitglieder der Kirche und Träger der Evangelisierung.“

Andrea Riccardi: „Die Kirche brennt: Krise und Zukunft des Christentums“.Echter-Verlag, Würzburg 2023, 288 Seiten, 19,90 Euro, ISBN‎ 978-3429057053.

mh (POW)

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