Würzburg/Marktheidenfeld (POW) „Familien empört Euch!“ lautet die Online-Petition, für die der Familienbund der Katholiken (FDK) im Bistum Würzburg wirbt und mit der er für Gerechtigkeit für Familien kämpft. Im Interview spricht Michael Kroschewski (48), seit 2007 Vorsitzender des Familienbunds, über Benachteiligungen von Familien bei den Sozialversicherungen und den Verbrauchssteuern, nennt Belastungen und Sorgen heutiger Familien. Kroschewski ist Oberstudienrat für Mathematik und Katholische Religion am Balthasar-Neumann-Gymnasium in Marktheidenfeld, verheiratet und Vater von vier Töchtern. Für ihn steht fest: „Kinder sind und bleiben wertvoll, liebenswert, ein Segen.“
POW: Sie engagieren sich seit fünf Jahren als Vorsitzender des FDK im Bistum Würzburg. Macht es eigentlich noch Spaß, sich aktuell für Familien in unserer Gesellschaft einzusetzen?
Michael Kroschewski: Meistens macht es mir Freude – ich bin ein Mensch, der politisch denkt und für den politisches Handeln in einer Demokratie unabdingbar ist. Ich halte den Auftrag der katholischen Verbände zur Weltgestaltung für äußerst wichtig und richtig. Und genau aus dem Grund spüre ich manchmal auch Frustration: Ich würde mir mehr Engagement, mehr Diskussion, mehr Teilnahme wünschen.
POW: Was versteht der Familienbund unter Familie?
Kroschewski: Das ist eine sehr schwere – und doch sehr wichtige Frage. Auf der Suche nach politischen Lösungen sollte man wissen, worüber man redet. „Familie ist wo Kinder sind“ – so nett diese Definition klingt, so albern ist sie, nach ihr wäre jeder Schulbus eine Familie. „Vater, Mutter und Kind(er)“? Mir scheint: „Wo mindestens zwei Generationen – aus biologischen oder rechtlichen Gründen – füreinander Verantwortung übernehmen“ ist ein denkbarer Versuch.
POW: Wie erleben Sie Familie heute?
Kroschewski: Privat? Mein Anker und Halt! Natürlich gab und gibt es auch Mühe und Streit – aber das kann die Freude, die Entwicklung, das Erleben von Sinn in keiner Weise aufwiegen, und gehört auch irgendwie dazu, hält jung und frisch. Das soll keine rosa Brille sein. Natürlich weiß ich auch um die Belastungen, eine der größten aus meiner Sicht ist das mangelnde Verständnis weiter Teile unserer Gesellschaft: Kinder sind auch mal laut, mit Kindern muss man sich auch auseinandersetzen – notfalls auch an der Supermarktkasse. Nicht alle Kinder „funktionieren“ in der Schule so, wie „man“ das gerne hätte. Und dennoch sind und bleiben die Kinder wertvoll, liebenswert, ein Segen.
POW: Sie werben für die Unterschriftenaktion „Familien empört Euch!“. Worum geht es dabei?
Kroschewski: Das Bundesverfassungsgericht hat schon 1992 und dann 2001 klar dargelegt, dass die Leistung, die Familien durch ihre Kinder für den Erhalt vor allem der Sozialversicherungssysteme erbringen, nicht adäquat ausgeglichen wird. An diesem Missverhältnis hat sich kaum etwas geändert, was dramatische Folgen hat: Die Zahl der Geburten hat sich seit den Sechzigern halbiert, die Zahl der Kinder, die im Sozialhilfevollzug stecken, hat sich ungefähr versechzehnfacht. Natürlich ist die Finanzausstattung der Familie nicht alleine verantwortlich für den demographischen Wandel – aber dass es sich hier um eine klare Ungerechtigkeit handelt, ist klar, und dass diese Folgen hat, ist doch hoch wahrscheinlich.
POW: Sie beklagen eine strukturelle Ungerechtigkeit gegenüber Familien. Was heißt das?
Kroschewski: Da gibt es viele Facetten, ganz kurz gesagt: Solange das ifo-Wirtschaftsforschungsinstitut berechnet, dass eine Familie mit jedem Kind, das sie erzieht, zirka 75.000 Euro für Staat und Gesellschaft erwirtschaftet – und da sind alle Familienförderungen, alle Schul- und Ausbildungskosten schon gegengerechnet –, solange ist die Gesellschaftsstruktur rücksichtslos gegenüber Familien. Nehmen wir zwei junge Frauen in den Zwanzigern, zum Beispiel meine beiden älteren Töchter. Nehmen wir an, eine entscheidet sich für eine berufliche Karriere und gegen Kinder, die andere dafür, beruflich eher etwas kürzer zu treten und Kinder zu wagen. Beide erwerben über ihre Erwerbsarbeit beziehungsweise die Kindererziehungszeiten Rentenanwartschaften – nebenbei: diejenige mit Kindern geringere. Die Rentenbeiträge von beiden werden sofort verwendet, sie stellen die Zahlungen an die heutige Rentnergeneration dar. Woher kommen dann später die Rentenzahlungen für diese beiden Frauen? Eine von beiden hat, unter anderem mit erheblichem finanziellen Aufwand, dafür gesorgt, dass auch für sie Renten eingezahlt werden. Die andere müsste dann nach den Prinzipien von Gerechtigkeit und Vergleichbarkeit einen ähnlichen finanziellen Aufwand betreiben, um ihre eigene Rente in einer Art Kapitalanlage zu sichern. Ich finde das nicht so schwer zu verstehen – meine Töchter verstehen das problemlos!
POW: Wie kann mehr Gerechtigkeit für Familien geschaffen werden?
Kroschewski: Zum Beispiel, wie eben beschrieben, indem die Verfassungsgerichtsurteile ernst genommen werden und die generative Leistung der Familien berücksichtigt wird. Im Übrigen glaube ich, dass der Fehler im System liegt: Wir haben laut Grundgesetz ein allgemeines Wahlrecht, aber die Stimmen der Kinder und Jugendlichen zählen bei den Wahlen nicht. Es ist schon lange überfällig, dass nach einer praktikablen Lösung gesucht wird, dass auch diese Interessen in demokratischen Wahlen einfließen können – dann werden die Stimmen auch gehört werden.
POW: Der FDK klagt auch über unser Mehrwertsteuersystem. Wo liegen die Mängel mit Blick auf Familien?
Kroschewski: Das ist nun leicht gesagt: Wir haben zwei verschiedene Mehrwertsteuersätze, um mit dem verminderten eine ordnungspolitische Lenkungswirkung entfalten zu können. Solange es diese beiden Mehrwertsteuersätze gibt, müssen sich die Abgeordneten fragen lassen, welche Lenkungswirkung ihnen denn wichtig ist, wenn Hummer, Sessellifte und Rennpferde steuerbegünstigt werden – hier gelten sieben Prozent Mehrwertsteuer –, Babywindeln und -schnuller und vieles mehr aber nicht. Abgesehen davon trifft natürlich eine Verbrauchssteuer auch eine Familie, die nahezu ihr gesamtes Einkommen für den Lebensunterhalt braucht, prozentual viel härter als Wohlhabende, die eventuell größere Teile ihres Einkommens sparen können.
POW: Bei den Sozialabgaben sprechen Sie vom „vorenthaltenen Lohn“. Erhalten Familien nicht den gerechten Lohn wie andere auch?
Kroschewski: Das bezieht sich auf den sogenannten Arbeitgeberanteil an den Sozialversicherungen. Das ist doch geschummelt, ein Taschenspielertrick, der unsere Sozialabgaben etwas geringer aussehen lässt. Eigentlich wäre es ehrlicher, den Arbeitgeberanteil als zusätzlichen Lohn auszuzahlen und dann durch die Sozialversicherungen einzuziehen. Dann hätte sich zwar am Ende auf keinem Konto etwas geändert – aber jeder würde sehen, wie viel Lohn ihm tatsächlich entgeht. Problem wäre dann natürlich, dass die Arbeitnehmer bei einer Erhöhung der Sozialversicherung auf die nächste Lohnrunde angewiesen wären – mit wahrlich ungewissem Ausgang.
POW: Was sollte sich bei der Rentenversicherung für Familien ändern?
Kroschewski: Nochmal in Ergänzung zum schon Gesagten: Das steuerliche Existenzminimum der Kinder muss sich auch auf die Sozialabgaben auswirken, und nicht nur auf die Lohnsteuer. Im Moment zahlt ein Durchschnittsverdiener zirka 2500 Euro Krankenversicherung – und zwar nur Arbeitnehmeranteil, der des Arbeitgebers müsste noch dazugerechnet werden. Diese 2500 Euro ändern sich nicht, ob vom Lohn nun zwei Erwachsene oder zwei Erwachsene und vier Kinder satt werden müssen. Die Lohnsteuer sinkt mit der Anzahl der Kinder beziehungsweise wird sie durch Kindergeld ausgeglichen, die Sozialabgaben nicht. Das muss sich ändern.
POW: Politiker führen uns immer wieder die großen Leistungen des Staates für Familien vor. Müssten Familien nicht zufrieden sein mit all den Unterstützungen, die der Staat bietet?
Kroschewski: Na klar – da werden in den Medien immer wieder riesige Summen genannt: 180 Milliarden Euro jährlich, in der Main-Post kürzlich waren es sogar 200 Milliarden, die der Staat für Familien ausgibt. Wenn man genauer hinschaut, dann stellt man fest, dass dabei aber Teile der Sozialhilfe, das gesamte Bildungswesen und vieles andere mehr als Familienleistungen ausgegeben werden – und das ist schlicht falsch. Tatsächlich sind es gut 50 Milliarden, von denen das meiste nur Umverteilung ist. Umverteilung, nicht Förderung, weil den Zahlungen ja auch gegengerechnet werden müsste, dass auch Familien Steuern und Abgaben zahlen. Und auf das Lebensalter gerechnet, kommt eben heraus, dass Staat und Gesellschaft von jedem Kind in Höhe von zirka 75.000 Euro profitieren.
POW: Länder wie Frankreich oder in Skandinavien können auf eine erfolgreichere Familienpolitik blicken. Was läuft dort anders, besser?
Kroschewski: Eine sehr komplexe Frage, die allzu gerne auf die sogenannten „Betreuungsquoten“ reduziert wird. Diese Engführung ist natürlich Unsinn. Da spielen sicher viele Faktoren eine Rolle – die Anerkennung von Kindern in der Gesellschaft, die Familienförderung, die dort insgesamt wesentlich höher ausfällt als bei uns – und viele andere Dinge mehr in einem schwierigen Beziehungsgeflecht. Ich greife einmal eine Sache heraus: Wir wissen, dass europäische Länder, in denen mehr Kinder geboren werden, vor allem einen höheren Anteil an Mehrkindfamilien haben, nicht einmal so sehr einen niedrigeren Anteil an Kinderlosen. Also könnte es eine Überlegung wert sein, auf diese Familien einmal besonderes Augenmerk zu legen. Aber da gibt es gute Gründe zu behaupten, dass es Familien in den letzten Jahren immer schwerer gemacht wurde, sich für mehrere Kinder zu entscheiden – nicht nur durch Detailregelungen beim Elterngeld, sondern zum Beispiel auch durch die politische Zielsetzung, die Erziehungszeiten der Eltern, in denen ein Elternteil keiner oder nur sehr eingeschränkt einer Erwerbsarbeit nachgeht, deutlich zu reduzieren: Spätestens ab drei Kindern wollen Eltern in der Regel nicht beide voll erwerbstätig sein.
POW: Stichwort Betreuungsgeld. Was empfinden Sie beim Stichwort „Herdprämie“?
Kroschewski: Fast schon Bewunderung für diejenigen, die so geschickt „Neusprech“ erfinden können. Setze einen geschickten abfälligen Begriff und schon bist Du die Mühsal inhaltlicher Argumentation los.
POW: Welches Ziel steht beim FDK in den kommenden Monaten ganz oben?
Kroschewski: Gerechtigkeit und Transparenz: Wir wollen für die oben beschriebenen Veränderungen bei den Sozialabgaben kämpfen – außerdem für mehr Transparenz bei den tatsächlichen und den angeblichen Leistungen für Familien. Ein Kampf gegen Windmühlen!? Vielleicht – dennoch lohnt er. Die Sache der Kinder und der Familien lohnt immer!
POW: Warum lohnt es sich auch heute, eine Familie zu gründen und in einer Familie zu leben?
Kroschewski: Geht es hier um Lohn? Meiner Frau und mir ging es bei unseren vier Kindern sicher nicht um „Lohn“ in irgendeiner Form. Aber wenn heute ausnahmsweise mal alle vier – und vielleicht noch der eine oder andere Freund dazu – um den großen Esszimmertisch herumsitzen und wir die Gelegenheit zu einer gemeinsamen Familienmahlzeit haben, dann sind wir auf jeden Fall überreich beschenkt.
Hinweis: Wer die Online-Petition unterzeichnen möchte, findet weitere Informationen im Internet unter www.familienbund-wuerzburg.de.
(3412/0878; E-Mail voraus)
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