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Kämpfen gehört dazu

Rebecca Mathes: gehörlos und Bürokauffrau – Wie das geht, zeigt die 28-Jährige aus Würzburg beim Diözesan-Caritasverband

Würzburg (POW) Dass mit ihrer Tochter etwas nicht stimmte, erkannten die Eltern schon früh. Doch erst als Rebecca drei Jahre alt war, brachte ein Hörtest die Gewissheit: Das Mädchen ist taub. Die Eltern organisierten eine Frühförderung und Hörgeräte. Und sie erlernten die Gebärdensprache. Als Rebecca sechs Jahre alt war, besuchte sie eine Gehörlosenschule in Würzburg. Dort lernte sie die Wichtigkeit klarer Artikulation kennen und von den Lippen zu lesen. Gebärdensprache wurde jedoch nicht unterrichtet. Wenn gebärdet wurde, bedauert Rebecca Mathes, dann nur in lautsprachbegleitenden Gebärden, nicht in der Deutschen Gebärdensprache, die eine eigene Grammatik besitzt. „So ging viel Inhaltliches an uns vorbei.“ Bei ihrer Förderung hätte sie sich etwas mehr gewünscht.

Die Gebärdensprache ist eine eigenständige Sprache für sich. Gebärdensprachdolmetscher können zwar alles übersetzen, doch sie benutzen eine andere Grammatik und einen anderen Satzbau als Hörende. Gehörlose Menschen verwenden daher auch eine andere – reduzierte – Schriftsprache als Hörende. Hörende, die das meist nicht wissen, verwechseln diese Art der Kommunikation fälschlicherweise schnell mit schlechter Schulbildung oder mangelnder Intelligenz der gehörlosen Menschen.

Nach 13 Jahren beendete Rebecca Mathes die Schule mit der Mittleren Reife. Die Suche nach einem geeigneten Ausbildungsplatz gestaltete sich nicht so einfach. Wer stellt schon eine gehörlose Mitarbeiterin ein? Doch die junge Frau gab den Mut nicht auf. Sie war sich sicher, dass sie irgendwie einen Ausbildungsplatz bekommen würde. „Kämpfen, Geduld und gute Nerven gehören dazu.“ Mathes interessierte sich für einen Büroberuf, wohl wissend, dass hierbei viel kommuniziert werden muss. Doch ihre Eltern und Freunde bestärkten sie. „Jeder kann es schaffen, egal wie“, sagten sie.

Mathes bewarb sich 2003 beim Diözesan-Caritasverband in Würzburg. Und sie bekam gleich einen Ausbildungsplatz – ein Lottogewinn, nachdem ihre Anfragen bei vielen anderen Firmen oder Behörden keinen Erfolg gebracht hatten. Die anderen Azubis und ihre Ausbilder gewöhnten sich schnell an sie, nachdem sie ihnen mehrfach erklärt hatte, wie man mit Gehörlosen umgehen kann. Ihre Kommunikationsmöglichkeiten sind zwar eingeschränkt, „doch es gibt immer Lösungen“. Vieles wird aufgeschrieben, ein Telefon braucht sie nicht, dafür schreibt sie viele E-Mails und nutzt das Fax wie niemand sonst im Haus. Und notfalls bittet sie eine Kollegin, direkt bei den Gesprächspartnern anzurufen. Zu Dienstbesprechungen und Personalversammmlungen holt sie einen Gebärdensprachdolmetscher hinzu, kann niemand kommen, gibt es Schriftdolmetscher, die über Bildtelefon oder mit Webcams online für Gehörlose vermitteln.

Mathes‘ Kommunikationsmethoden und ihre Arbeit müssen überzeugt haben, denn nach ihrer dreijährigen Ausbildung zur Bürokauffrau bekam sie eine Festanstellung beim Caritasverband. Seit Juli 2006 ist sie im Bereich der Gewerblichen Verwaltungsdienste für die Abrechnung und Buchhaltung von sechs Sozialstationen zuständig.

Da Mathes auf das Hören verzichten muss, ist auch ihre Sprachfähigkeit sehr gering. „Mein Sprechen klingt nur komisch“, schreibt sie. Doch sie hat den Hörenden etwas voraus: Ihre visuelle Wahrnehmung ist erheblich besser, Tast- und Geruchssinn gehören dazu. „Gehörlose hören mit den Augen und sprechen mit den Händen.“ Doch ihr Gegenüber muss klar und langsam sprechen, die Lippen gut bewegen. Alles, was das Gesicht verdecken kann – Schal, Sonnenbrille, Bart oder volle Backen – stört. Obwohl sie gut von den Lippen lesen kann, versteht sie längst nicht alles; 30 Prozent, schätzt sie. Doch sie gibt nicht auf, hat viel Geduld und immer wieder Mut zur Kommunikation mit Hörenden. Können sie keine Gebärdensprache, was die Regel ist, zeigt sie ihnen einige Gesten. Das Nichthören ist für sie selbstverständlich, das Hören vermisst sie nicht. Doch im öffentlichen Leben, beispielsweise bei Behörden oder im Krankenhaus, wünscht sie sich die Möglichkeit der Gebärdensprache oder bessere Kommunikationsmethoden für Gehörlose. Die Sensibilität für gehörlose Menschen muss in der Bevölkerung früh angelegt werden. Sollten sich inklusive Schulen in Deutschland durchsetzen, wünscht sich Mathes einen bilingualen Unterricht in Gebärdensprache sowie in Laut- beziehungsweise Schriftsprache. Nur so, ist sie sich sicher, kann eine Integration der Gehörlosen geschehen.

Was gibt es sonst noch, das hörende Menschen über gehörlose Menschen wissen sollten? „Gehörlose können alles, nur hören nix“, schreibt Mathes als Antwort. Und sie empfiehlt den Hörenden ein interessantes Buch zum Lesen. „Schreien nützt nichts“ von Helene Jarmer, der ersten gehörlosen Abgeordneten im österreichischen Parlament. Das Buch ist in diesem Jahr im Südwest-Verlag erschienen.

Die bundesdeutsche Caritas stellt in diesem Jahr das Thema Inklusion in den Mittelpunkt ihrer Arbeit. Sie setzt sich dafür ein, dass Menschen mit Behinderung nicht ausgegrenzt werden, sondern die gleichen Rechte und Wünsche zugestanden bekommen, wie alle anderen Menschen sie haben. Sie dürfen nicht in besondere Kindergärten, Schulen, Werkstätten oder Wohnanlagen abgeschoben werden, sondern haben ein Recht auf normale Bildungseinrichtungen, Wohnungen und Arbeitsstätten. Sie müssen sich am öffentlichen Leben, an Planungen, Entscheidungen und Diskussionen beteiligen können und barrierefreien Zugang zu allen Gebäuden, Fahrzeugen, Medien und Kommunikationsmitteln haben.

Weitere Informationen unter www.Kein-Mensch-ist-perfekt.de.

(3411/0856; E-Mail voraus)

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