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Dokumentation

"Gott will genau in diese Welt kommen"

Festpredigt von Bischof Dr. Franz Jung am 1. Mai 2022 zum Hochfest Patrona Bavariae in Altötting

Lieber Bischof Stefan,

lieber Herr Stadtpfarrer Metzl,

liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

Die drei neuen Anrufungen Mariens in der Lauretanischen Litanei

Kürzlich hat der Heilige Vater drei neue Anrufungen Mariens in die altehrwürdige Lauretanische Litanei eingefügt. Er hat das getan im Blick auf die Nöte unserer Zeit, die auf diese Weise Eingang finden in unser Gebet. Gerade in diesen bedrängenden Tagen entfalten die drei neuen Anrufungen ihre besondere Kraft. Sie lauten:

• Mater Misericordiae - Maria, Du Mutter der Barmherzigkeit.

• Mater Spei - Maria, Du Mutter der Hoffnung.

• Solacium migrantium – Maria, Du Trösterin der Migranten und Geflüchteten.

Ich möchte heute an dem Tag, da wir Mariens gedenken als der „Patrona Bavariae“, der Schutzherrin Bayerns, mit Ihnen diese drei Anrufungen meditieren. Dabei beziehe ich mich auf die zweite Lesung aus dem letzten Buch der Heiligen Schrift, aus der Offenbarung des Johannes.

I. Beginnen wir mit der Anrufung Mariens als „Mutter der Barmherzigkeit“.

In der Apokalypse lesen wir dazu:

Der Drache stand vor der Frau, die gebären sollte; er wollte ihr Kind verschlingen, sobald es geboren war. Und sie gebar ein Kind, einen Sohn, der alle Völker mit eisernem Zepter weiden wird. Und ihr Kind wurde zu Gott und zu seinem Thron entrückt. Die Frau aber floh in die Wüste, wo Gott ihr einen Zufluchtsort geschaffen hatte; dort wird man sie mit Nahrung versorgen, zwölfhundertsechzig Tage lang.

Der Drache stand vor der Frau, die gebären sollte, denn er wollte ihr Kind verschlingen. Was für ein angsteinflößendes, schreckenerregendes Bild! Der Drache, Bild des abgrundtief Bösen, lauert nur darauf, das neue Leben, das von Gott geschenkt wird, sofort zu vernichten. Noch bevor das Kind überhaupt Gelegenheit hatte, zur Welt zu kommen, soll es sterben. Noch bevor es auf eigenen Füßen stehen kann, soll ihm der Boden unter den Füßen weggezogen werden.

Angesichts dieser grauenvollen Vision fragt sich: Soll man dann überhaupt das Wagnis eingehen, dieses Kind zur Welt zu bringen? Soll man sich selbst und ein Kind dieser Gefahr aussetzen? Oder wäre es angesichts dieser Bedrohung nicht Wahnsinn, solches zu tun? Wäre es nicht unverantwortlich, in einer solchen Situation an Kinder zu denken und Kinder in eine Welt setzen, deren Bestand durch das Böse derart gefährdet ist? Eine Frage, die sich im Übrigen nicht wenige Paare wieder stellen, wie jüngst Umfragen unter jungen Paaren zeigten.

Gott geht dieses Wagnis ein. Im Angesicht des Bösen will er in diese Welt kommen. In eine Welt, in der viele Gefahren lauern. In eine Welt, die von Gewalt und Krieg gekennzeichnet ist. In eine Welt, in der das Gute immer Gefahr läuft, zerstört zu werden und in der alles, was mit Mühe aufgebaut wurde, innerhalb kürzester Zeit vernichtet werden kann.

Gott will genau in diese Welt kommen. Er erwählt dazu Maria, die das göttliche Kind gebären soll. In diesem Kind will der Herr der Menschheit seine Barmherzigkeit erweisen. Das messianische Kind wird vom ersten Moment an bedroht sein durch einen Herodes, der seine Macht in Gefahr sieht. Und trotzdem: Gott ist davon überzeugt, dass am Ende nicht Hass, nicht Gewalt, nicht Lüge und nicht Mord siegen werden, sondern nur die Barmherzigkeit.

Barmherzigkeit erweist Gott uns darin, dass sein Sohn den verlorenen Menschen nachgeht. Er geht ihnen nach bis zum Tod am Kreuz. Er nimmt das Leiden der Menschheit auf sich. Er beantwortet Gewalt nicht mit Gewalt und Hass nicht mit Hass. Er bietet uns die Vergebung an und er hofft darauf, dass wir an sein Angebot, zu vergeben, glauben können. Seit der Auferstehung Christi ist das Kind gewissermaßen entrückt, wie es in der Apokalypse hieß. Damit steht das Angebot der Vergebung und der Barmherzigkeit für alle Zeiten.

Maria, die Mutter der Barmherzigkeit, hat Gott ihr Ja-Wort gegeben. Ihr Ja-Wort ist zugleich die Absage an alle Form von Gewalt und Terror. Mit Gott vertraut sie auf die Kraft der Barmherzigkeit gerade angesichts aller Konflikte und Auseinandersetzungen in dieser Welt. Denn nur die Barmherzigkeit Gottes wird uns retten. Sie wird uns davor bewahren, dass unser Herz sich verhärtet oder verbittert, dass Bosheit und Rache Einzug halten in unsere Herzen. Ja, Maria rufen wir an, dass wir uns nicht vom Bösen überwinden lassen, sondern umgekehrt das Böse durch Gutes überwinden, wie Paulus im Römerbrief sagt (Röm 12,21).

Maria, Mutter der Barmherzigkeit, steh uns bei in unserer Not. Du bist die Mutter der pilgernden Kirche. Als pilgernde Kirche sind wir auf dem Weg in Gottes Ewigkeit. Die mystischen zwölfhundertsechzig Tage der Apokalypse sind dreieinhalb Jahre. Und dreieinhalb Jahre sind die Hälfte von sieben, der heiligen Zahl der Vollkommenheit. Der Hinweis auf die halbe Zeit sagt uns: Als pilgernde Kirche Gottes sind wir noch nicht am Ziel angelangt. Wir bleiben auf dem Weg in die himmlische Vollendung. Schenke uns auf diesem Weg den Glauben an die göttliche Barmherzigkeit, die allein die Welt zu retten vermag.

II. Zur zweiten Anrufung Mariens als „Mutter der Hoffnung“ lesen wir in der Offenbarung des Johannes:

Da hörte ich eine laute Stimme im Himmel rufen: Jetzt ist er da, der rettende Sieg, die Macht und die Königsherrschaft unseres Gottes und die Vollmacht seines Gesalbten; denn gestürzt wurde der Ankläger unserer Brüder, der sie bei Tag und bei Nacht vor unserem Gott verklagte.

Im Himmel wird der große Siegesgesang angestimmt. Denn der Drache hat vor Gott seinen Platz verloren. Er wurde gestürzt, denn er ist unterlegen im Kampf gegen die Mächte des Guten, gegen die heiligen Engel Gottes. Der große Siegesgesang aus dem letzten Buch der Bibel hallt fort im Beten der Kirche. In der Einladung zum Gotteslob vor dem eucharistischen Hochgebet vereinen wir uns immer mit den „Engeln und Erzengeln, den Thronen und Mächten“, um den Sieg Gottes über das Böse zu feiern.

Es ist der Blick auf die triumphierende Kirche des Himmels, der uns Kraft gibt in unserer Not. Maria, die Mutter der Hoffnung, hat Zeit ihres Lebens an diesen Sieg geglaubt. Das war alles andere als leicht, gerade in den schweren Stunden ihres Lebens, bis hin zum Aushalten unter dem Kreuz Christi. Aber hier muss sich die Hoffnung bewähren. Wie schreibt Paulus im Römerbrief so wunderbar (Röm 5,3-5):

„wir rühmen uns der Bedrängnisse; denn wir wissen: Bedrängnis bewirkt Geduld, Geduld aber Bewährung, Bewährung Hoffnung. Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“

Die Bedrängnis bewirkt Geduld, aber nicht im Sinne von Erdulden oder falscher Duldsamkeit. Nein, Bedrängnis führt zu Geduld, weil man davon überzeugt ist, dass das Böse nicht siegen wird. Die Geduld schaut voraus auf den Triumph Gottes und sie bezieht von daher ihre Kraft.

Deshalb auch führt die Geduld zur Bewährung. Die Bewährung zeigt sich im langen Atem. Sie lässt sich nicht irritieren. Sie lässt sich nicht entmutigen und nicht beugen. Sie ist die Kraft, die immer wieder die müden Hände stark macht und die wankenden Knie fest macht (Hebr 12,12 / Jes 35,3).

Die Bewährung aber führt zur Hoffnung. Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen. Von Gott sind wir geliebt bis in den Tod. Ihn dürfen wir deshalb lieben bis in den Tod. Es ist diese Liebe, die nicht zugrunde gehen lässt, sondern unsere Herzen zu Gott erhebt.

Maria, du Mutter der Hoffnung, steh uns bei in den Bedrängnissen unserer Tage.

Du wurdest in den Himmel aufgenommen. Als Königin des Himmels bist du auch unsere Mutter der Hoffnung. Gib uns Ausdauer in den Kämpfen unseres Lebens. Ermutige du uns in den Nöten unseres Alltags. Verleih uns täglich neu die Kraft, an den Triumph der Liebe Gottes zu glauben.

III. Zur dritten Anrufung Mariens als „Mutter der Geflüchteten und Migranten“ lesen wir in der Offenbarung des Johannes:

Weh aber euch, Land und Meer! Denn der Teufel ist zu euch hinabgekommen; seine Wut ist groß, weil er weiß, dass ihm nur noch eine kurze Frist bleibt.

Weh euch, der Teufel ist zu euch hinabgekommen. Ja, manchmal könnte man meinen, der Teufel wäre losgelassen. Die Erfahrungen, dass sich das Böse austobt, lähmen uns und erfüllen uns mit Angst. Die Apokalypse beschreibt dabei den Teufel in einem doppelten Bild. Auf der einen Seite sagt sie, dass er weiß, dass ihm nur noch eine kurze Frist bleibt. Der Teufel erscheint wie ein tödlich verwundetes Tier. Seine Frist ist definitiv abgelaufen. Seine Zeit ist vorbei. Das ist die gute Nachricht.

Aber die schlechte Nachricht lautet: Gerade weil es das letzte Aufbäumen und der letzte Kampf ist, wird er umso verbitterter und umso rücksichtsloser geführt. Das tödlich verwundete Tier greift in einem letzten Aufbäumen all seiner Kraft noch einmal in rasender Wut alles an, schlägt blindlings um sich, um möglichst viel zu zerstören und mit in den eigenen Untergang zu reißen.

Das haben die letzten Kämpfe so an sich. Das haben wir im eigenen Land erlebt am Ende des Zweiten Weltkriegs. Wir erleben es in privaten Auseinandersetzungen, wenn Menschen einander nichts mehr schenken und sich alles denkbar Böse antun, ohne Rücksicht walten zu lassen. Und wir erleben es jetzt hautnah im Russland-Ukraine-Krieg in aller Brutalität. Je weniger Erfolgsaussichten winken, umso erbarmungsloser tobt der Kampf, umso sinnloser und irrsinniger werden die Methoden, zu denen man greift in der fehlgeleiteten Annahme, doch noch etwas erreichen zu können.

Das Austoben des Bösen fordert viele Opfer. Jetzt sind es die Geflüchteten Menschen, die bei uns Heimat, Sicherheit und ein Obdach suchen. Sie wollen den Schrecken des Krieges entkommen. Sie brauchen Zuwendung und das Gefühl, nicht mehr in Lebensgefahr zu sein. Sie müssen die traumatisierenden Erfahrungen von Krieg und Flucht und Trennung verarbeiten.

Maria, die Trösterin der Geflüchteten, weiß wovon die Rede ist. Sie hat selbst oft genug vor verschlossenen Türen gestanden wie damals in Bethlehem. Sie war jahrelang auf der Flucht vor denen, die den Tod ihres Sohnes wünschten. Sie wusste nach der Vorhersage des greisen Simeon, dass ihr die Erfahrung nicht erspart bleiben würde, dass ihr ein Schwert durch die Seele dringt.

Maria, die Trösterin der Geflüchteten, ist die Mutter der leidenden Kirche. Die leidende Kirche ist eine Kirche, die sich anrühren lässt von der Not der Menschen. Es ist eine Kirche, die die Türen nicht verschließt vor den Hilfesuchenden, sondern öffnet. Es ist eine Kirche, die Liebe schenkt, um den Hass zu überwinden.

Eine Kirche, die Heimat sein will für alle, die ihre Heimat verloren haben. Die als leidende Kirche die Ohnmacht mit den Ohnmächtigen aushält, mit ihnen trauert, bei ihnen ist und sie in ihrer Hilflosigkeit und Verzweiflung nicht allein lässt.

Maria, du Trösterin der Geflüchteten, mache auch unsere Herzen weit. Lass unsere Gemeinden und unsere Kirche zu einem Ort der Zuflucht, der Versöhnung und des Friedens werden.

IV. „Seid fröhlich in der Hoffnung, geduldig in der Bedrängnis, beharrlich im Gebet“,

ruft Paulus seiner Gemeinde in Rom zu (Röm 12,12). Es ist ein wunderbares Wort der Ermutigung, in dem die drei neuen Anrufungen Mariens in der Lauretanischen Litanei schön zusammengefasst werden:

• Seid fröhlich in der Hoffnung mit Maria, der Mutter der Hoffnung!

• Seid geduldig in der Bedrängnis mit Maria, der Trösterin der Geflüchteten!

• Seid beharrlich im Gebet mit Maria, der Mutter der Barmherzigkeit!

Mögen uns diese drei Anrufungen stärken angesichts der „Traurigkeit dieser Zeit“ und uns Kraft geben für unsere persönliche Nachfolge Christi auf die Fürsprache der heiligen Gottesmutter. Sie halte ihre schützende Hand über unser Land und über alle, die hier ihre mütterliche Geborgenheit und Liebe suchen. Amen.