Liebe Mitbrüder im geistlichen Amt,
liebe Schwestern und Brüder im Herrn,
noch immer stehen wir in diesen Tagen unter dem Eindruck der Veröffentlichung des Gutachtens zum sexuellen Missbrauch in unserem Bistum. Im Blick auf unser geistliches Amt ist das Gutachten eine Einladung, über unsere Sendung als Bischöfe, Priester und Diakone nachzudenken. Die drei heiligen Öle, die wir in der Chrisammesse weihen, dienen mir dabei als Leitfaden für meine Gedanken zum geistlichen Amt in diesem Jahr.
Das Krankenöl
Beginnen möchte ich mit dem Krankenöl. Das Krankenöl verweist uns heute auf die vielen seelischen und körperlichen Wunden, die Menschen im Raum der Kirche durch den Missbrauch zugefügt wurden. Es sind Wunden, die nicht einfach heilen. Gerade weil diese Wunden nicht heilen wollen, nehmen sie uns in die Pflicht, für die Betroffenen Verantwortung zu übernehmen und alles daran zu setzen, künftige Übergriffe zu verhindern.
Das Krankenöl erinnert mich aber auch daran, dass etwas in unserer Kirche krank war. Keiner glaubte, dass solche Verbrechen im Raum der Kirche passieren könnten. Keiner glaubte, dass Priester zu so etwas fähig wären. Genau das ermöglichte überhaupt erst die Missbrauchsverbrechen und führte dazu, dass sich die Täter jahrzehntelang in Sicherheit wiegen konnten. Denn wer wollte den Betroffenen Glauben schenken? Und wem sollten sie ihre Geschichte erzählen? Um die Institution Kirche zu schützen, wurden die Taten verheimlicht. Man wollte und konnte nicht zugeben, dass die Kirche keineswegs so makellos ist, wie ihre Außendarstellung glauben machen wollte.
Das Krankenöl erinnert mich in diesem Zusammenhang auch an den größten Skandal. Er besteht darin, dass sich die Verantwortungsträger der Kirche immer nur um die Täter gesorgt haben. Sie hatten aber keinen Blick für diejenigen, die durch die Mitarbeiter der Kirche zu Schaden gekommen waren. Keinen rührte das Los der Betroffenen. Keiner kümmerte sich. Keiner fragte nach, wem etwas Schlimmes durch kirchliche Amtsträger widerfahren war. Das ist ein Versäumnis, das sehr schwer wiegt. Opfer der Übergriffe wurden in der Regel die verletzlichsten jungen Menschen. In ihrer Verletzlichkeit hat man sie nicht beschützt, sondern ihre Hilflosigkeit schamlos ausgenutzt. Im Evangelium hieß es aber eben: Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn er hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.
Christus, der Gesalbte des Herrn, weiß sich gerade zu den Verletzlichsten gesandt. Ihnen gilt seine besondere Sorge. Das müssen wir immer neu von ihm lernen. Das mahnt uns, nicht nur den eigenen Anspruch hochzuhalten, sondern immer auch zu fragen, ob wir diesem Anspruch wirklich gerecht werden.
So erinnert mich heute das Krankenöl daran, dass auch die Kirche permanent der Heilung bedarf. Von Gott her ist ihr Heiligkeit eingestiftet, das ist wahr. Aber Menschen, auch Amtsträger, können diese Heiligkeit verdunkeln. Wie heißt es in Lumen Gentium 8 so eindrücklich: „Während aber Christus heilig, schuldlos, unbefleckt war und Sünde nicht kannte, sondern allein die Sünden des Volkes zu sühnen gekommen ist, umfasst die Kirche Sünder in ihrem eigenen Schoße. Sie ist zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig, sie geht immerfort den Weg der Buße und Erneuerung“.
Verstehen wir den heutigen Tag der Erneuerung unseres Weiheversprechens als Einladung, in der Heiligkeit zu wachsen. Ich danke ausdrücklich Ihnen allen, dass Sie diesen Weg der Erneuerung, den wir im Bistum unter das Motto „Gemeinsam für eine sichere Kirche“ gestellt haben, mitgehen. Die Erneuerung, von der wir hier reden, ist ein unabgeschlossenes Projekt, zu dessen Umsetzung unser Eifer nicht erlahmen darf.
Das Katechumenenöl
Das Katechumenenöl erinnert mich daran, dass die Missbrauchskrise uns dazu gezwungen hat, neu über unsere Sendung als Kirche und unseren Dienst in der Kirche nachzudenken. Katechumenen sind Menschen auf dem Weg. Auf dem Weg zu Christus zu sein, heißt sich einzugestehen, dass man noch nicht ausgelernt hat. Kirche predigt nicht nur die Umkehr. Papst Franziskus hat vom ersten Tag seines Pontifikates keinen Zweifel daran gelassen, dass die Kirche selbst als erste unter dem Umkehrruf Christi steht.
Lernende zu sein, heißt ernst zu nehmen, dass wir es in der Seelsorge oftmals mit asymmetrischen Beziehungen zu tun haben. Gerade diese sind ein Einfallstor des Bösen. Überall wo es ein Machtgefälle gibt zwischen Seelsorgenden und Gläubigen, Lehrenden und Schülern, Helfenden und Hilflosen ist besondere Vorsicht angesagt. Der Geist Jesu hilft uns, hier klar zu sehen. Der Geist Jesu sensibilisiert uns dafür, die Balance zwischen hilfreicher Nähe und gebotener Distanz zu wahren. Jesu Geist hält uns dazu an, täglich unsere Rollen zu reflektieren und sie so zu füllen, dass wir unserem Auftrag zum Wohl der uns Anvertrauten gerecht werden.
Lernende zu sein, heißt auch Kontrollmechanismen einzuführen. Es tut uns als Kirche gut, wenn Menschen von außen auf uns schauen – wie jetzt in dem Gutachten zum Missbrauch. Dadurch bekommen wir Rückmeldungen, die uns dazu anhalten, unsere Haltungen und unser Verhalten zu überdenken und wenn nötig auch zu verändern. Das gilt für die Institution als Ganze.
Es gilt aber auch für unseren individuellen Weg der Nachfolge. Daher werde ich nicht müde dazu zu ermutigen, geistliche Begleitung in Anspruch zu nehmen.
Möge uns das Katechumenenöl immer daran erinnern, dass wir vor dem Herrn und in seinem Dienst nie fertig sind, sondern immer Anfänger bleiben. In diesem Sinn ist das Wort aus dem heutigen Evangelium: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt“ nicht nur einmal zu hören. Es soll sich im „Heute“ eines jeden neuen Tages bewahrheiten.
Das heilige Chrisamöl
Kommen wir abschließend zum heiligen Chrisamöl. Die Salbung mit diesem Öl will uns Anteil geben an der Sendung des Gesalbten schlechthin, an der Sendung Jesu Christi. Es stimmt, dass wir „in persona Christi“ auftreten, wenn wir die Sakramente spenden. Dabei muss aber immer deutlich werden, dass es tatsächlich Christus ist, der spricht und handelt. Wir dürfen nicht die Stelle des Herrn einnehmen. Unser Auftrag ist vielmehr, seinen Platz freizuhalten. Wie sagt die Liturgiekonstitution so eindrücklich:
„Gegenwärtig ist er (Christus) im Opfer der Messe sowohl in der Person dessen, der den priesterlichen Dienst vollzieht (…) wie vor allem unter den eucharistischen Gestalten. Gegenwärtig ist er mit seiner Kraft in den Sakramenten, so dass, wenn immer einer tauft, Christus selber tauft. Gegenwärtig ist er in seinem Wort, da er selbst spricht, wenn die heiligen Schriften in der Kirche gelesen werden. Gegenwärtig ist er schließlich, wenn die Kirche betet und singt, er, der versprochen hat: ,Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen"'(Mt 18,20).“
Christus selbst muss zu Wort kommen in unserer Verkündigung. Christus selbst handelt, wenn wir Sakramente spenden. Christus selbst ist gegenwärtig, wenn sich die Gemeinde zusammenfindet. Ihm das Wort zu geben, ihn als eigentlichen Geber hervortreten zu lassen und in seinem Geist der Gemeinde zu dienen, ist eine große Aufgabe. Sie verlangt, immer neu die sakramentale Differenz zwischen Christus, den wir repräsentieren, und uns selbst stark zu machen. Nur so wehren wir einer falschen Sakralisierung des Amtes, das immer in der Gefahr steht, sich selbst mit Christus zu verwechseln anstatt sich an ihm auszurichten und sich von ihm korrigieren zu lassen.
Das unauslöschliche Siegel der Weihe, der sogenannte „character indelebilis“, bringt die Endgültigkeit der Weihe zum Ausdruck. Diese Endgültigkeit bedeutet aber nicht, dass man nach der Weihe ein für allemal fertig wäre. Das Gegenteil ist wahr. Unauslöschlich bleibt das Siegel neben der Heilszusage Gottes vor allem durch den festen Vorsatz, die Gnade neu zu entfachen, die uns durch die Handauflegung zuteilgeworden ist (2Tim 1,6). Der Zuspruch der Gnade muss zum Anspruch an unser bischöfliches, priesterliches und diakonales Wirken werden. Die göttliche Gnade tritt dabei nicht in Konkurrenz zur menschlichen Freiheit.
Sondern Gnade und Freiheit wachsen miteinander, so dass Paulus sagen kann, wir wären durch die Gnade zur Freiheit befreit (Gal 5,1); zur Freiheit, unser Leben für die Schwestern und Brüder einzusetzen. Nur so ehren wir den Heiligen Geist, dessen Siegel wir tragen bis zum Tag der Erlösung (Eph 4,30).
Kraft der heiligen Öle zu Pilgern der Hoffnung werden
Ich komme zum Schluss. Die drei Öle werden uns geschenkt, um in unserer Berufung zu wachsen. Das Krankenöl erinnert uns an unsere Fehlbarkeit und die Aufgabe steter Umkehr. Das Katechumenenöl stärkt unsere Bereitschaft, dem Herrn besser dienen zu lernen. Das heilige Chrisamöl erinnert uns an unsere Aufgabe als geweihte Amtsträger, Christus selbst in seiner Kirche gegenwärtig zu setzen.
Die drei Heilsgaben machen uns zu Pilgern der Hoffnung. Zu Pilgern, die hoffnungsfroh auf dem Weg der Nachfolge vorangehen und nicht stehen bleiben. Zu Pilgern, die die Hoffnung nicht aufgeben, dass sich die Kirche und unser Bistum erneuern kann. Zu Pilgern, die in allen Suchenden die Hoffnung wecken, bei Christus die Erfüllung ihres Lebens zu finden.
Zusammen mit unserem Weihbischof Paul danke ich als Bischof Ihnen, liebe Priester und Diakone, für unseren gemeinsamen Pilgerweg der Hoffnung! Danke für Ihre Bereitschaft, heute Ihr Weiheversprechen zu erneuern. Danke für Ihren Dienst in diesen herausfordernden Zeiten. Wie immer sind Zeiten der Krise auch Zeiten der Gnade. Ergreifen wir beherzt die Chance zur geistlichen Erneuerung, die uns gerade in diesen Tagen angeboten wird. Amen.