Würzburg (POW) Ende Juli hört Thomas Keßler als Generalvikar des Bistums Würzburg auf. Nach fast fünfeinhalb Jahren in dieser Aufgabe wechselt er auf eigenen Wunsch zurück in die Seelsorge. Im folgenden Interview blickt er auf seine Amtszeit, spricht über besondere Herausforderungen und gelungene Projekte. Außerdem erläutert er, was die nahe Zukunft für ihn bringen wird.
POW: Knapp fünfeinhalb Jahre Amtszeit als Generalvikar liegen hinter Ihnen. Mit welchen Gefühlen schauen Sie auf den bevorstehenden Abschied aus dem Bischöflichen Ordinariat?
Generalvikar Thomas Keßler: Es sind gemischte Gefühle. Vieles von dem, was ich angefangen habe, ist noch im Gange. Ich verlasse eine Baustelle. Auf der anderen Seite mit Freude. Denn ich kann sagen: Die Dinge sind in die Spur gebracht und ich kann sie gut meinem Nachfolger überlassen. Außerdem gehe ich jetzt wieder hinaus in die Arbeit, die ich vorher drei Jahrzehnte gemacht habe.
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POW: Sie sind nach meinem Wissen der erste Generalvikar, der aus dem Ordinariat wieder hinaus in die Seelsorge in der Pfarrei wechselt. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?
Keßler: Ich denke, es ist gut, zur rechten Zeit einen Stabwechsel zu vollziehen.
POW: Weil die Aufgabe so fordernd ist?
Keßler: Das auch. Aber selbst wenn ich weiterhin in Bad Kissingen Pfarrer geblieben wäre, hätte ich vor dem 70. Geburtstag noch einmal eine neue Aufgabe gesucht.
POW: Die neue Stelle in Bad Neustadt und Umgebung hat sich so ergeben oder kam Ihnen als gebürtigem Bad Neustädter auch ganz gelegen?
Keßler: Das ist mir nicht unrecht (lacht). Wäre ich seinerzeit nicht nach Würzburg gewechselt, hätte ich schon damals ins Auge gefasst, in einem Bereich in dieser Gegend zu arbeiten und dort zuhause zu sein.
POW: Das ist ganz wörtlich zu nehmen. Sie ziehen ja in Ihr Elternhaus in der Roßmarktstraße ein. Aber ohne Pferde.
Keßler: Ja, leider. Ich musste mich im vergangenen Jahr aus Zeitgründen von ihnen trennen. Das war total schwer für mich. Aber es war der richtige Zeitpunkt. Die Pferde bleiben bei der Familie, die diese bislang betreut hat. Und die Frau macht jetzt derzeit den Kutschschein. Damit geht es für die Pferde gut weiter.
POW: Wie beurteilen Sie im Rückblick Ihre Entscheidung, auf die Anfrage von Bischof Dr. Friedhelm Hofmann, ob Sie das Amt des Generalvikars übernehmen, Ihr Ja gegeben zu haben?
Keßler: Grundsätzlich war es nicht in meiner Lebensplanung. Aber ich habe nie Nein gesagt, wenn ich gefragt wurde. Ich habe Erfahrung damit, mich auf heiße Stühle zu setzen. Aber letztlich ist immer alles gut geworden. Ich wollte zum Beispiel als junger Priester in den Westen der Diözese und kam ganz in den Osten.
POW: Wieso wollten Sie damals in den Westen?
Keßler: Ich bin damals angesprochen worden, als ich Praktikant in Kleinwallstadt war. Der damalige Dekan Alkuin Mahr sagte mir, dass Pflaumheim frei sei und fragte mich, ob das nicht etwas für mich sei. Ich sagte: Ja, freilich. Eine halbe Stunde später rief der damalige Generalvikar Brander an und gab eine andere Richtung an: Ich solle in den Osten. Mit Bad Kissingen war es ganz ähnlich. Da kam die Anfrage ähnlich überraschend wie mit dem Generalvikar. Für alle Erfahrungen, bei allem, was geglückt oder auch nicht geglückt ist, kann ich sagen: Es war okay.
POW: Wie war denn der „Realitätsschock“ für Sie als Generalvikar? Gab es Aufgaben, die Sie zuvor ganz anders eingeschätzt haben?
Keßler: Ich war dem ganzen Ordinariat nicht ganz fremd. Ich hatte ja schon zuvor vielfältige Kontaktpunkte, die mir mitunter spitze Bemerkungen wie „Du kannst Dein Bett ja gleich in Würzburg aufschlagen“ einbrachten. Teilweise war ich dreimal pro Woche in Würzburg. Ich war bei der Einführung des Mitarbeiterjahresgesprächs dabei, außerdem im Lenkungskreis für die Errichtung der Pfarreiengemeinschaften. Als Diözesan-Verantwortlicher für die Notfallseelsorge gehörte ich der Hauptabteilung Seelsorge an, zudem war ich Mitglied im Präventionsbeirat und bei der Caritas in der Resonanzgruppe für die Neustrukturierung des Diözesan-Caritasverbands. Wenn man dann aber plötzlich in Hauptverantwortung steht und der Personalleiter kommt zum Jour Fixe am ersten Arbeitstag, dann muss man natürlich erst einmal in die neue Rolle hineinfinden. Ich konnte ja meinen Vorgänger, der plötzlich verstorben war, nicht um Rat fragen.
POW: Was war als Generalvikar für Sie die menschlich größte Herausforderung?
Keßler: Man steht immer wieder vor Entscheidungen, die für andere Konsequenzen haben. Um Ihnen ein Beispiel zu nennen: Ich musste bei so mancher Bausache eine Ablehnung schreiben. Nach der neuen Baugenehmigungsordnung ist der Generalvikar vor dem Bischof die letzte Instanz für einen Einspruch. Mir kam da regelmäßig der Flashback: Wie ging es Dir seinerzeit als Pfarrer mit abschlägigen Entscheidungen? Das war für mich nicht leicht. Ich weiß, wie es den Menschen geht, die jahrelang planen und dann eine Absage mit meiner Unterschrift bekommen.
POW: Gehört dieses Thema also zu den eher schmerzhaften Erinnerungen an die vergangenen Jahre?
Keßler: Definitiv. Das waren Sachen, die für mich nie einfach waren.
POW: Das Thema Missbrauch hat Sie durch Ihre Amtszeit begleitet.
Keßler: Wir waren auch anfangs noch nicht optimal aufgestellt. Jetzt haben wir einen klaren Ablauf, wenn eine Missbrauchsmeldung kommt, damit die Gemeinde, die mutmaßlich Betroffenen und die mutmaßlichen Beschuldigten begleitet werden können. Es ist immer eine Gratwanderung: Wie wird man den Menschen gerecht, wie redet man richtig? Schwierig ist es besonders dann, wenn man die beschuldigten Geistlichen persönlich kennt und diese mit der eigenen Lebensgeschichte verbunden sind. Es darf keine Parteilichkeit geben. Ich bin sehr dankbar, dass ich mich jederzeit auf mein Team im Generalvikariat verlassen konnte. Auch der gute Umgang miteinander hat vieles Schwere leichter gemacht.
POW: Umgekehrt: Welche Momente bleiben Ihnen positiv in Erinnerung?
Keßler: So einige. Man kann in dieser Funktion auch gestalten. Denken Sie an die Überlegungen zur Pastoral der Zukunft, die ich mit angestoßen habe. Da habe ich mich mehrfach dem Gegenwind gestellt und um die Positionen gekämpft. Es geht immer darum, für Ideen auch zu werben. Das gilt auch für die Strukturreform des Ordinariats oder die Schaffung der Kanzlei. Vieles ist noch nicht fertig, die Tiefenbohrungen stehen noch aus. Ich habe mich in diesen Jahren zugleich auch bemüht, das Bistum in seiner Breite im Blick zu haben. Deswegen habe ich die Pfarrer, die ihre Stelle gewechselt haben, vor Ort besucht, um zu zeigen: Ihr seid gesehen und wertgeschätzt.
POW: Was hat Sie bewogen, das Ordinariat neu zu strukturieren?
Keßler: Ich habe gemerkt, dass wir intern Reibungsverluste hatten. Mir ging es um eine gute Zuordnung der Hauptabteilungen, ohne Doppelung und isoliertes Ressortdenken. Ein anderer wichtiger Punkt ist das Fördern der Rechtssicherheit. Die Ordinariatskonferenz hat ein Statut, das Ordinariat eine Geschäftsordnung bekommen. Auch für letztere gilt es immer wieder zu werben. Aber auf dieser Grundlage arbeiten wir. Außerdem haben wir beim Thema Finanzen verstärkt Externe in die Aufsichtsgremien geholt. Das sind Dinge, wo ich sagen kann: Das ist geglückt. Was wir für die Zukunft brauchen, sind Schwerpunktsetzungen des Ordinariats. Auch diese sind jetzt zum Abschluss gekommen und werden zeitnah veröffentlicht. Damit hat der neue Generalvikar eine gute Grundlage für sein Wirken.
POW: Sie haben für die genannten Arbeiten auch externe Berater hinzugezogen. Das ist nicht nur auf Gegenliebe gestoßen.
Keßler: Die Berater sind jetzt auch wieder weg. Auch wenn es Geld gekostet hat: Im Blick auf andere Diözesen hatten wir sicherlich die kostengünstigeren Varianten. Ohne die Berater wäre all das viel schwerer gewesen. Auch ich hatte Beratungsbedarf. Gleiches gilt für die Strukturreform des Ordinariats. Man läuft sonst Gefahr, immer in der eigenen Soße zu kochen. Da wurden zum Beispiel über 40 Interviews im Haus geführt, bevor überhaupt an erste Veränderungen herangegangen wurde. Das sind Dinge, die sich mit einem Binnenblick allein nicht lösen lassen. Zugleich hatte ich immer ein hausinternes Team um mich, das mit den Beratern zusammengearbeitet hat.
POW: Ein anderer Vorwurf, der häufig zu hören ist: Das Bistum betreibt viel zu viel Verwaltung und vernachlässigt im Gegenzug das Spirituelle. Wie beurteilen Sie das?
Keßler: Es war für mich ein Lernprozess, bei dem ich mich immer wieder vor die Verwaltung gestellt habe. Es läuft nicht immer alles rund, aber wenn wir so manche andere Verwaltung anschauen, sind wir noch immer schnell. Im Blick auf die staatlichen Anforderungen und die Risiken brauchen wir eine funktionierende Verwaltung. Diese dient letztlich auch den Pfarreien. Wenn es bei uns hier im Ordinariat nicht läuft, können wir weder unterstützen noch unsere Kontrollfunktion wahrnehmen. Dennoch werden wir zu einer Reduzierung kommen müssen. Die lässt sich aber nur erreichen, wenn man Schwerpunkte setzt.
POW: Wo genau sehen Sie die Rolle des Generalvikars? Er ist zweiter Mann im Bistum nach dem Bischof, aber auch Mitglied des Domkapitels.
Keßler: Es braucht zum einen das Vertrauen des Bischofs. Ich muss immer im Blick haben, dass ich im Sinn des Bischofs zu handeln habe. Der Generalvikar, und das ist neu, hat die Ordinariatskonferenz in ihrer Funktion als erweiterte Hauptabteilungsleiterkonferenz. Es wird sicherlich eine Aufgabe sein, den Allgemeinen Geistlichen Rat als Beratergremium des Bischofs gut zu definieren. Das Domkapitel als geistliches Beratungsgremium könnte auch über das Haus hinaus Verantwortung tragen.
POW: Deswegen gehen Sie als Domkapitular nach Bad Neustadt, um Erfahrungen aus der Fläche ins Kapitel hinein zu spiegeln.
Keßler: Das könnte zukünftig ganz normal sein. Ich denke zum Beispiel an Domkapitulare in Aschaffenburg und Schweinfurt, um die Mitmenschen im Bistum zu stärken.
POW: Wie sieht bei Ihnen die Planung für die nähere Zukunft aus?
Keßler: Am 23. Juli haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Gelegenheit zur Verabschiedung. Im August unterziehe ich mich einem chirurgischen Eingriff, dann schließt sich die Reha an. Pfarrer Hans Beetz bleibt vorerst in Brendlorenzen, so dass ich im November in der Pfarreiengemeinschaft anfangen werde. Hinzu kommt meine Verantwortung als Domkapitular, die ich weiterhin wahrnehme.
POW: Haben Sie Ihrem Nachfolger Dr. Jürgen Vorndran schon Tipps geben können?
Keßler: Ich führe ihn schon in seine neue Verantwortung ein. Er nimmt an verschiedenen Sitzungen teil, wir führen Gespräche miteinander. Ich möchte ihm helfen, dass er gut in die Aufgabe hineinkommt. Mein Rat an ihn: Es ist wichtig, gut hinzuhören, ehe man eine Entscheidung trifft. Und ich bin sicher, das wird er auch tun.
POW: Auf was freuen Sie sich am meisten an der neuen Arbeit?
Keßler: Ich gehe gern auf die Menschen zu. Das kann ich dann wieder machen. Auch die Vernetzung im Pastoralen Raum möchte ich gut hinkriegen. Ich bin mir sicher, die Zusammenarbeit mit Seelsorgerinnen und Seelsorgern wird gut gelingen.
Zur Person
Thomas Keßler (64) ist seit April 2014 Generalvikar des Bistums Würzburg. Er wurde 1955 in Bad Neustadt geboren. Nach dem Abitur am Gymnasium in Bad Neustadt studierte er in Würzburg und Innsbruck Theologie. Am 25. Februar 1984 weihte ihn Bischof Dr. Paul-Werner Scheele in Würzburg zum Priester. Danach war Keßler als Kaplan zunächst in Kleinwallstadt, dann in Mainaschaff für Stockstadt und von 1985 bis 1987 in Bad Kissingen eingesetzt. In Bad Kissingen war er auch Dekanatsjugendseelsorger. Ab 1987 wirkte Keßler zunächst kurz als Pfarrverweser, dann noch im gleichen Jahr als Pfarrer von Mürsbach und Gereuth im Landkreis Bamberg mit den dazugehörigen Filialen. 1994 wurde er zusätzlich Leiter des Pfarrverbandes Ebern. 1997 übernahm er auch die Pfarreien Baunach und Lauter und wurde damit Pfarrer der neuen Pfarreiengemeinschaft „Baunach, Lauter, Mürsbach und Gereuth“. 2001 wurde er darüber hinaus Präses des Ortsverbands Baunach der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) sowie 2002 auch des KAB-Ortsverbands Lauter.
Zusätzlich zur Pfarrseelsorge nahm Keßler auf Ebene des Dekanats Ebern mehrere Aufgaben wahr: Von 1987 bis 1997 war er Dekanatsjugendseelsorger, von 1990 bis 2004 Dekanatsbeauftragter für Priester- und Ordensberufe. 1999 wurde Keßler zum stellvertretenden Dekan gewählt. Zugleich wurde er Beauftragter für die Notfallseelsorge der Dekanate Ebern und Haßfurt sowie Ökumenebeauftragter für das Dekanat Ebern. Bereits 1995 wurde Keßler Notfallseelsorger für den Landkreis Bamberg, 1996 Beauftragter für die Notfallseelsorge im Bistum Würzburg. 2000 übernahm Keßler zudem die Koordination der Seelsorge im Feuerwehr- und Rettungsdienst in der Diözese Würzburg. Von 2001 bis 2005 war er Sprecher der Diözesanbeauftragten für die Notfallseelsorge in den bayerischen Bistümern. Die Diözese Würzburg unterstützte er beim Aufbau der inzwischen flächendeckenden Notfallseelsorgesysteme.
2004 wechselte Keßler als Pfarrer von Mürsbach nach Bad Kissingen. 2005 wurde er zum Dekan des Dekanats Bad Kissingen gewählt. 2006 übernahm er auch die Pfarrei Arnshausen. Zusätzlich wurde er 2009 zum Pfarrer der Pfarrei Hausen mit Filiale Kleinbrach ernannt und wurde damit Pfarrer und Leiter der neuen Pfarreiengemeinschaft „Jesus – Quelle des Lebens, Bad Kissingen“.
Auf Diözesanebene engagierte sich Keßler von 2006 bis 2010 in der „Steuerungsgruppe zur Errichtung der Pfarreiengemeinschaften“ und wirkte in der Arbeitsgruppe zur Einrichtung der Mitarbeiterjahresgespräche in der Diözese mit. Ab 2010 war er Mitglied im Diözesanpastoralrat und im Priesterrat der Diözese Würzburg. Dem Projektbeirat zur Begleitung und Unterstützung des Dialogprozesses im Bistum Würzburg sowie dem Fachbeirat der „Koordinierungs- und Fachstelle zur Prävention sexualisierter Gewalt“ gehörte er von 2012 bis 2014 an. Beim Gesprächsforum der Deutschen Bischofskonferenz 2012 in Hannover zählte er zur Teilnehmergruppe aus dem Bistum Würzburg. Keßler arbeitete beim Verbandsentwicklungsprozess des Diözesan-Caritasverbands Würzburg mit. Bischof Dr. Friedhelm Hofmann ernannte ihn am 14. April 2014 zum Generalvikar des Bistums Würzburg. Seit 2015 ist er Domkapitular und auch Rector ecclesiae der Würzburger Marienkapelle.
Interview: Markus Hauck (POW)
(2920/0740; E-Mail voraus)
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