Würzburg (POW) Nach Markus und Lukas jetzt also am Montagabend, 11. November, Matthäus in der Reihe „Vier Farben Jesus“ der Domschule Würzburg, das Evangelium, das ein orthodoxer Jude an eine jüdisch geprägte Gemeinde geschrieben hat. Kai Christian Moritz nutzt die Übersetzung von Fridolin Stier. Diese mutet dem Zuhörer einiges zu. Streng am griechischen Urtext, ist dieser Matthäus eine Herausforderung an Wortwahl und Satzbau. „Wahr ist, ich sage euch“ und „Königtum der Himmel“ ziehen sich wie ein roter Faden durch den Monolog, der dem Publikum einen fesselnden Abend beschert. Mit Einblendungen von Landschaften aus dem Heiligen Land variiert Moritz die Szene. Außer einem Stuhl verwendet er keine Requisiten. Die braucht er nicht.
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Wort- und ausdrucksstark, mal mit leisem Witz, mal mächtig polternd, trägt er die gewaltige Textmenge vor. Den Spannungsbogen vermag er die ganze Zeit über mit schlafwandlerischer Sicherheit zu halten. Jede Bewegung im Raum, jedes Zucken mit der Augenbraue sitzt. Kongenial das Zusammenspiel mit der jungen Cellistin Milena Milatinova Ivanova, deren Stakkatotöne und Solostücke jeweils kommentieren oder weiterführen, was gerade Inhalt war. Ein Meister der Nuancierung, der Zwischentöne, des Wechselspiels von laut und leise, schnell und verhalten ist auch Moritz. Beim Text lässt er, wie zuvor schon bei seiner Version des Lukas, weg, was bei anderen Evangelisten ebenfalls vorkommt.
Immer wieder erscheint im Hintergrund ein Leuchter mit neun Kerzen. Dieser Chanukka-Leuchter dient dem kultischen Zweck und wird von den Juden während des achttägigen Lichterfests verwendet. Als Ort für seinen Monolog hat Moritz den Lesesaal von Archiv und Bibliothek des Bistums Würzburg gewählt. Hinter dem heutigen Gebäude stand bis zum Novemberpogrom des Jahres 1938 die Würzburger Hauptsynagoge. Im Lesesaal, wo Quellen hervorgeholt und von unterschiedlichen Menschen damit gearbeitet wird, wird täglich Erinnerung in die Gegenwart geholt. So macht es auch Moritz, der den Evangelientext aus dem Raum der Liturgie in den „Lesesaal des Lebens“ holt, wie er es bezeichnet.
Von antijüdischen Tendenzen, die dem Matthäusevangelium unterstellt werden, ist in seinem Monolog nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil: Von einfühlsamen, nachdenklichen Celloklängen begleitet, verweisen zu Beginn des Abends Einblendungen auf aktuelle statistische Erhebungen, die antisemitische Tendenzen bei knapp einem Viertel der Deutschen ausmachen. Umso schockierender, da zuvor Auszüge einer Hitlerrede aus dem Jahr 1933 zu vernehmen sind, die praktisch alle antijüdischen Klischees bedient.
Ivanova unterstreicht virtuos die jüdischen Wurzeln des Matthäusevangeliums mit Werken unter anderem von Ligeti, Bloch, Ravel und Delerue, die aber frei von folkloristischen Bezügen sind. Heiter und leicht wird der lange Stammbaum Jesu zu Beginn des Evangeliums in der Version von Moritz und der Cellistin: Auf die Basslinie von „Hit the road, Jack“ rappt er die Genealogie, immer wieder unterbrochen durch den Refrain von „Bei mir bist du schön“. Einer der vielen Kunstkniffe, mit denen an diesem Abend der umfangreiche und oft kantige Stoff des Matthäusevangeliums dem Publikum mundgerecht serviert wird. Langanhaltender Applaus und viele Bravorufe für die beiden Künstler am Ende der Vorstellung. Ein Satz klingt beim Verlassen des Gebäudes noch nach: „Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.“
Markus Hauck (POW)
(4619/1226; E-Mail voraus)
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