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Dokumentation

„Gott allein genügt“

Predigt von Bischof Dr. Franz Jung am Gründonnerstag, 28. März, im Würzburger Kiliansdom

Geduld als Leitfaden durch die drei Heiligen Tage

In diesem Jahr dient mir als Leitfaden durch die Feier der Heiligen drei Tage die Geduld. In unserer schnelllebigen Zeit steht die Geduld nicht gerade hoch im Kurs. Alle Wartezeiten werden sehr schnell zu Geduldsproben: bei der Deutschen Bahn, an der Supermarktkasse, im Stau, bei langsamen Internet, nicht zuletzt in der Politik und Kirchenpolitik. Alles geht zu langsam, man hat keine Geduld mehr, hält es nicht mehr aus, Zorn und Aggression nehmen auch in der alltäglichen Kommunikation in erschreckendem Ausmaß zu. Aber man mag es drehen und wenden wie man will. Am Ende hilft doch nur die Geduld, denn vieles geht nun einmal nicht so schnell, wie wir es gerne hätten.

Geduld als Wurzel und Hüterin aller Tugenden

Von Papst Gregor dem Großen stammt das schöne Wort, die „Geduld ist die Wurzel und Hüterin aller Tugenden“. Das kann man gut nachvollziehen. Denn Tugenden sind hilfreiche Charaktereigenschaften, die der Mensch über einen längeren Zeitraum hinweg einüben muss. Dazu braucht er ein gerüttelt Maß an Geduld und Beharrungsvermögen. Insofern kann die Geduld in der Tat selbst als Tugend beschrieben werden, die den anderen Tugenden als Wurzel und Hüterin dient.

Wie ist es bei mir um die Geduld bestellt?                                                  

Wo habe ich Geduld? Und wann reißt bei mir der berühmte Geduldsfaden? Mit wem habe ich mehr Geduld als mit anderen? Was sind die Faktoren, die mich in den Wahnsinn treiben, wenn es nicht schnell genug geht?

Geduld des Lehrers Jesu mit seinen Jüngern

Die Feier der Heiligen drei Tage zeigt uns einen Jesus, dessen Geduld sehr strapaziert wird. Am heutigen Gründonnerstag geht es mir um die Geduld Jesu im Umgang mit seinen Jüngern wie auch mit seinen Widersachern. Schon während seines Zuges von Galiläa nach Jerusalem stellten die Jünger Jesus auf harte Geduldsproben. Sie streiten miteinander darüber, wer der Größte von ihnen sei, ohne zu sehen, dass Jesus gekommen ist, um zu dienen. Sie haben die Brotvermehrungen gesehen und haben noch immer Angst, dass es im Leben nicht reicht. Sie verstehen die Gleichnisse Jesu nicht und brauchen immer eine Nachhilfestunde zur Erläuterung. Dreimal belehrt sie Jesus über sein Schicksal in Jerusalem und seinen Tod, während sie darüber streiten, wer rechts oder links neben dem Messias sitzen darf. Noch im Abendmahlssaal muss er den Jüngern erklären, was es mit der Geste der Fußwaschung auf sich hat. Mühsam. Sehr mühsam.

Welche Gedanken gehen mir durch den Kopf angesichts der Widerstände?

Was geht mir durch den Kopf, wenn die anderen so schwer von Begriff sind? Wollen die nicht? Oder können die nicht? Werde ich böswillig ausgebremst? Oder sind die wirklich so blöd? Lassen die mich einfach auflaufen und wollen die es aussitzen? Oder bin ich wirklich zu schnell, so dass sie nicht mitkommen?

Eines ist klar: wie jeder Erzieher und Lehrer braucht Jesus Geduld. Viel Geduld.

Geduld mit dem Verräter und den eigenen Feinden

Doch nicht allein die Jünger, die schwer von Begriff sind, werden für Jesus zu einer Geduldsprobe. Es ist auch der Verräter in den eigenen Reihen. Für die Widersacher Jesu wird Judas zum willfährigen Werkzeug, um Jesus aus dem Weg zu räumen. Eine schier unerträgliche Spannung herrscht daher im Abendmahlssaal. Was als vertrauensvolles Miteinander gedacht war, wird gestört durch die Gegenwart des Verräters. Völlig ungeniert hält der mit Mahl und tut so, als wäre nichts gewesen.

Kann man da, will man da, Abschied feiern? Schwer. Sehr schwer.

Was treibt mich um angesichts meiner Widersacher, die sich völlig ungeniert aufführen und von denen ich dennoch ahne, dass sie schlecht über mich reden, meine Autorität untergraben und zu hintertreiben versuchen, was ich tue?

Werde ich aggressiv? Spreche ich das Problem offen an? Ertappe ich mich bei Gewalt- und Rachephantasien? Oder neige ich dazu, die Begegnung zu vermeiden und dem Konflikt auszuweichen? Werde ich gehemmt durch Menschen, die mir übelwollen? Jesus erträgt auch das Unerträgliche mit bewundernswerter Geduld.

Sich vom Bösen nicht korrumpieren lassen

„Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen! Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen!“ (Lk 6,27) so hatte Jesus seine Jünger gelehrt. Jetzt ist die Stunde gekommen, das, was er gelehrt hat, selbst vorzuleben.

Die Geduldsübung besteht darin, sich vom Bösen der anderen nicht einschüchtern zu lassen in seiner guten Absicht. Mehr aber noch, nicht selbst böse zu werden und zu unlauteren Mitteln zu greifen oder gar Gewalt anzuwenden, auch wenn es einen noch so viel Selbstüberwindung kosten mag. Geduld meint also in diesem Zusammenhang zweierlei: Ertragen der Anderen und zugleich sich nicht hinreißen lassen von den eigenen negativen Gefühlen.

Wie heißt es so schön im Buch der Sprichwörter (16,32): „Besser ein Geduldiger als ein Kriegsheld; besser, wer sich selbst beherrscht, als wer Städte erobert.“

Und der Weisheitslehrer Jesus Sirach rät: „Kind, wenn du herantrittst, um dem Herrn zu dienen, mach dich bereit für die Erprobung! Richte dein Herz aus und sei standhaft! Und überstürze nichts zur Zeit der Bedrängnis! Binde dich an den Herrn und lass nicht von ihm, damit du am Ende erhöht wirst! Nimm alles an, was über dich kommen mag, und in den Wechselfällen deiner Erniedrigung halt aus! Denn im Feuer wird Gold geprüft und die anerkannten Menschen im Schmelzofen der Erniedrigung.“

Das nächtliche Ringen am Ölberg

Dieser Rat klingt, als würde der himmlische Vater selbst zu seinem Sohn Jesus Christus sprechen. In der Ölbergnacht wird Jesus darum ringen, dem Bösen nicht nachzugeben und der Gewalt nicht auszuweichen. Er wird darum bitten, seine Sendung trotz des Widerstandes zu Ende zu führen. Er wird darum bitten, jeder Versuchung zu widerstehen, selbst Gewalt anzuwenden. Es ist ein schweres, ein einsames Ringen Jesu mit Gott, dessen wir heute Nacht gedenken.

Wir tun das im Blick auf die Menschen in den Kriegs- und Krisengebieten unserer Erde. Die täglichen Bilder des Grauens, die Erfahrung von Zerstörung, Tötung, Vergewaltigung und anderen unvorstellbaren Gräueltaten wecken Rachegefühle und den Wunsch nach Vergeltung. Jesus weiß, dass das nicht weiterführt und am Ende niemanden hilft. Aber es ist eine der schwersten Geduldsproben in unserem Leben.

Sich nicht vom Bösen besiegen lassen

„Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute!“, ruft Paulus den Gläubigen in Rom zu (Röm 12,21). Heize nicht die Spirale der Gewalt an, sondern setze dem Bösen konsequent das Gute entgegen. Und der Apostel fährt fort (Röm 12,20): „Wenn dein Feind Hunger hat, gib ihm zu essen, wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken; tust du das, dann sammelst du glühende Kohlen auf sein Haupt.“

Genau das tut Jesus im Abendmahlsaal. Er gibt auch seinem Feind zu essen. Er bricht auch Judas das Brot. Er gibt ihm Anteil an seinem eigenen Leben. Indem er auch seinen Verräter nicht ausschließt, sammelt Jesus gewissermaßen glühende Kohlen auf sein Haupt.

Als Judas endlich seine eigene Blindheit erkennt, werden diese Kohlen zu einem lodernden Feuer. Aber noch einmal verfällt Judas der Versuchung zur Gewalt, die sich aber jetzt gegen ihn selbst richtet. Anstatt an das Feuer der Liebe Gottes zu glauben, verzehrt er sich im Feuer der Selbstvorwürfe. Er glaubt nicht an die Geduld Gottes, die auch ihn miteinschließt. Aus Ungeduld gegen sich selbst nimmt er sich das Leben.

Vom Segen der Verfolger

„Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen!“, so hatte Jesus gesagt. Am Kreuz wird er noch für seine Peiniger beten, die nicht wissen, was sie tun. Gottes Geduld mit den Bösen zeigt sich hier in ihrer unüberbietbaren Form. Durch das Böse wird erst die unendliche Größe des Erbarmens Gottes offenbar. Das ist der Segen der Verfolger. Oder wie Paulus im Römerbrief schreibt (Röm 5,20):

„Wo die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß geworden.“

Das ist das Wunder der Wandlung, die wir heute Abend in der Eucharistie feiern. Gottes Geduld mit uns sündigen Menschen verwandelt den Hass in Liebe, den Tod zum Leben und die Schuld in Vergebung. Was wir im Sakrament feiern, müssen wir ein Leben lang geduldig einüben. Geduldsproben gibt es dafür zur Genüge.

Ich schließe mit dem kleinen, mir so lieben Gebet der heiligen Teresa von Avila, das uns durch diese Tage begleiten wird:

Nichts soll dich ängstigen, nichts dich erschrecken, alles vergeht.

Gott bleibt derselbe. Geduld erlangt alles.

Wer Gott hat, dem fehlt nichts. Gott nur genügt.

Bitten wir mit diesem kleinen Gebet um die Bewährung in den Geduldsproben unseres Lebens. Denn der Gott der Geduld begleitet uns im betenden Christus auch in unseren Ölbergnächten. Er allein genügt. Amen.