Menschliche Programme
Im „Haus für soziale Bildung“ Benediktushöhe ist in den vergangenen 25 Jahren über viele Programme diskutiert worden. Am wichtigsten war und ist natürlich das Programm für die eigene Arbeit. Es muss eine solide Grundlage haben und zugleich offen sein für die immer wieder sich wandelnden Möglichkeiten und Notwendigkeiten. Die hier zu leistende Bildungsarbeit hat sich überdies mit den verschiedenen Programmen zu befassen, die Parteien und Gewerkschaften, CAJ und KAB vorlegen. Ein gründliches Studium nimmt auch die Entwicklungen ins Visier, die sich im Lauf der Zeit ereignet haben. Dabei kann man unter anderem lernen, welche Gruppierung ihren Grundsätzen treu geblieben ist und wer sich weit von diesen entfernt hat. Selbst bei den besten Programmen kann man feststellen: Alle menschlichen Programme sind begrenzt, alle sind sie veränderlich. Das legt die Frage nahe: „Gibt es nicht dennoch ein Programm, das diese Schwächen und Grenzen nicht hat, das zeitlos ist und zugleich jeder Zeit gerecht wird, das nicht nur den einen oder anderen Teil der Gesellschaft betrifft, sondern alle Menschen?“
Die Epistel des heutigen Sonntags gibt uns darauf eine hilfreiche Antwort. Sie heißt: „Ja! Ein solches Programm gibt es; Gott selber gibt es uns!“ Gott will damit die Programme, die Menschen entwickeln, nicht allesamt verwerfen; er will uns Menschen helfen, realistische Programme zu entwickeln, Programme, die sich von seinem Programm inspirieren lassen.
Das göttliche Programm
Fassen wir das Programm, das uns mit den ersten Sätzen des Epheserbriefs vorgelegt wird, näher ins Auge, dann stellen wir als erstes fest: Es ist erstaunlich kurz. Während Partei- und Gewerkschaftsprogramme viele Seiten füllen, haben wir hier nur wenige Sätze vor uns. Genau gesagt: In einem einzigen Satz ist das göttliche Programm zusammengefasst. Dieser Satz lautet: „Alles, was im Himmel und auf Erden ist, in ihm (in Christus) vereinen“ (Eph 1,10). Genau das hat Gott mit der gesamten Schöpfung vor. Alles, was er ins Dasein ruft, ist berufen, immer mehr zusammenzuwachsen und immer fester zusammenzubleiben. Der dreieine Gott, der von urher in ewig-seliger Gemeinschaft lebt, erschafft alle Wesen, damit sie nach seinem Vorbild und mit seiner Hilfe das Glück der Gemeinschaft empfangen. Damit das wahr wird, hat der Schöpfer nicht ein Naturgesetz erdacht, durch das alle Kreaturen zusammengezwungen werden, ob sie wollen oder nicht. Gott vertraut seinem eigenen ewigen Sohn das Werk des Einswerdens an. Mit ihm ist die alles vereinende Kraft in die Schöpfung gekommen. Durch seinen Einsatz sollen alle eins werden. Das göttliche Programm konfrontiert uns nicht mit einer trockenen Theorie; es weist auf eine Person hin, eine einzigartige Person, in der das göttliche und das menschliche Leben für immer vereint sind. Wir haben keinen toten Buchstaben vor uns, sondern Augen, die uns mit der größten Sympathie anschauen, einen Mund, der uns persönliche und zugleich wesentliche Worte sagt, und ein Herz, das in Liebe für uns schlägt.
All das ist nicht das Ergebnis einer längeren Entwicklung. Noch bevor die Welt entstand gehört das zum göttlichen Programm. Der Apostel lässt uns wissen: Schon vor der Erschaffung der Welt steht das göttliche Programm fest. Bevor es ein einziges Atom gab hat Gott uns erdacht und bejaht: „Er hat uns erwählt vor der Erschaffung der Welt“ (Eph 1,4). Diese Erwählung zielt auf die innigste Gemeinschaft mit seinem Sohn. Wir Menschen sollen nicht irgendwie eine irdische Erfüllung und damit ein irdisches Glück empfangen; wir sollen auf die persönlichste Weise vital mit Gott verbunden sein. Der Apostel versichert uns das mit den Worten: „Er hat uns aus Liebe im voraus dazu bestimmt, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus“ (Eph 1,5). Nach dem Willen Gottes soll es nicht dabei bleiben, dass wir in dieser Welt irgendwie zurechtkommen und halbwegs im Frieden mit allen leben; Gott will uns allen das Glück der Gemeinschaft vermitteln, wie er es seinem ewigen Sohn geschenkt hat und immer wieder schenkt. Er will uns nicht nur wie seine Söhne und Töchter behandeln, er will uns zu wahren Söhnen und Töchtern machen, zu leibhaftigen Geschwistern des ewigen Gottessohnes. Im göttlichen Programm ist dem Menschen eine einzigartige Würde zuerkannt, weit mehr als es ein noch so utopisches menschliches Programm tun kann. Jeder Mensch ist zur ewigen Christusgemeinschaft berufen.
Für jeden setzt Gottes Sohn sein Leben ein. In unserer Epistel heißt es von der Gnade der Kindschaft: Gott „hat sie uns geschenkt in seinem geliebten Sohn; durch sein Blut haben wir die Erlösung … nach dem Reichtum seiner Gnade“ (Eph 1,6 f.). Es ist nicht so wie bei vielen menschlichen Programmen, die von den einen entworfen werden und von anderen befolgt werden sollen, wobei dies dann oft unterbleibt. Das göttliche Programm wird von Gott selbst erfüllt. Das geschieht durch einen letzten, ganzheitlichen Einsatz: Gottes Sohn gibt sein Leben her, damit es in uns lebt. So vereint er „was im Himmel und auf Erden ist“ (Eph 1,10).
Bedenkt man, wie viele menschliche Programme man hat kommen und gehen sehen, wie viele nur in geringem Maße in die Tat umgesetzt wurden, dann weiß man zu schätzen, dass das göttliche Programm von anderer Art ist: Es bleibt, es behält seine Gültigkeit, es wird ohne Abstriche erfüllt. Im Blick auf uns Menschen heißt das: „Durch ihn (durch Gott) sind wir auch als Erben … eingesetzt, nach dem Plan dessen, der alles so bewirkt, wie er es in seinem Willen beschließt“ (Eph 1,11).
Wolf und Lamm
Wer zur Benediktushöhe kommt, findet ein Sinnbild dieser Erfüllung vor sich. Nicht jeder wird auf den ersten Blick dessen volle Bedeutung verstehen. Zu Recht mag man fragen: „Was hat der Wolf, was hat das Lamm mit dem göttlichen Programm zu tun? Was bedeuten die beiden für das, was hier im Haus geschieht?“ Beim Propheten Jesaja finden wir die Antwort. Er verkündigt mit immer neuen Wendungen, dass der Messias kommt und mit ihm sein Reich, in dem alles vereint wird. Der Prophet schildert den Messias als geistbeseelten Helfer der Armen. „Gerechtigkeit ist der Gürtel um seine Hüfte, Treue der Gürtel um seinen Leib“ (Jes 11,5). Von seinem Wirken sagt Jesaja als erstes: „Dann wohnt der Wolf beim Lamm. Der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen … Kuh und Bär freunden sich an“ (Jes 11,6 f.). Das ist ein Bild des Friedens, den der Messias bringt. Es ist ein prophetischer Hinweis auf die Mitte des göttlichen Programms, auf die Verheißung: Gott will „alles, was im Himmel und auf der Erde ist, in ihm (in Christus) vereinen“ (Eph 1,10).
Der Prophet fügt seiner Ankündigung des messianischen Reiches ein Danklied der Geretteten an (Jes 12,1-6). Wir können es uns mit frohem Herzen zu Eigen machen. Im Blick auf das göttliche Programm und seine Erfüllung und zugleich in Dankbarkeit für alles, was dafür in den vergangenen 25 Jahren hier geschehen ist, können wir sagen: „Ja, Gott ist meine Rettung; ihm will ich vertrauen und niemals verzagen. Denn meine Stärke und mein Lied ist der Herr. Er ist für mich zum Retter geworden“ (Jes 12,2). Amen.
(2906/1074)