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Dokumentation

„Gott möchte, dass wir mit dem Kind nach vorne schauen“

Predigt von Bischof Dr. Franz Jung am ersten Weihnachtstag, 25. Dezember 2020, im Würzburger Kiliansdom

„Sie haben mir die Wahl gestohlen!“ So protestiert der noch amtierende amerikanische Präsident. Seit Wochen verfolgt die Weltöffentlichkeit das beschämende Schauspiel eines Mannes, der einfach nicht wahrhaben will, dass er eine Wahl verloren hat. Er kann und will nicht akzeptieren, dass er den Platz räumen muss, weil die Mehrheit der Menschen seines Landes sich mit seinem Politikstil und am Ende auch mit seiner Person nicht mehr identifizieren kann. Die Hartnäckigkeit, mit der er die Mär von der gestohlenen Wahl weiterverbreitet, auch wenn sie schon lange widerlegt ist, erstaunt aber dann doch. Sein Beispiel zeigt exemplarisch, wie schwer uns Menschen es fällt, gut mit Niederlagen im Leben umzugehen.

Das Coronajahr und die vielen Niederlagen

Dabei hat das nun zu Ende gehende Jahr jede Menge solcher Situationen für uns bereitgehalten. Niederlagen, wohin auch immer man schaut. Niederlagen in der Medizin, die vom Ausbruch der Krise völlig unvorbereitet getroffen wurde. Niederlagen von Menschen, die ihren Beruf verloren haben durch den Einbruch des Wirtschaftslebens, oder aber mit ihrem Unternehmen Konkurs anmelden mussten. Niederlagen, weil das Zusammenleben auf engstem Raum zur ernsten Belastungsprobe wurde und man spürte, dass man so nicht weiterleben kann. Niederlagen, weil der Kampf um das Leben der Angehörigen verloren ging.

Doch wie umgehen mit Niederlagen?

Was das Beispiel des amerikanischen Präsidenten uns im großen Stil vorführt, lässt sich auch im Kleinen beobachten. Die spannende Frage nämlich, wie Menschen mit solchen Niederlagen im Leben umgehen. Immerhin eröffnet sich ein weiter Spielraum an Möglichkeiten.

  • Man kann sich der Wirklichkeit verweigern und leugnen, dass man es nicht im Griff hat.
  • Man kann andere verklagen, in der Hoffnung, doch noch irgendwie recht zu behalten.
  • Man kann andere beschimpfen und ihnen die Schuld für das eigene Schicksal zuschieben.
  • Man kann Drohszenarien aufbauen für den Fall, dass man wirklich sein Scheitern einräumen muss.
  • Man versucht, Normalität zu spielen und so zu tun, als wäre nichts passiert.

Das Naheliegende, das Normale und das vielleicht Einfachste ist dagegen oftmals das Schwerste: die Wirklichkeit anzunehmen, wie sie ist. Das hat viele Ursachen.

Ungewohnte Neuheit der Situation – das Licht leuchtet in der Finsternis

Eine erste Ursache ist sicher die Überforderung mit einer Situation, die man so nicht erwartet oder so nicht geplant hat, die so nicht vorgesehen war. Die Veränderung zum Schlechten kommt zu schnell und zu überraschend, so dass man nicht genügend Zeit hat, sich darauf einzustellen. Es wird dunkle Nacht im Leben. Orientierungslosigkeit macht sich breit.

Da mag es trostreich sein zu wissen, dass die Kirche Weihnachten in der dunkelsten Nacht des Jahres feiert. Gott kommt uns Menschen gerade in der größten Dunkelheit unseres Lebens entgegen als Mensch, um diese Finsternis mit uns zu teilen. Und nur wer diese Finsternis aushält und nicht wegläuft, wird den Stern von Betlehem in der Nacht sehen können. „Das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst“, hieß es eben im Evangelium (Joh 1,5). Was für ein wunderbares Wort!

Angeschlagenes Selbstbewusstsein – die Annahme der Schwachheit

Ein Zweites, was es uns so schwer macht, die Wirklichkeit anzunehmen, ist sicher unser Selbstbewusstsein, das angeknackst ist. Plötzlich erleben und durchleben wir die Ohnmacht. Gewohnt, unser Leben selbst zu organisieren, müssen wir die Hilflosigkeit aushalten lernen.

Da mag es trostreich sein zu wissen, dass an Weihnachten Gott nicht als machtvoller Herrscher kommt, der alles im Griff hat, sondern als kleines, hilfloses Kind. „Entäußert sich all seiner Gewalt, wird niedrig und gering“, so singen wir im Weihnachtslied „Lobt Gott ihr Christen alle gleich“.

Es macht die Größe Gottes aus, auch die Hilflosigkeit anzunehmen und zu durchleben und gerade in der Hilflosigkeit uns Menschen nahe zu sein. Der Apostel Paulus wird sagen, „wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“ (2Kor 12,10). Die Stärke besteht darin, auch die Schwäche auszuhalten und sie nicht zu überspielen. Erst das macht uns so menschlich. Das Unannehmbare annehmen, weil Gott es in dem Kind mit uns annimmt.

Fremde Schuld – die Vergebung der Schuld

Ein Drittes ist die Frage nach der fremden Schuld. Wer trägt Schuld und wen kann ich haftbar machen? Die Frage ist verständlich. Sie muss auch gestellt werden. Aber am Ende wird man merken: Selbst wenn die Schuldfrage geklärt ist, bin dennoch ich es, der sein Leben in die Hand nehmen muss und der einen Weg finden muss, mit dieser belastenden Situation umzugehen.

Da mag es trostreich sein zu wissen, dass an Weihnachten Gott in der Menschwerdung die Sünde der Welt hinwegnimmt und uns Menschen einen Neuanfang schenkt. Weil Gott uns vergibt, können auch wir einander vergeben. Und was meist noch schwieriger ist, können auch wir uns vergeben. Wer nach der Schuld fragt, bleibt im Alten verhaftet und schaut zurück. Gott möchte, dass wir mit dem Kind nach vorne schauen und neu beginnen, ohne uns vom Alten immer wieder einholen zu lassen und in ihm hängen zu bleiben. Das ist die tiefe Freude und der Jubel der Weihnacht, dass die Bande des Todes und der Sünde zerbrochen sind und wir neu aufatmen können und aufleben.

Alte Welt bricht zusammen – der neue Mensch wird geboren

Ein Viertes ist der Zusammenbruch unserer bisherigen Welt. Oftmals stehen wir vor einem Scherbenhaufen. Die Wirklichkeit holt uns ein. Sie zwingt uns, unsere kleine Welt neu zu ordnen. Zu fragen, was ich will? Zu fragen, wer ich bin? Zu fragen, wie kann es weitergehen? Wir brechen zusammen, wir knicken ein vor der Übermacht des Neuen, das unser bisheriges Leben umwirft.

Da mag es trostreich sein zu wissen, dass wir an Weihnachten nicht einknicken, sondern dass wir an Weihnachten in die Knie gehen. Wir gehen in die Knie an der Krippe. Denn sie ist der Ort, an dem wir loslassen können, ohne in einen Abgrund zu fallen. Knien an der Krippe hilft uns, innezuwerden, dass im Tod des Alten das Neue schon längst da ist. Dass gerade wenn der alte Mensch stirbt, wir mit diesem Kind neu geboren werden, ja dass dieses Kind in uns geboren wird. „Süßer Immanuel, werd auch in mir nun geboren, komm doch, mein Heiland, denn ohne dich bin ich verloren“, so beten wir im Lied „Jauchzet ihr Himmel, frohlocket ihr Engel in Chören“. Der Untergang des Alten wird zum wunderbaren Neubeginn.

Dankbarkeit über die Weih-Nacht

Wem geschenkt wird, Niederlagen im Leben so annehmen zu können, der wird im Rückblick sagen können, dass diese Nacht in seinem Leben wirklich zur Weih-Nacht geworden ist, zur von Gott geweihten Nacht. Weil das Dunkel uns geholfen hat, neu das Licht zu sehen. Weil wir gelernt haben, dass wir stark sind, wenn wir unsere Schwäche annehmen. Weil wir neu anfangen dürfen aus der Kraft der Vergebung. Weil wir zu neuen Menschen geworden sind durch Krisen und Niederlagen hindurch.

Die zweifach begnadeten Menschen und der weihnachtliche Frieden

„Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade“, so singen die Engel über den Feldern von Betlehem. „Menschen seiner Gnade“ meint dabei zweierlei: Zum einen Menschen, die erfahren haben, dass die schweren Zeiten ihres Lebens eigentlich Zeiten der Gnade waren, weil sie ihnen geholfen haben, sich neu zu orientieren und Gott gerade dort zu entdecken, wo man ihn nicht vermutet hätte. Und die „Menschen seiner Gnade“ sind zum anderen gnädige Menschen, die barmherzig mit anderen umgehen und so den weihnachtlichen Frieden weitertragen in diese Welt.

Ich wünsche uns, dass wir bei unserem knienden Gebet an der Krippe den weihnachtlichen Frieden in der Begegnung mit dem neugeborenen Heiland selbst empfangen können, gerade in diesem Coronajahr, und dass wir zusammen mit ihm diesen weihnachtlichen Frieden ausstrahlen und weitertragen.

Frohe und gesegnete Weihnachten!

Es gilt das gesprochene Wort!