Aschaffenburg (POW) Der Trauer und Fassungslosigkeit nach der Gewalttat einen Raum geben, der Opfer gedenken und an die Bedeutung des gesellschaftlichen Zusammenhalts erinnern: Um all das ist es nach der Bluttat vom Mittwoch, bei der zwei Menschen erstochen und zwei weitere schwer verletzt wurden, bei der Gedenkfeier mit ökumenischem Gottesdienst am Sonntag, 26. Januar, in der Aschaffenburger Stiftsbasilika Sankt Peter und Alexander gegangen. „Heute sind wir voller Trauer, tief verletzt in unseren Herzen, über die brutale Tat in unserer Stadt“, sagte Stiftspfarrer Dekan Martin Heim zu Beginn der Feier.
Rund 400 Personen nahmen in der Kirche daran teil, unter anderem Bundesinnenministerin Nancy Feser, Claudia Roth, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, sowie der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Hubert Aiwanger und die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach. Mehrere hundert Menschen verfolgten die Veranstaltung auf Videoschirmen am Stiftsplatz vor der Basilika. BR Fernsehen und TV Mainfranken übertrugen live, zusätzlich gab es unter anderem auf BR24 einen Livestream. Bischof Dr. Franz Jung und der evangelische Landesbischof Christian Kopp gestalteten den Gottesdienst. Im Anschluss sprachen Ministerpräsident Dr. Markus Söder, Aschaffenburgs Oberbürgermeister Jürgen Herzing sowie Zischan Mehmood, Imam der Ahmadiyya Muslim Jamaat. Unterbrochen wurde das Gedenken um 11.45 Uhr, der Tatzeit vom Mittwoch, für fünf Minuten Glockenläuten in ganz Aschaffenburg.
Bischof Jung: „Gottes Liebe ist stärker als alle Dunkelheit“
Bischof Jung griff angesichts der mit der Gewalttat verbundenen Folgen in seiner Predigt die Frage des Apostels Paulus aus dem Römerbrief auf: „Was kann uns scheiden von der Liebe Christi?“, und nannte zahlreiche Herausforderungen, die es gebe. Da sei die Bedrängnis durch die Vorstellung, dass auch eigene Angehörige hätten betroffen sein können. Die Not, dass die Worte fehlen, dem Entsetzen angemessen Ausdruck zu verleihen. Die Verfolgung durch die schrecklichen Bilder der Bluttat, die denen, die sie sehen mussten, nicht mehr aus dem Kopf gehen.
Zugleich erinnerte der Bischof daran, dass Jesus selbst Leid und Tod durchlitten habe und daraus neues Leben hervorgegangen sei. Daher sei die Liebe Gottes stärker als alle Dunkelheit. Zudem sei bei so viel Dunkelheit auch immer wieder Licht zu entdecken, auch aktuell: Der Bischof nannte als Beispiel den selbstlosen Einsatz eines Mannes, der bei der Tat sein Leben ließ. „Er vertraute darauf, dass sein Einsatz nicht sinnlos ist, sondern Leben rettet.“
Bischof Jung dankte auch den Rettungskräften und Helfern, die Leben gerettet und Trost gespendet hätten. „Ich bete um die Genesung der Verletzten dieser Tage, der Verletzten an Leib und Seele.“ Ebenso hob er die Solidarität der Aschaffenburger Bevölkerung hervor, die in schweren Zeiten zusammenstehe und Hass und Gewalt eine Absage erteile. Es sei jetzt nötiger denn je, „gemeinsam durch diese schweren Stunden zu gehen. Weil wir gerade jetzt darauf vertrauen müssen, gestärkt aus diesen schweren Zeiten hervorzugehen.“
Abschließend rief der Bischof dazu auf, trotz Dunkelheit und Schmerz an der Liebe Christi festzuhalten, die den Weg vom Tod ins Leben und vom Schmerz zum Trost eröffne. „Es ist kein einfacher Weg, sondern ein tastender Weg. Ein Weg mit vielen Umwegen, ein Weg, auf dem wir immer wieder zurückbleiben. Aber ein Weg. Er führt uns am Ende, so hoffen wir, vom Dunkel in Sein Licht, vom Schmerz zu Seinem Trost und vom Tod zu Seinem Leben. So glauben wir.“
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Landesbischof Kopp: „Lassen uns das Ziel einer friedlichen Gesellschaft nicht nehmen“
Er sei fassungslos angesichts dieser unvorstellbaren und vollkommen unmenschlichen Tat, sagte Landesbischof Christian Kopp. „Wie kann es sein, dass ein Mensch ein unschuldiges Kind angreift? Das ist so abgründig, dass es tiefer nicht mehr geht.“ Ein Teil der Sehnsucht nach einer friedlichen Welt sei am Mittwoch gestorben.“ In jedem Kind komme Gott neu zur Welt, sagte Kopp. „Jedes Kind bedeutet heiliges, geheiligtes Leben, das niemals gewalttätig zerstört werden darf.“ Zu der Sinnlosigkeit dieser Tat komme die Tötung eines Mannes, eines Familienvaters, „der die Kindergartenkinder schützen wollte und letztlich auch geschützt hat. Wir brauchen solche Vorbilder im Einsatz für andere – aber wir brauchen sie lebendig.“
Was helfe in dieser Traurigkeit und Sorge? „Mir hilft, sie zu teilen. Das nicht allein durchstehen zu müssen.“ Es tue ihm gut, dass so viele Aschaffenburgerinnen und Aschaffenburger seit Mittwoch zusammenstehen, sagte Kopp und appellierte: „Wir lassen uns das Ziel einer friedlichen und gewaltfreien Gesellschaft nicht nehmen. Wir lassen uns unsere Entscheidung für die Nächstenliebe nicht nehmen von einer Person, die psychisch krank war, und auch nicht von denen, die diese Tat für das Spalten unserer Gesellschaft nutzen. Wir lassen uns unser Mitleid und unsere Barmherzigkeit nicht nehmen von einer so schrecklichen Gewalttat, und unser entschiedenes Eintreten gegen alle, die mit Gewalt Menschenleben bedrohen.“ Ihm helfe der Bick in den Himmel, sagte Kopp. „Ich richte meine Hoffnung auf Gott, der im Leid bei Dir, bei mir ist. Ich lege Gott meine Angst und meinen Schock zu Füßen. Ich vertraue: Christus, der Frieden, wird unser Herz und auch den Verstand erfüllen und stark machen.“
Ministerpräsident Söder: „Aufhetzung ist die falsche Antwort“
Als „unfassbar“ bezeichnete Bayerns Ministerpräsident Dr. Markus Söder in einer emotionalen Rede die Gewalttat „am helllichten Tag“ vom vergangenen Mittwoch. Der gewaltsame Tod des zweijährigen Jungen und des 41-Jährigen, der sich schützend vor die Kinder stellte, lasse auch ihn fassungslos zurück. Den Angehörigen und Freunden der Opfer sprach er sein tief empfundenes Beileid aus. „Wir fühlen mit Ihnen und hoffen, dass wir mit dem heutigen Tag und unseren Gedanken etwas Trost bieten können.“ Er selbst als vierfacher Vater kenne die größte Angst aller Eltern: dass ihren Kindern etwas Schlimmes passiere. Es sei kaum ein feigeres und schändlicheres Verbrechen als eine Messerattacke auf eine Kindergruppe vorstellbar. Der kleine Junge habe noch so vieles an Träumen gehabt. „All das wurde ihm genommen. In wenigen Sekunden – alles nichts.“
Söder würdigte insbesondere die Zivilcourage des 41-Jährigen, der sich schützend vor die Gruppe stellte. „Er hat sich dazwischen geschmissen. Er wollte schützen und hat diesen Einsatz mit seinem Leben bezahlt. Ein Mehr an Menschlichkeit geht gar nicht.“ Weil dieser Mann Vorbild für viele sei, werde ihm posthum die Rettungsmedaille verliehen werden. Vor dem „Warum“ des Geschehens stehe er selbst ratlos und frage sich als gläubiger Christ, wo Gott in diesem Moment gewesen sei. „Es sind viele Fragen und wenige Antworten.“ Auch Söder dankte der Polizei und den Rettungskräften, die durch ihr schnelles Eingreifen Schlimmeres verhindert hätten. Folgen und Konsequenzen der Gewalttat müssten an anderer Stelle diskutiert werden. „Wir werden besonnen und entschlossen reagieren.“ Zugleich betonte der Ministerpräsident, dass alle Kinder, gleich welcher Herkunft oder Religion, Schutz verdienten. „Aufhetzung ist die falsche Antwort. Wir werden in dieser Situation unsere Solidarität stärken, mit den Angehörigen sein und nicht zulassen, dass einige Wenige sich am Ende daraus bedienen, um neue Konflikte zu nähren.“ Heute sei das ganze Land in Trauer vereint. Das stille Gedenken von 3000 Menschen am Donnerstag in Aschaffenburg sei „ein großes Zeichen“. Er hoffe, dass alle von dem Verbrechen Betroffenen aus dieser Solidarität Kraft schöpfen. Die am Mittwoch Getöteten würden nicht vergessen werden „und in unseren Herzen bleiben“.
Oberbürgermeister Herzing: „Herz statt Hetze“
Warum ist das Unfassbare geschehen? Warum hat es genau diese Menschen getroffen? Warum Aschaffenburg? „Wir haben keine Antworten“, sagte Oberbürgermeister Jürgen Herzing. „Unsere gemeinsame Aufgabe wird nun sein, trotz aller Ängste, aller Wut und Trauer, auch in Zukunft in Frieden und ohne Hass miteinander zu leben.“ Der heutige Tag sei ein Tag der Trauer um die Opfer, ein Tag, um deren Familien und Freunden Mitgefühl und Anteilnahme zu zeigen. Herzing dankte auch den Einsatz- und Rettungskräften, die in den Stunden und Tagen nach der Tat unschätzbare und schnelle Hilfe geleistet hätten. „Ich weiß aus eigener Erfahrung: Sie werden die Bilder der schrecklichen Tat und der verzweifelten Menschen niemals vergessen.“
Am vergangenen Freitag habe ein rechtsextremer Politiker im Park Schöntal versucht, politisches Kapital aus der Tat zu schlagen, fuhr Herzing fort. „Ich danke den Menschen, die sich dort versammelt und dafür gesorgt haben, dass dieser Mann keinen Fuß in die Tür der Aschaffenburger Gesellschaft setzen konnte.“ Auf einem Banner sei zu lesen gewesen: „Herz statt Hetze“. „Diesem Appell, diesem Wunsch schließe ich mich an“, sagte der Oberbürgermeister. Er dankte den jeweils mehr als 3000 Menschen, die am Donnertag im Park Schöntal und am Samstag auf dem Theaterplatz gemeinsam trauerten. Er zitierte ein elfjähriges afghanisches Mädchen, das spontan ans Mikrofon getreten sei und gesagt habe: „Ich bin nicht böse, die Afghanen sind nicht böse, es sind nur wenige davon.“ Diese Worte hätten viele erschüttert und zu Tränen gerührt. Den Schmerz über den Verlust eines Sohnes, Mannes, Bruders, Vaters und Freundes könne man nur erahnen. „Es ist schwer, Worte des Trostes zu finden. Mit dieser Gedenkfeier möchten wir Ihnen zeigen, dass wir an Ihrer Seite stehen. Wir sind für Sie da. Ich bin für Sie da.“
Imam Mehmood: „Ich warne vor einem Wahlkampf, der mit Ängsten spielt“
„Wir sind zutiefst betroffen, als wäre unser eigenes Kind gestorben. Der Islam lehrt uns, dass die gesamte Menschheit eine Familie ist“, sagte Zischan Mehmood, Imam der Ahmadiyya Muslim Jamaat Aschaffenburg. Er warnte davor, diese Tat zu instrumentalisieren. „Leider wurde diese Tragödie von manchen Gruppen ausgenutzt, um Hass und Spaltung zu befördern. Doch dieser tragische Verlust trifft uns alle zutiefst, unabhängig von Herkunft, Kultur und Religion.“ Gerade in schwierigen Zeiten seien Mitgefühl, Solidarität und Zusammenhalt wichtiger denn je. „Um uns herum gibt es viele Spalter und Scharfmacher, die aus diesem schrecklichen Ereignis Profit schlagen möchten. Wir dürfen niemals zulassen, dass Trauer und Schmerz uns nun auseinanderreißen. Ich warne vor einem Wahlkampf, der mit Ängsten und Emotionen spielt, um auf Wählerfang zu gehen und Stimmung zu machen.“ Der Respekt vor den Opfern verbiete eine „derartige unterkomplexe politische Instrumentalisierung“, sagte er unter dem Applaus der Gemeinde. Die Schönheit der Stadt Aschaffenburg liege nicht nur in ihren Gebäuden und der Landschaft, sondern in den Herzen der Menschen. „Lassen Sie uns heute dafür beten, dass unsere Herzen einander zugeneigt bleiben, und dass es uns gelingt, gemeinsam füreinander da zu sein.“
Musikalisch wurde die Gedenkfeier gestaltet durch Kirchenmusikdirektor Christoph Emmanuel Seitz und die Band „Time out“.
sti/mh (POW)
(0525/0118; E-Mail voraus)
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