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„Gott sieht das Verborgene“

Predigt von Bischof Dr. Friedhelm Hofmann am Aschermittwoch der Künstler, 10. Februar 2016, im Würzburger Kiliansdom

Liebe Kunstschaffende,

Liebe Schwestern und Brüder,

wer ist der Mensch? Diese Frage durchzieht die Menschheit und stellt sich jedem Menschen aufs Neue. „Wer bin ich, woher komme ich und wohin gehe ich?“, schrieb Paul Gauguin auf den Rahmen eines seiner berühmten Tahiti-Bilder.

Ich denke, irgendwann überfällt einen jeden Menschen die Frage nach dem eigenen Selbst. Wer bin ich? Ich vergesse nicht den Augenblick, als mich als Zwölf- oder 13-Jähriger diese Frage mit Wucht traf. Wie bin ich auf diese Welt gekommen? Was war vor mir? Wie bin ich in den Kreislauf der Welt einzuordnen? Wozu lebe ich? Ist das, was ich bisher erlebt habe, alles? Ist mit dem Tode alles aus?

Irgendwann im Leben muss sich der Mensch in das sowohl horizontale wie vertikale Koordinatensystem der Welt einfinden. Die Fragen nach dem eigenen Selbst lassen sich offensichtlich nicht aus sich selbst beantworten. Die Frage nach dem Ich stellt sich im Gegenüber zur Welt und da erst recht im Gegenüber zum Nächsten.

„im Gegenüber“ ist das diesjährige diözesane Kunstprojekt überschrieben, das wir am heutigen Aschermittwoch der Künstler in Würzburg eröffnen. Über dieses Projekt, das heute Abend durch Musik, eine Performance sowie durch eine Projektion an der Westfassade unseres Domes Gestalt gewinnt, wird später nach dieser Wort-Gottes-Feier im Burkardushaus näher zu berichten sein.

Aber auch in diese Feier des Aschermittwochs führt die Fragestellung nach dem eigenen Dasein, das nur im Gegenüber aufgefächert und Antwort finden kann, in die Sinn-Mitte dieses Tages. Heute, 40 Tage vor Ostern, dem Fest der Auferstehung Jesu, das mit Licht und Glanz verbunden ist, treten wir in eine Phase der Selbstbesinnung ein, die mir im Gegenüber zu Christus Antworten ermöglicht. Der heutige Aschermittwoch verweist uns mit dem Symbol der Asche auf Vergänglichkeit und Sterben hin. Ich erfahre mich als Mensch in diesem Leben bedrängt, verwundbar und als Todeskandidat. Ist das alles? – so fragte ich mich als Pubertierender.

Die Erfahrung der eigenen Begrenzung ist uns von klein auf bewusst. Immer wieder wurden wir auf richtiges Verhalten hingewiesen und Fehler benannt, bestraft oder richtiges Verhalten belobigt. Krankheiten und Leid blieben uns nicht verborgen. Zur Zeit werden wir akut mit den Katastrophen der in Taiwan zusammengestürzten Hochhäuser und dem schweren Zugunglück bei Bad Aibling konfrontiert. Die Frage nach Leid und Endlichkeit und der darüber hinaus führende Lebenswille treibt uns um.

Aber wie sind wir in dieses Leben gekommen? Wer hat uns die eigene Identität zugesprochen – besser gesagt: verliehen? Wer wollte, dass ich ich bin? Wer traute mir zu, dass ich hier und heute im Leben bestehen kann? Wer gibt mir die Kraft zu einem sinnvollen, ausgefüllten Leben?

Ich fand für mich die Antwort im Gegenüber zu Christus. In ihm kam mir der unendliche, unnahbare, ewige, geheimnisvolle Gott entgegen. Auf einmal fand ich das unaussprechliche, geheimnisvolle göttliche Sein in einem Gesicht wieder, in einer Stimme, die mich ansprach. Im Gegenüber Jesu Christi fand ich die Antwort auf die Frage nach dem Warum meines Daseins, fand ich die Antwort  in der Botschaft der Liebe, die in der Menschwerdung Gottes sichtbare Gestalt gewann und in der Lebenshingabe Jesu bis zum Kreuzestod seine tiefste Mitte erreichte. Auf einmal ließen sich Fragen entschlüsseln und Rätsel lösen, die sich wohl jedem Menschen neu stellen.

Im Alten Bund fanden die gläubigen Juden ihr Leben ganz in der Hand Gottes geborgen. Selbst die einschneidenden Ereignisse wie Hungersnot und Kriege brachten sie in Beziehung zu Gott und sahen sie als Reaktionen auf ihr eigenes Fehlverhalten. So rief der Prophet Joel, in dessen Zeit Heuschreckenschwärme das Land verwüsteten, dem Volk zu, es solle zu Gott umkehren. Es solle aber nicht in spektakulären Gesten die Kleider zerreißen und in Weinen und Klagen ausbrechen, sondern die Herzen zerreißen! Das heißt doch, im Gegenüber zu Gott vom Weg des Abfalls und der Sünde umkehren und seine Gebote achten und leben! Nichts anderes will auch heute die Fastenzeit, die wir vorösterliche Bußzeit nennen. Es geht nicht um äußeres Getue, sondern um innere Umkehr!

Genau das rät uns auch in der zweiten Lesung der Apostel Paulus. Der Völkerapostel, der ein Mann des gewaltigen Wortes war, ruft die Korinther – und heute uns – auf, aus der Enge unserer eigenen Gedankenwelt in die Weite der Offenbarung Gottes zu treten. Es gilt zu erkennen, dass Christus sich für uns bis zum Letzten gedemütigt und bis in den grausamen Kreuzestod hingegeben hat, damit wir aus Sünde und Tod befreit werden können. Mit dem Aufruf, im Gegenüber zur Umkehr zu kommen, verbindet er den wunderbaren Satz: „Jetzt ist sie da, die Zeit der Gnade; jetzt ist er da, der Tag der Rettung.“ (2 Kor 6,2)

Liebe Schwestern und Brüder,

als Kunstschaffende im engeren oder auch weiteren Sinn sind Sie ständig herausgefordert, im Gegenüber, die eigene Position zu finden und zu gestalten. Sie leben immer in dem Da-zwischen. Einerseits machen Sie die Erfahrung des eigenen Bemühens um Ausdruck und Gestaltung, andererseits erleben Sie, dass immer mehr in der Kunst steckt, als Sie selber hineingeben können. So ist mir der Gedanke nahe, dass im Gegenüber zum Menschen und dann erst recht auch Gott gegenüber gesagt werden kann: Ihm gegenüber.

Gott sieht das Verborgene. Er lässt sich nicht täuschen. Er sieht nicht auf die Stirn, sondern ins Herz. Er durchschaut alle Tricks und Täuschungsmanöver. Sollten wir ihm nicht von Herzen dankbar sein und die Gunst dieser Stunde nutzen?

Amen.