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Dokumentation

„Gott und der Mensch stehen an erster Stelle“

Predigt von Weihbischof Ulrich Boom bei der Vesper am Gedenktag des heiligen Nikolaus von Flüe am Sonntag, 25. September 2022, im Würzburger Kiliansdom anlässlich des 75. Geburtstages und zum Ende der Dienstzeit

In den vergangenen Wochen, im Zugehen auf den heutigen Tag, meinen 75. Geburtstag und zum Ende meiner Dienstzeit, habe ich bisweilen überlegt: Was waren die großen Ereignisse in deinem Leben in den letzten Jahrzehnten? Was war besonders bewegend? Gewiss gehören dazu die ganz guten Freunde und Freundinnen, die mich immer wieder bestärkten. Gewiss die Weihen zum Diakon, Priester und Bischof. Da waren die vielen Firmungen und das Erleben einer jungen Kirche - wie sie auch immer ist und wie sie auch immer werden wird, auf jeden Fall bestärkend. Die Altarweihen - ohne das Engagement in den Gemeinden und vieler engagierter Menschen im Ehren- und Hauptamt gäbe es die beeindruckenden Kirchen in unserem Bistum nicht. Vieles kommt mir in den Sinn. Aber immer wieder auch der 9. November 1989, der Fall der Mauer.

Ich war damals zu Exerzitien im Berliner Karmel „Regina Martyrum“. Als die Mauer fiel, sagte die damalige Priorin Schwester Gemma Hinricher OCD (1932 - 1990): „Wenn so Großes geschieht, kann man nicht im Kloster bleiben.“ Es war damals sehr bewegend. Staunend standen wir an der Mauer. Menschen standen jubelnd auf ihr. Weinend und fragend konnte man auch hören: „Lassen sie (die Volkspolizei) uns wieder zurück?“. Nachts, in der Nähe vom Kloster am Jakobs-Kaiser-Platz, traf ich ein Elternpaar mit einem Kind: „Wir wollten nur schauen, ob das wirklich geht. Einfach so in den Westen gehen“.

Ich gehöre zu einer Generation, die gelernt hatte: „Deutschland – dreigeteilt – niemals.“ „Einigkeit und Recht und Freiheit“, haben wir auswendig gelernt und gesungen. Aber geglaubt hat man es in den vielen Jahren des Kalten Krieges und des Eisernen Vorhangs letztlich nicht mehr so recht. Mancher möchte heute Mauern wieder aufrichten und Vorhänge herunterlassen. Dies von vielen Seiten und vielfältig. Mauern in den Köpfen der Menschen gab und gibt es zu allen Zeiten und aus vielen Gründen. „Einigkeit und Recht und Freiheit“ sind hohe Güter nicht nur im säkularen Bereich, auch im Raum der Kirche. Die Freiheit ist das Scharnier und der Schlüssel, um Einigkeit und Einheit zu erreichen und um Recht und Gerechtigkeit für alle Menschen zu erlangen.

Freiheit ist ja nicht ein Freibrief für das, was ich tun und lassen will. Freiheit ist gebunden an Verantwortung und Vertrauen. Verantwortung, die gegeben und übernommen wird. Vertrauen, das geschenkt wird und das ich haben darf. Diese drei gehören zusammen. Es gibt keine Freiheit ohne Verantwortung und Vertrauen, keine Verantwortung ohne Vertrauen und Freiheit und kein Vertrauen ohne Freiheit und Verantwortung. In unserer jüdisch-christlichen Tradition glauben wir, dass diese Freiheit uns von Gott geschenkt ist. Im Evangelium vom barmherzigen Vater mit seinen zwei Söhnen wird uns dies vor Augen geführt. Beide Söhne müssen lernen, was sie haben und was auf dem Spiel steht, wenn jeder nur an sich denkt und meint, er weiß alles und geht schon den richtigen, den einzigen Weg.

Mit zunehmendem Alter entdecke ich, dass dieser Gott für mich zu einem immer größeren Geheimnis wird. Gewiss weiß ich, dass ich Gott von Angesicht zu Angesicht sehen darf in Jesus Christus. In ihm hat Gottes Liebe zu mir und zur Welt Hand und Fuß bekommen. Aber mit jedem neuen Tag wird mir auch immer mehr meine Begrenztheit bewusst. Das Meditationsbild des Hl. Niklaus von Flüe (1417 - 1487) und sein Gebet der Hingabe bringt es auf den Punkt. Gott ist die Mitte, die ich stets suchen muss. Von ihm geht alles aus und zu ihm geht alles hin. Er sucht mich an meinen Grenzen und in meiner Begrenztheit. Ich bin angenommen und geliebt mit meiner Schuld und meinem Versagen. Ich bin froh, dies glauben zu dürfen und dass mir dies von vielen Menschen vermittelt wurde: Angefangen von meinen Eltern, über Lehrerinnen und Lehrer, bis hin zu den vielen Wegbegleiterinnen und -begleitern.

In der Kirche, bei allem wie es um sie zurzeit steht, durfte dieses Vertrauen in Gott, der mir in Jesus einen Bruder und Freund zur Seite gibt, in mir wachsen – mal mehr, mal weniger. Ich durfte lernen: Gott und der Mensch stehen an erster Stelle. Die Kirche ist an zweiter, dritter Stelle einzuordnen. Sie ist Vehikel, Schiff, damit ich und wir alle zu Gott und zueinander finden. Ich glaube nicht, dass die Kirche ein Luxusdampfer ist und je sein wird oder dass sie ein Traumschiff ist, wo unsere oft wirren Gedanken Wirklichkeit werden. Die Kirche ist ein lecker Kahn. Aber mir ist auf dem Meer des Lebens ein leckes Boot lieber, als dass ich bei Wind und Wogen schwimmen muss. Diese Kraft habe ich nicht. Wir sind auf dem Lebensmeer Schiffbrüchige. Wir müssen dann eben miteinander vereint helfen, dass uns im Boot der Kirche das Wasser nicht bis zum Hals steht und wir unterzugehen drohen. Das ist eine Glaubensgeschichte vom See Genezareth und in unseren Tagen. Damals wie heute ruft uns der Herr zu: Habt keine Angst. Habt Vertrauen.

Der Apostel Paulus hat es uns heute so ans Herz gelegt und auch wohl nur so gelingt es Kirche zu sein und Kirche zu werden. „Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist. Denn wer Christus so dient, ist Gott wohlgefällig und geachtet bei den Menschen. Lasst uns also dem nachjagen, was dem Frieden dient und der gegenseitigen Auferbauung!“ (Röm 14,17-19). Die Kirche ist noch nicht das Reich Gottes, aber in und an ihr soll es sichtbar werden. Das ist Gabe und Aufgabe aller Getauften und Gefirmten. Dies ist gewiss nicht schnell getan, aber ein solches Handeln und Denken gibt dem Leben eine dringend nötige Orientierung und dann eine Leichtigkeit, ohne die es keine Freude am Evangelium gibt.

Ein herzliches Danke an alle, die in meinem Leben mir Freiheit ermöglicht haben, die mich bei der Übernahme von Verantwortung unterstützt haben und die mein Vertrauen in Gott und Mensch gestärkt haben. Ohne den Verdienst und das Bemühen von uns Menschen zu schmälern, gilt in dieser Stunde der Dank dem, der uns liebt: Gott, der uns Freiheit gibt, Verantwortung zutraut und dem wir immer und überall grenzenlos vertrauen dürfen. Amen.