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„Frieden braucht Erinnerung“

Gedenken an Deportation Würzburger Juden vor 77 Jahren – Weihbischof Boom warnt vor Verlust der Würde des Menschen – Dr. Josef Schuster: „Der Antisemitismus ist wieder in der Mitte der Gesellschaft angekommen“

Würzburg (POW) „Wir gehen heute diesen Weg schweren Herzens und mit dunklen Gedanken. Wir können uns heute nicht vorstellen, was hier vor 77 Jahren geschah.“ Anlässlich der ersten Deportation von Juden aus Würzburg im Jahr 1941 haben am Dienstagabend, 27. November, Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, und weitere Redner davor gewarnt, wohin die Ausgrenzung von Menschen im schlimmsten Fall führen kann. Vom Domvorplatz zogen rund 350 Personen schweigend mit Kerzen zum Mainfrankentheater. Dort befand sich damals die Schrannenhalle. Da der Vorplatz aufgrund der Theatersanierung derzeit eine Baustelle ist, führte der Zug in diesem Jahr weiter durch die Eichhornstraße bis kurz vor der Theaterstraße. Organisiert wurde die Gedenkveranstaltung von der Gemeinschaft Sant’Egidio und der Israelitischen Kultusgemeinde.

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Weihbischof Ulrich Boom warnte vor dem Kiliansdom vor einem neuen Antisemitismus in der Gesellschaft. „Wo der Mensch sich über den Menschen erhebt, wird die Würde des Menschen nicht nur verletzt, sondern mit Füßen getreten.“ Wer den Dom betrete, sehe zuerst einen siebenarmigen Leuchter: „Die Menora aus dem Tempel in Jerusalem erinnert an unsere Wurzeln und Gemeinsamkeiten mit dem Judentum.“ Zugleich sei sie eine Ermahnung, dass „von unseren Vorfahren viele weggeschaut haben, als jüdische Bürgerinnen und Bürger aus unserer Stadt und unserem Land weggebracht und in den Tod getrieben wurden“. In der Botschaft von der Gotteskindschaft habe Antisemitismus keinen Platz, sagte der Weihbischof. „Wo wir den Bruder und die Schwester vergessen, haben wir Gott vergessen. Kein noch so frommes Denken und Handeln hebt die Schuld und die Sünde gegenüber dem Menschen auf.“

Max von Egidy, stellvertretender Dekan der evangelisch-lutherischen Kirche in Würzburg, erzählte von einem Gespräch mit seinen Kindern. Die Jüngste, zehn Jahre alt, habe ihn gefragt, woran an diesem Abend erinnert werde und was mit den Menschen damals geschehen sei. In den Reaktionen seiner Kinder sei „das Erschrecken greifbar“ geworden. „Wir versuchen Worte zu finden, damit die Opfer nicht vergessen werden, damit die Schuld nicht vergessen wird.“ Es gebe laute Stimmen, die ein Ende der Erinnerung fordern, sagte Egidy. Aber das Erinnern sei „lebensnotwendig“ für die Gesellschaft. „Sie würde vergessen, wohin Ausgrenzung führen kann. Es kann nur dann ein friedliches Miteinander geben, wenn wir uns an den Schrecken und das Leid erinnern. Frieden braucht Erinnerung.“

„Heute vor 77 Jahren wurden 202 Würzburger Juden bei Nacht und Kälte durch die Stadt getrieben. Nur 16 Menschen überlebten. Heute gehen wir gemeinsam ein Stück des Weges, den diese unglücklichen Menschen gehen mussten“, erinnerte Schuster. Mit großer Sorge betrachte er das Anwachsen rechtspopulistischer Parteien in Deutschland und Europa. Jude sei auf den Schulhöfen wieder ein Schimpfwort geworden. „Der Antisemitismus ist wieder in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, stellte er fest. Um der eigenen Ehre und Würde wegen dürfe man das nicht zulassen. „Wir wollen gemeinsam für eine Gesellschaft eintreten, in der Schwache gestärkt und Fremde willkommen geheißen werden. Dazu soll die Erinnerung an diese schreckliche Nacht beitragen.“ Ausdrücklich dankte Schuster der Gemeinschaft Sant’Egidio dafür, dass sie die Erinnerung seit so vielen Jahren wachhalte.

Die Geschehnisse vor 77 Jahren zeigten, „wie schnell die zivilisatorische Oberfläche aufreißen kann und sich Abgründe auftun“, sagte Oberbürgermeister Christian Schuchardt. Die Mechanismen der Angst, die damals die Menschen in den Nationalsozialismus getrieben hätten, würden auch heute noch wirken: „Es werden wieder Ängste geschürt, Fremdenfeindlichkeit gedeiht, die Saat des Hasses fällt auf fruchtbaren Boden. Das Klima in der Gesellschaft ist härter geworden.“ Im vergangenen Jahr seien laut einer Studie bundesweit 1453 Straftaten gegen Juden und jüdische Einrichtungen registriert worden. „Dass Menschen angepöbelt und angefeindet werden, nur weil sie Juden sind, ist mir unverständlich.“ Er appellierte an die Zuhörer, gemeinsam für die Achtung der Menschenwürde, für Freiheit und Demokratie einzustehen. „Lassen Sie uns gemeinsam eine offene, friedliche, solidarische Stadtgesellschaft verwirklichen.“

Es werde wieder gegen Juden, Muslime und Flüchtlinge gehetzt, das Recht auf Asyl in Frage gestellt, die Existenz von Gaskammern geleugnet, mahnte Pfarrerin Angelika Wagner von der Gemeinschaft Sant’Egidio. Trotzdem sehe sie ein „Licht am Ende des Tunnels“: „Unser heutiger Zug ist ein Zeichen, dass wir gemeinsam Angst und Wut begegnen. Ich sehe das Licht in den Kerzen, in den Gesichtern. Es darf niemals ausgelöscht werden.“

Zum Abschluss der Veranstaltung meldeten sich junge Menschen von der Gemeinschaft Sant’Egidio zu Wort. „Es liegt ans uns, solche Untaten wie die Deportation vor 77 Jahren nie wieder zuzulassen“, sagte Elias Oppenrieder (22). Jeder könne einen Teil dazu beitragen. Sant’Egidio tue das beispielsweise in der Schule des Friedens, in der Kinder mit unterschiedlichen Hintergründen zusammenkommen. „Wir versuchen im Kleinen, eine bessere, friedlichere Welt ohne Ausgrenzung und Hass zu schaffen. Das heutige Gedenken soll uns allen, ganz besonders uns jungen Menschen, Mahnung und Auftrag sein, unseren persönlichen Teil zu dieser friedlichen Welt ohne jegliche Ausgrenzung beizutragen.“

„Ich weiß, wie es ist, wenn man ausgegrenzt wird. Deshalb ist es wichtig, an die Vergangenheit zu erinnern“, sagte Zahra Jafari (15) aus Afghanistan. Sie lebe mit ihrer Familie seit drei Jahren in Deutschland. „Leider werden wir als Geflüchtete oft beschimpft, aber es gibt auch viele Menschen, die helfen. Wir müssen uns kennenlernen ohne Vorurteile, zusammen können wir eine friedliche Gesellschaft aufbauen“, appellierte sie an die Zuhörer.

sti (POW)

(4918/1241; E-Mail voraus)

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