Hinweis

Ihre Browserversion wird leider nicht mehr unterstüzt. Dies kann dazu führen, dass Webseiten nicht mehr fehlerfrei dargestellt werden und stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Wir empfehlen Ihnen, Ihren Browser zu aktualisieren oder einen der folgenden Browser zu verwenden:

Dokumentation

Karfreitag und der Hahn

Predigt von Bischof Dr. Franz Jung am Karfreitag, 19. April, im Würzburger Kiliansdom

„Wieder leugnete Petrus und gleich darauf krähte der Hahn“. So haben wir eben in der Passion gehört. Nach dem Esel am Palmsonntag und dem Lamm gestern am Gründonnerstag geht es heute also um den Hahn, und natürlich um den Verrat des Petrus.

Petrus folgt Jesus aus Neugier in den Hof des hohenpriesterlichen Palastes

Nach der Nacht am Ölberg, in der die Jünger Jesus allein gelassen hatten in seiner Not und der dramatischen Festnahme, bei der Petrus dem Knecht des Hohenpriesters das Ohr abgehauen hatte, folgt er ihm in den Hof des hohenpriesterlichen Palastes. Nachdem seine Intervention mit Gewalt nichts geholfen hatte, treibt ihn die Neugier. Er will wissen, wie es mit diesem Jesus weitergeht und ob er sich herauswinden kann aus der tödlichen Umklammerung. Wie rettet dieser Mann, den Petrus vor allen anderen Jüngern als den machtvollen Messias bekannt hatte? Worin zeigt sich seine Macht, wenn er offenbar ohne physische Gewalt auskommt. Steckt da mehr dahinter?

Petrus weiß nicht mehr, was er von Jesus halten soll, und stolpert über eine einfache Magd

Während Petrus gespannt die weitere Entwicklung verfolgt, bleibt er in sicherer Distanz. Unerkannt mischt er sich unter das Volk im Hof. Und, wie so oft im Leben, sind es am Ende meist Lächerlichkeiten, über die man stolpert. Es ist nicht der heroische Kampf mit dem Schwert wie bei der Festnahme Jesu, bei der Petrus seinen Mann steht, sondern es ist die einfache Frage einer Magd, die Petrus zum Verhängnis wird. Ob er denn diesen Jesus kennt, wird Petrus gefragt. Diese Frage trifft – sei sie nun unschuldig, neugierig oder wirklich boshaft gestellt – Petrus an einer wunden Stelle. Er weiß momentan nicht mehr, wer dieser Jesus für ihn ist. Hat er es denn vorher gewusst? Der Verlauf der Verhaftung und die scheinbar mühelose, ja kampflose Aufgabe Jesu haben Petrus nachhaltig verunsichert.

Panikreaktion und Affekthandlung im Ableugnen

Von der Frage der Magd überrumpelt, kommt es zu einer typischen Affekthandlung. Das Gehirn schaltet auf Überlebensmodus und der kennt nur drei Formen: Kampf, Flucht oder Totstellen. Petrus wählt Flucht. Er weicht aus. „Bist nicht auch du einer von seinen Jüngern?“ Nein, ich kenne diesen Menschen nicht. Gleich noch einmal wird ihm die Frage gestellt, als ob man ihm eine neue Chance einräumen wollte, zu gestehen, und wieder stellt Petrus in Abrede, mit diesem Jesus etwas zu tun zu haben. Am Ende schaltet er sogar um in den Kampfmodus: Er begann zu fluchen und zu schwören, Jesus nicht zu kennen, wie es beim Evangelisten Matthäus heißt.

Der Hahn kräht und macht im Sieg über die Magd sein Versagen offenbar

Und dann kräht der Hahn. Genauso hatte es Jesus vorher angekündigt. Er hatte einem Petrus, der ihm versichert hatte, mit ihm in den Tod zu gehen, vorausgesagt, dass er ihn vor dem Hahnenschrei dreimal verleugnen würde. Petrus, der scheinbar erfolgreich alle Angriffe im Hof abgewehrt hatte, ruft der Hahnenschrei sein Versagen in Erinnerung. Mitten im Sieg die Niederlage. Ihm wird erst jetzt bewusst, was geschehen ist. Ein böses Erwachen an diesem Morgen.

Ich doch nicht  – Abwehrreflex, weil nicht sein kann, was nicht sein darf

Eine Situation, die uns aus dem öffentlichen Leben vertraut ist und die uns auch persönlich widerfährt. Etwas läuft schief. Wir werden damit konfrontiert, dass es nicht recht ist, und die erste Reaktion stellt sich automatisch ein, ohne noch groß darüber nachzudenken: ein empörtes „Ich doch nicht! Kann gar nicht sein! Das weise ich von mir!“ Das gilt für Kirche und Bischöfe genauso wie für alle anderen Menschen auch, von Politikern über Manager bis hin zu Eheleuten. Der erste Abwehrreflex stellt sich automatisch ein. Es kann nicht sein, was nicht sein darf und was wir nicht wahrhaben wollen.

Geschichte tragische Selbstüberschätzung

Es ist die Geschichte tragischer Selbstüberschätzung. Petrus ist sich seiner Sache allzu sicher. Er meint, dass er das hinbekommt und nimmt den Mund recht voll. Mir kann doch so etwas nicht passieren. Aber wenn es dann soweit ist, versagt er, weil er gar nicht versteht, was gerade geschieht. Eine bittere Erfahrung, bei der wir mit den eigenen Grenzen konfrontiert werden. Das tut weh. Es dauert dann eine geraume Weile, bis wir wie Petrus wahrnehmen, was gerade geschehen ist, aber da ist es dann meist zu spät. Wie schwer fällt es, eigenes Verschulden einzuräumen.

Der Hahnenschrei als bleibende traumatische Erinnerung an eigenes Versagen

Man kann sich lebhaft vorstellen, wie der Hahnenschrei seit diesem Moment im Leben des Petrus immer wieder diese Erinnerung wachgerufen hat. Dieses Erschrecken, versagt zu haben, wenn der Hahn kräht und Licht ins Dunkel bringt und ich mich der Wahrheit meines Lebens stellen muss.

Der Hahnenschrei und der Moment, sich der Wahrheit des eigenen Lebens zu stellen

Der Hahnenschrei aber ist nicht nur ein Moment, in dem man zusammenzuckt. Er ist auch ein Moment der Gnade. Denn der Herr schaut Petrus in diesem Moment an. Ein wortloser Blick. Er scheint zu sagen: Siehst du, ich habe es dir doch gesagt. Vorwurfsvoll? Traurig? Einsam? Aber der Herr schaut ihn an. Und da kann Petrus weinen. Es lösen sich die Tränen. Er darf sich seine Schwäche eingestehen. Jetzt ist er bei der Wahrheit seines Lebens angekommen. Und er hat den Mut sich ihr zu stellen.

Zerbrechen am eigenen Versagen oder wachsen an der Schuld? Judas und der Suizid – Petrus und die Zuflucht beim Kreuz des Herrn

Aber wie geht es weiter? Es gibt im Grunde nur zwei Möglichkeiten, wenn der Reflex der Verdrängung vorbei ist. Man kann an der eigenen Schuld zerbrechen. Aber man kann wachsen am eigenen Versagen. Für beides kennt die Bibel Beispiele. Judas steht für das Erste. Er zerbricht an seiner Schuld und glaubt nicht mehr an Vergebung. Seine Tat scheint ihm eine Todsünde zu sein, für die keine Vergebung gewährt wird. Weil er nicht glaubt, nimmt er sich das Leben.

Und da ist das Beispiel des Petrus. Der Hahnenschrei reißt ihn heraus aus den Illusionen über seine Stärke. Aber der Blick Jesu gibt ihm Zuversicht. Er spürt, wie die Reue aufsteigt. Und er darf die Hoffnung haben, dass Gott ihm vergibt. Ja, dass Gott genau ihn zum ersten der Apostel beruft, weil er gelernt hat, mit der eigenen Schwäche zu leben. Genau das war der Sinn der Mission Jesu und genau das der Sinn des Kreuzes: zu lernen, die eigene Schwachheit anzunehmen im Leben und versöhnt mit dem eigenen Versagen umzugehen. Petrus nimmt seine Zuflucht beim Kreuz, um noch einmal neu anzufangen. Er lebt aus der Vergebung des Herrn.

Jeder neue Morgen als neue Chance und neues Angebot zum Heil

Nicht umsonst

beginnt der Tag mit einem Hahnenschrei

erinnernd seit alters

an einen Verrat

So dichtet einmal Bertolt Brecht. Der Hahnenschrei am Morgen als Alarmsignal und Weckruf zugleich. Er lädt ein, über die eigene Schuld nachzudenken und sich vor aller Selbstüberhebung zu hüten. Und er erinnert an den Blick Jesu, der uns in der Vergebung immer einen Neuanfang gewährt. Oh glückliche Schuld, werden wir morgen Nacht im Exsultet singen!