Würzburg (POW) Staatliche Barmherzigkeit oder keine Gnade für Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt? Professor Dr. Stephan Ernst, Moraltheologe an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Würzburg, erläutert seine Sicht der Dinge und spricht unter anderem darüber, wann vorzeitige Haftentlassung ein Zeichen von Schwäche ist. Außerdem erklärt er, warum Reue in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist.
POW: Herr Professor Ernst, was sind Ihre persönlichen Eindrücke von der derzeit mit Schärfe geführten Diskussion um eine vorzeitige Entlassung der zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten RAF-Terroristen Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar?
Professor Ernst: Diese Diskussion wird meiner Meinung nach deswegen so scharf und emotional geführt, weil es bei den Straftaten der ehemaligen RAF-Terroristen nicht nur um gewöhnliche Gewaltverbrechen geht, sondern um solche Verbrechen, durch die gezielt die Grundlagen unserer demokratischen Verfassung und Rechtsordnung in Frage gestellt wurden.
POW: Was genau meinen Sie?
Ernst: Es geht ja nicht nur um Verbrechen, die – wie viele andere Verbrechen auch – einzelnen Angehörigen Leid verursacht haben, sondern es geht um Verbrechen, die unser ganzes Gemeinwesen bedroht haben. Entsprechend ist es verständlich, dass die Strafen so hart ausfielen und dass die Frage, ob man die ehemaligen RAF-Terroristen nun – nach über zwanzig Jahren Haft – auf ihr Gesuch hin begnadigen soll oder nicht, heftig umstritten ist. Der Wunsch ist verständlich, dass der Staat alles tun müsse, damit eine solche Bedrohung sich nicht wiederholt.
POW: Was ist aus Sicht des Moraltheologen wichtiger: Gnade für die Terroristen oder die von Gegnern angeführte gerechte Strafe für deren Taten und Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Verbrechen?
Ernst: In der Frage sind zwei Grundhaltungen angesprochen, die sich gegenseitig ergänzen müssen: Eine Gerechtigkeit, die nur straft, aber keine Gnade kennt, gerät allzu leicht zu inhumaner Härte. Und eine Barmherzigkeit, die nicht auch konsequent strafen kann, wird allzu leicht ausgenutzt.
POW: Was bedeutet das im aktuellen Fall?
Ernst: Zunächst hat die Allgemeinheit einen Anspruch darauf, vor Straftaten und terroristischen Anschlägen geschützt zu werden. Und der Staat hat konsequent dafür zu sorgen, dass ein solcher Schutz vor Verbrechern gewährleistet ist. Solange deshalb davon ausgegangen werden muss, dass verurteilte Kriminelle solche Taten wieder verüben werden, wenn man die Strafe aussetzte, kann es für sie keine „Gnade“ geben. Andererseits kann ein humanes Gemeinwesen eine Strafe nicht um der bloßen Rache willen aufrechterhalten, sondern muss auch bereit sein, jenen, die ihre Verbrechen aufrichtig bereuen und nun für die Gesellschaft keine Gefahr mehr darstellen, zu vergeben, sie wieder aufzunehmen und ihnen eine neue Chance ihres Lebens einzuräumen. Der Staat könnte damit eine Humanität zeigen, die die Terroristen, die diesen Staat bekämpft haben, seinerzeit nicht aufbringen konnten.
POW: Beweist der Staat Stärke oder Schwäche, wenn er von ihm verhängte Strafen nicht voll einfordert?
Ernst: Das hängt meines Erachtens davon ab, aus welchen Gründen der Staat darauf verzichtet, die Strafe voll einzufordern. Es hängt davon ab, ob die Gründe für die Aussetzung der Strafe angemessen sind oder nicht. Ein Staat zeigt Stärke, wenn er auf die weitere Vollstreckung einer Strafe verzichtet, weil sie ihr Ziel bereits erreicht hat, insofern etwa der Täter sich glaubwürdig von seinem Verbrechen distanziert hat und von ihm keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit ausgeht. Eine Fortsetzung der Strafe hätte dann eigentlich keinen rechtfertigenden Grund mehr und wäre nur noch ein Ausdruck von Rachegefühlen und Vergeltungsdenken. Ein Zeichen von Schwäche hingegen wäre es, wenn der Staat auf die Bestrafung von Übeltätern verzichten würde, weil etwa Sympathisanten der Täter mit Gewalt Druck auf ihn ausüben, er also Freipressungsversuchen nachgäbe.
POW: Wie beurteilen Sie die Position der Angehörigen der RAF-Opfer, die in einer Entlassung von Klar und Mohnhaupt eine Art von Missachtung der Würde der Opfer sehen?
Ernst: Ich meine, dass die Würde der Opfer nur dann missachtet würde, wenn man ihre Mörder freiließe, ohne dass diese sich zuvor glaubwürdig und klar von ihrer Tat distanziert haben, man also davon ausgehen müsste, dass sie nach wie vor zu ihrer Tat stehen und sie innerlich bejahen. Wenn hingegen Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar aufrichtig sinngemäß etwa bekennen würden, dass sie ihr Unrecht erkannt haben, dies zutiefst bereuen und um Vergebung und eine neue Chance bitten, dann würde ich in einer Begnadigung der Täter keine Verletzung der Würde der Opfer sehen.
(0507/170; E-Mail voraus)
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