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Gott setzt Maßstäbe, die bindend sind

Predigt von Bischof Dr. Friedhelm Hofmann im Pontifikalamt am ersten Weihnachtsfeiertag, 25. Dezember 2005, im Würzburger Kiliansdom

Liebe Schwestern und Brüder!

Mit dem heutigen Fest ist alles anders geworden. Nichts ist mehr, wie es früher war. Gott ist in seine Schöpfung eingetreten und einer von uns geworden. Eigentlich unfassbar: „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott“ ist vom Himmel gekommen und sichtbar in dem Kind von Betlehem erschienen!

Bei diesem Gedanken mag es einem schwindeln! Wer kann es fassen? Es sind Worte aus dem Schweigen, die Licht in die Finsternis unseres Lebens bringen und Leben in unsere existentielle Todesbedrohung.

Aber – ist diese Botschaft wirklich schon angekommen?

Auf dem Messestand der Caritas bei der Mainfrankenmesse gab es einen Stand mit einem Glücksrad. Je nachdem auf welcher Zahl der Finger des Rades stehen blieb, wurde eine Frage an den Teilnehmer gestellt: Was feiern wir Weihnachten? Wer ist in Betlehem geboren? Welche Personen waren außer dem neugeborenen Kind noch im Stall? Welche Tiere?

Ich wage nicht, Ihnen die zum Teil äußerst blamablen Antworten zu sagen. Eine erschreckende Unwissenheit und Gleichgültigkeit trat zu tage. Ähnliches lässt sich immer wieder bei journalistischen Rundfragen vor den Feiertagen erleben.

Es genügt nicht, wenn wir den Kopf schütteln. Hier stellt sich an uns, die Verkünder, dann aber auch an alle Gläubigen die Frage, was müssen wir tun, damit die Frohe Botschaft der Menschwerdung Gottes bei uns ankommt?

Ich erinnere mich noch ganz schwach an meinen Physik- und Chemieunterricht, den ich einige Jahre genossen habe. Wenn Sie mich aber nach physikalischen oder chemischen Formeln und Zusammenhängen fragen, muss ich passen! Wieso? Weil der damalige Unterricht, der sicherlich nicht schlecht war, bei mir keinen Lebensnerv getroffen hat!

Geht es so vielen jungen Menschen heute mit dem Religionsunterricht nicht genau so? Sie haben bis zum Abitur oft bis zu 1000 Religionsstunden – nicht Erstkommunion-, Beicht- und Firmunterricht mitgerechnet – und haben doch ein so erschreckend geringes Glaubenswissen, dass man oft nicht weiß, wo man in einem Glaubensgespräch noch ansetzen soll.

Andererseits haben wir in diesem Jahr den Weltjugendtag erleben dürfen. 2500 Jugendliche aus aller Welt waren in unserem Bistum Würzburg zu Gast und haben uns an ihrer Glaubensfreude teilnehmen lassen. Zirka 10.000 junge Menschen haben am Samstag vor den Begegnungstagen in Köln hier in Würzburg auf den Mainwiesen voller Begeisterung die Heilige Messe mitgefeiert. Der Jubel war allenthalben spürbar. Das Thema des Weltjugendtages lautete: „Wir sind gekommen, um IHN anzubeten!“ Und dieses Motto war kein leerer Wahn. Zirka eine Million Jugendliche strömten zur Anbetung in die Kirchen, zur Mitfeier der Heiligen Messen und zum Miterleben der Katechesen zusammen.

Der Hunger nach Gott brach sich Bahn. Es war allenthalben spürbar, dass Gott nicht ausgeblendet war, das die Frage nach Seiner Nähe, nach Seinem Mit-uns-sein, die jungen Menschen umtrieb.

In unserer Gesellschaft wird Gott großenteils ausgeklammert. Er spielt offensichtlich im wissenschaftlichen Dialog, im publizistischen, gesellschaftlichen öffentlichen wie privaten Alltag eine geringe Rolle. Das ist eben die Erfahrung unserer Kinder und Jugendlichen. Wenn ich aber nichts von Gott in meinem Lebensumfeld, in meiner Lebensgestaltung erfahre, dann vermag ich auch nicht ihn kennen zu lernen.

Unser Heiliger Vater Papst Benedikt XVI., der auf dem Weltjugendtag in Köln die Herzen der jungen Menschen erreicht hatte, sagte einmal: „Es entsteht eine Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig anerkennt und als letztes Maß nur das eigene Ich und seine Wünsche gelten lässt. Wir haben jedoch ein anderes Maß: den Sohn Gottes, den wahren Menschen. Er ist das Maß des wahren Menschseins.“

Ist da nicht unser Glaubenszeugnis an den Mensch gewordenen Gott gefragt? Setzt Gott nicht mit der Menschwerdung in Christus Maßstäbe, die bindend sind?

Im Oktober durften wir in Würzburg die diesjährige Aktion der Weltmission durchführen. Der Blick war auf Indien fokussiert und dort auf die Dalits, die unterhalb jeder Kaste leben müssen. Offiziell haben sie zwar die gleichen Rechte wie alle anderen, in Wirklichkeit aber sind sie rechtlos. Im Gespräch mit diesen Menschen, die einige Wochen bei uns verbracht haben, wurde deutlich, dass unser christliches Menschenbild, das Maß beim Kind von Betlehem nimmt, allen Menschen die gleichen Rechte zuspricht. Das ist eben keineswegs selbstverständlich und weltweit so! Unsere Freude an der Geburt Jesu ist nicht einfach ein christliches Sonderglaubensgut, sondern Ausgangspunkt für die Gleichberechtigung aller Menschen.

Liebe Schwestern und Brüder! Es lohnt sich, sich mit den Texten des heutigen Weihnachtsfestes zu beschäftigen. Zugegeben, sie sind nicht einfach zu verstehen. Das eben gehörte Tagesevangelium ist große Theologie! Aber könnte uns das Weihnachtsfest nicht auch Muße schenken, sich in das Geheimnis der Menschwerdung Gottes zu versenken? Je tiefer wir selbst die Frohe Botschaft kennen lernen und in sie eindringen, desto leichter können wir auch jungen Menschen Rechenschaft über unseren Glauben ablegen.

Der Evangelist Johannes schreibt in seinem berühmten Prolog, aus dem wir im Evangelium eben einen Abschnitt gehört haben: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater voll Gnade und Wahrheit.“ (Joh 1,14).

Möge uns dies heute geschenkt werden. Amen.

(0106/0015; E-Mail voraus)