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Dokumentation

„Ich habe den Herrn gesehen!“

Predigt von Bischof Dr. Franz Jung am Ostersonntag, 31. März 2024 im Würzburger Kiliansdom

Mit Geduld nach dem neuen Leben suchen

Die Geduld soll in diesem Jahr der rote Faden bei unseren Betrachtungen über Tod und Auferstehung Jesu sein. Am Gründonnerstag haben wir über die Geduld und die Feindesliebe nachgedacht, am Karfreitag über die Geduld in Krankheit und Leid. Heute am Ostersonntag lernen wir mit Maria von Magdala, wie viel Geduld man aufbringen muss, um das neue Leben zu suchen, das Gott uns an Ostern schenkt. Denn Ostern geschieht nicht einfach. Bis die Zusage des neuen Lebens auch unser Leben verändert, müssen wir einen Prozess durchlaufen. Einmal mehr wird sich dabei zeigen, dass die Geduld die Wurzel und Hüterin aller Tugenden ist, wie einst Papst Gregor der Große sagte.

Am Anfang steht der Schock

Maria von Magdala durchläuft einen Trauerprozess, wie er auch uns nicht unbekannt ist. Am Anfang steht der Schock über den Tod eines geliebten Menschen. Maria von Magdala, die Jesus nachgefolgt war, folgt ihm auch im Tod nach. Sie läuft zum Grab, um in der Nähe Jesu zu sein. Dort angekommen, muss sie feststellen, dass Jesus gar nicht dort ist. Das Grab ist leer. Ein weiterer Schock. „Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wohin sie ihn gelegt haben.“ So lautet ihre Verlustmeldung. Der lebende Jesus ist nicht mehr da, der tote auch nicht.

Der rückwärtsgewandte Blick der Trauer

Die Suche nach dem toten Jesus berührt uns. Denn wir alle wissen, wie sehr wir Verstorbene vermissen können. Der Blick geht zurück. Man will sich an dem festhalten, der da einmal war. Man will das festhalten, was einem geblieben ist an Erinnerungen und Begegnungen, an menschlicher Wärme und Zuwendung. Den Verlust wahrnehmen ist ein erster wichtiger Schritt. Er braucht wie alle folgenden Schritte im Trauerprozess Zeit und Geduld. Denn leider ermisst man oftmals erst im Nachhinein, was man an dem anderen gehabt hatte und was er einem bedeutete.

Den Verlust eines lieben Menschen zulassen und ihn bewusst annehmen

Maria muss lernen, den Verlust zuzulassen. Ihn hinzunehmen. Das ist schon schwer. Aber darüber hinaus muss sie lernen, ihn bewusst anzunehmen. Dass ein mir lieber Mensch genommen wurde, ist jetzt Teil meines Lebens. Jetzt gehöre ich auch zu denen, die den Tod eines Menschen zu verarbeiten haben. Hinnehmen und annehmen brauchen Geduld, wie könnte es anders sein.

Der Blick in die Grabkammer und das Ringen mit der Vergangenheit

Der Trauerprozess der Maria von Magdala tritt in eine neue Phase, als sie es vorsichtig wagt, in die Grabkammer hineinzuschauen. Nach dem Schock des Verlustes beginnt sie nachzudenken über das, was geschehen ist. Auf die Nachfrage der Engel, warum sie denn weine, wiederholt sie ihre Klage darüber, dass „sie“ ihren Herrn weggenommen haben und sie nicht wisse, wohin man ihn gebracht habe. Sie hat es nicht geschafft, zu verhindern, dass Jesus weggebracht wird.

Das Nachdenken über das Verschwinden des Leichnams ist typisch für den Fortgang des Trauerprozesses. Fragen beginnen uns zu quälen. Im Nachhinein fragen wir uns, was wir alles noch hätten tun müssen. Wo wir zu unvorsichtig waren. Was wir aus der Rückschau betrachtet alles verpasst haben und was vielleicht hätte vermieden werden können. Es ist wichtig, diese Sorgen auszusprechen, auch wenn wir ahnen, dass uns niemand diese Fragen jemals zufriedenstellend wird beantworten können.

Umwendung zu Jesus und der persönliche Anruf

Wie sehr Maria von Magdala in der Vergangenheit hängen geblieben ist, zeigt sich in der Begegnung mit Jesus. Denn zum dritten Mal wiederholt sie die Verlustanzeige, über die sie nicht hinwegzukommen scheint. Vielleicht war es ja dieser Gärtner, der den Toten weggebracht hat. Vielleicht kann er ihr ja weiterhelfen. Denn eines ist für sie klar: Sie will sich diesen Jesus zurückholen.

Erst als Jesus sie mit ihrem Namen anspricht, verändert sich alles. Als sie ihren Namen hört, wendet sie sich um, heißt es im Evangelium. Dieses Sich-Umwenden wird zur entscheidenden Wendung. Im Hören ihres Namens kommt sie zum ersten Mal zu sich selbst. Nach der Phase der Trauer erwacht sie plötzlich zu sich selbst. Sie spürt sich seit langem wieder. Sie kommt mit einem Mal an in der Gegenwart und ist wieder da. Ein wunderbarer Moment. Einige Zeit hat es gedauert, bis sie ihren Namen hörte. Aber Jesus kann warten und rufen. Solange rufen, bis die Schafe die Stimme des guten Hirten erkennen und sich ihm anvertrauen (Joh 10,3).

Sich nicht umwenden wollen aus Ungeduld

Dieser Perspektivwechsel braucht Geduld. Wie oft aber habe ich es erlebt, dass Menschen sich diese Geduld nicht gönnen. Wo die Geduld im Trauerprozess fehlt, wird sich die notwendige Änderung der Perspektive auch nicht einstellen. Beispiele dafür gibt es genug.

  • Nach einem schweren Konflikt im Leben fällt man wieder in die alten Verhaltensmuster zurück, ohne zu analysieren, was vorgefallen ist und welche Lehren man daraus ziehen könnte oder müsste.
  • Nach dem Tod oder der Trennung von einem Lebenspartner geht man sofort wieder eine Bindung ein, ohne innezuhalten und sich Zeit zu lassen für einen wirklichen Perspektivwechsel. Ohne zu fragen: Was war das, was wir gelebt haben? Wie gehe ich gut damit um? Was heißt das für mich als Person? Und was müsste, was würde ich anders machen wollen?
  • Nach dem Scheitern im Beruf sucht man nur die Schuld bei den anderen, ohne eine Unterbrechung zuzulassen und sich selbst zu konfrontieren mit sicher unangenehmen Fragen, die aber gerade deshalb, weil sie unangenehm sind, zur Wahrnehmung der Wahrheit, der persönlichen Wirklichkeit führen.
  • Oder weltpolitisch betrachtet im Blick auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine: Nach dem Zusammenbruch eines Großreiches zu meinen, man könne die vermeintlich alte Herrlichkeit wieder zurückbomben und Menschen mit Gewalt unter die eigene Knute zwingen, wird nicht funktionieren. Die fehlende Perspektive hinterlässt höchstens ein Blutbad und verbrannte Erde.

Ohne wirklichen Perspektivwechsel ist nur Wiederbelebung des Alten

Ohne sich zu Jesus umzuwenden wie Maria von Magdala, ohne einen wirklichen Wechsel der Blickrichtung wird man die gleichen Fehler wieder machen. Dann erlebt man höchstens eine Wiederbelebung, aber sicher keine Auferstehung. Ungeduld verhindert, dass sich etwas Neues zeigen kann. Nur Geduld eröffnet neue Sichtweisen. Es zeichnet Maria von Magdala aus, dass sie am Grab verharrte, ohne wegzulaufen, ohne sich sofort wieder in den Alltag zu stürzen, ohne das nächste Abenteuer zu suchen.

Geduld für einen Neuanfang

Eine solche neue Perspektive kann man nicht machen und nicht erzwingen. Man kann nur den Weg dorthin öffnen in Geduld. Dazu gehört das dankbare und versöhnte Loslassen der Vergangenheit. Dazu gehören Menschen, die mir im Gespräch weiterhelfen und wenn es nur die liebevolle Anrede ist wie bei Jesus, die mich zurückholt in die Gegenwart. Dazu gehört das Gottvertrauen, dass sich zeigen wird, was mir weiterhilft. Im Gebet halten wir diese Hoffnung wach. Wie schreibt Paulus im Römerbrief (Röm 5, 3-5):

„Wir rühmen uns unserer Bedrängnis; denn wir wissen: Bedrängnis bewirkt Geduld, Geduld aber Bewährung, und Bewährung Hoffnung. Die Hoffnung aber trügt nicht; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“

Die Hoffnung, dass nichts verloren ist, was aus Liebe geschah. Die Hoffnung, dass die Liebe des Gottes, der in Jesus für uns durch den Tod zum Leben gegangen ist, auch uns umfängt und uns den Weg zum Leben weist. Die Hoffnung, dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt (Röm 8,28). „Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, dann harren wir aus in Geduld“ (Röm 8,25).

Diese Hoffnung kann man genauso wenig festhalten, wie Maria von Magdala den auferstandenen Herrn festhalten kann. Aber sie hilft uns, neu auszuschreiten auf unserem Weg. Sie ermutigt uns, was auch immer kommen mag, zu bezeugen:

„Ich habe den Herrn gesehen!“

So schließe ich auch heute wieder mit dem Gebet der Teresa von Jesus:

Nichts soll dich ängstigen, nichts dich erschrecken, alles vergeht.

Gott bleibt derselbe. Geduld erlangt alles.

Wer Gott hat, dem fehlt nichts. Gott nur genügt.

Gott, der uns wie Maria von Magdala aus aller Traurigkeit ins Leben zurückruft in Geduld, er allein genügt! In dieser Zuversicht wünsche ich Ihnen ein frohes Osterfest. 40 Tage sind uns geschenkt, um uns geduldig in das Geheimnis der Auferstehung hinein zu vertiefen, auf dass auch für uns persönlich Ostern werde. Amen. Halleluja!