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Dokumentation

„Gott teilt mit uns die Momente der Hilfslosigkeit“

Predigt von Bischof Dr. Franz Jung beim Festgottesdienst am ersten Weihnachtstag, Samstag, 25. Dezember 2021, im Würzburger Kiliansdom

Lasst uns nach Betlehem gehen

„Lasst uns nach Betlehem gehen, um das Ereignis zu sehen, das uns der Herr kundgetan hat!“ So sprachen die Hirten zueinander, nachdem ihnen der Engel die Geburt des Messias verkündet hatte. In Bethlehem angekommen, wurden sie mit großer Freude erfüllt. Denn sie waren keiner Einbildung und keinem Märchen aufgesessen, sondern alles war genauso, wie es der Engel angekündigt hatte. Unglaublich, aber wahr: da lag er, der neugeborene Messias, in Windeln gewickelt. Die Windeln waren den Hirten ja als das messianische Erkennungszeichen genannt worden.

Windeln als das messianische Erkennungszeichen

Da mag man sich die Augen reiben. Die Windeln als das messianische Erkennungszeichen? Ist das nicht normal, ja geradezu gewöhnlich? Trägt nicht jedes Kleinkind dieser Welt eine Windel? Ja, schon.

Aber nicht unbedingt der Messias und der Retter, den man vom Himmel her erwartete als den, der machtvoll alles zum Guten zu wenden versteht. Die Windel als Erkennungszeichen des Messias – das ist schon die ganze Weihnachtsbotschaft. Gott wird unter uns geboren als verletzliches, als hilfe- und schutzbedürftiges Kind.

Die Windeln wechseln als Moment großer Intimität

Der erste „Gottesdienst“, den Maria ihrem Neugeborenen erweist, ist das Wechseln der Windeln. Gerade für das Verhältnis von Mutter und Säugling ist das Windelwechseln immer ein Moment großer körperlicher Nähe. Das Baby genießt dabei, gestreichelt und liebkost zu werden. Es liebt den warmen Wickelraum und die gesteigerte Zuwendung der Mutter. Es strampelt und antwortet brabbelnd und quickend auf die Koseworte der Mutter.

Es ist demütigend, in Windeln gewickelt zu werden

Was bei Säuglingen und Kleinkindern für uns alle schön ist, ohne Ekel zu empfinden, stellt sich in späteren Jahren ganz anders dar. Noch heute erinnere ich mich, wie mein Großvater nach einem längeren Krankenhausaufenthalt zum Pflegefall geworden war. Als ich ihn das erste Mal daliegen sah, gerade frisch versorgt mit neuen Windeln, hat er hemmungslos geweint, er, den ich nie zuvor hatte weinen sehen. Er war erschüttert und beschämt, so daliegen zu müssen, hilflos, und gerade im Blick auf den Intimbereich auf die Hilfe von anderen angewiesen. Ja, es ist demütigend, wenn man so schwach geworden ist, dass man sich selbst nicht mehr vorstehen kann.

Mit dem Gott in Windeln die eigenen Schwächen annehmen

Gott beugt sich an Weihnachten nicht huldvoll herab zu den Kleinen da unten, um durch das Herabbeugen den bleibenden Abstand noch einmal zu markieren. Unser Gott ist anders. In Demut unterwirft er sich dem Los aller Sterblichen. Der Mensch gewordene Herr teilt mit uns die Momente unserer Schwäche und unserer Hilflosigkeit. Angesichts dieses Gottes muss sich keiner seiner Hilfsbedürftigkeit schämen. Auch wenn es uns oft sehr schwer fällt, uns selbst schwach zu sehen, an Weihnachten dürfen wir unsere Schwachheit annehmen, weil Gott sie für uns und mit uns annimmt in Jesus Christus. So schenkt er uns unsere Würde wieder als endliche Menschen.

Gut umgehen mit den Blößen der Menschen

Der Gott in Windeln ist ein Gott, der nicht bloßstellt und demütigt. Nach der Vertreibung aus dem Paradies machte Gott Adam und Eva Kleider, um ihre Blöße zu bedecken (Gen 3,21). An Weihnachten ist es Gott selbst, der darauf angewiesen ist, dass Menschen seine Blöße bedecken. Das Wickeln in Windeln als liebevoller Akt menschlicher Zuwendung erinnert uns deshalb an Weihnachten daran, gut mit den Schwächen Anderer umzugehen. Sie nicht bloß zu stellen und lächerlich zu machen, sondern ihre Fehler und Macken liebevoll zu bedecken und sie nicht zu beschämen. Denn wie das Kind in der Krippe sehnen auch wir uns nach dem Schutz unserer verletzlichen Existenz.

Gott an den Windeln und in den Windeln erkennen

Gott vertraut sich an Weihnachten Menschen an und er liefert sich Menschen aus. Er ist angewiesen darauf, dass man ihn aufnimmt und annimmt. Auch er braucht Zuwendung, Liebe und Pflege, wie jeder von uns.

An den Windeln erkennen ihn die Hirten. In den Windeln erkennen ihn all diejenigen, die den Hirtendienst für die Verlorenen und Hilfsbedürftigen versehen. Die Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte in den Krankenhäusern, in den Altenhilfe- und Behindertenhilfeeinrichtungen. Die Erzieherinnen und Erzieher in den Kindertagesstätten. Die Menschen, die sich der Pflege anderer auch im häuslichen Bereich verschrieben haben. Wenn Marias erster Gottes-Dienst das Windeln wechseln war, so dienen diese Menschen Gott in der Zuwendung zu den Pflegebedürftigen jeden Alters und jeder Notlage.

Pflegenotstand als Anklage an Weihnachten

Gerade während dieser vierten Welle der Corona-Pandemie tun dies noch immer viele mit Herzblut und Ausdauer. Dennoch sollten wir nicht die Klagen zahlloser Pflegekräfte überhören, die nicht mehr können. In die Klage mischt sich der Zorn, der bisweilen stummer Resignation weicht, weil trotz der Problemanzeigen der letzten Monate sich im Grunde nichts, aber auch gar nichts zur Verbesserung der Situation in der Pflege getan hat. Der Pflegenotstand verschärft sich zusehends. Wenn Weihnachten heißt, Gott an den Windeln und in den Windeln zu erkennen, dann sind wir gefordert, die notwendigen Verbesserungen zur Pflege umgehend auf den Weg zu bringen.

Die Windeln Jesu als kostbare Reliquie

Die Geschichte des Weihnachtsfestes ist von Beginn an verbunden mit der Erinnerung an die kostbaren Windeln des Erlösers. Der Heilige Bernhard lobt die Windeln, weil sie über jeden Königspurpur erhaben sind. Gott schmückt sich nicht mit herrlichen Gewändern, sondern zieht unsere verletzliche Menschennatur an, für die die Windeln stehen.

Im Arabischen Kindheitsevangelium wird erzählt, wie sich die drei Weisen aus dem Morgenland von Maria als Gegengabe für Gold, Weihrauch und Myrrhe eine Windel des Jesuskindes erbitten. Sie wird ihnen zur kostbaren Berührungsreliquie, die ihnen angesichts von Leid und Tod immer neuen Trost spendet, weil Gott mit unserer Not in Berührung gekommen ist und uns gerade dann nahe ist, wenn wir uns verloren glauben.

Unter den Heiligtümern des Aachener Doms befinden sich schließlich auch die heiligen Windeln des Herrn, die alle sieben Jahre den Menschen zur Verehrung gezeigt werden. Lächerlich? Kurios? Alles andere als das! Eine notwendige Erinnerung daran, dass der Immanuel, der „Gott mit uns“, unsere Sterblichkeit mit uns geteilt hat, um uns so das neue Leben Gottes zu schenken.

In den göttlichen Windeln ist auch unser endliches und so verletzliches Leben liebevoll umfangen. Aus diesem Wissen heraus wünsche ich Ihnen von Herzen ein friedvolles und frohes Weihnachtsfest!

Mein Weihnachtswunsch gilt vor allem denen, die heute nicht unter dem Christbaum stehen, sondern in der Zuwendung zu allen Pflegebedürftigen dem Gott dienen, der in Windeln gewickelt wurde. Amen.