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„Katholik im Horizont des konfessionellen Zeitalters“

Vortrag von Professor em. Dr. Wolfgang Weiß zum 50. Jubiläum der Seligsprechung Liborius Wagners – Bischof Jung kritisiert in seinem Grußwort den oft ideologisch geprägten Kampf um die Erinnerungskultur

Heidenfeld (POW) Ist der Priester Liborius Wagner wirklich ein ökumenischer Seliger? In seinem Vortrag zum 50. Jubiläum der Seligsprechung Wagners in Heidenfeld (Landkreis Schweinfurt), wo in der Pfarrkirche die Gebeine des Märtyrers beigesetzt sind, hat der Kirchenhistoriker Professor em. Dr. Wolfgang Weiß angemahnt, jede anachronistische Annährung an diesen zu vermeiden. „Liborius Wagner war eben ein katholischer Christ sowie Priester – und hierbei sogar noch ein Konvertit – im Horizont des konfessionellen Zeitalters“, betonte Weiß am Donnerstagabend, 21. März, vor mehr als 80 Zuhörerinnen und Zuhörern im Pfarrheim von Heidenfeld. Bischof Dr. Franz Jung kritisierte zuvor in seinem Grußwort den oft ideologisch geprägten „Kampf um die Erinnerungskultur“, der derzeit voll im Gang sei.

Bischof Jung erklärte, dass aktuell Straßen und Plätze unbenannt würden, deren Namensgebern aus heutiger Sicht eine solche Ehrung nicht mehr zukomme. Denkmäler für Ereignisse oder Persönlichkeiten, „an die man gerade nicht mehr erinnern möchte oder deren man sich plötzlich schämt“, würden gestürzt, entfernt oder beschmutzt. Autoren würden aussortiert, weil ihre biographischen Verstrickungen in Unrechtssysteme, ihre Nicht-Distanzierung von früheren Äußerungen oder ihr Sprachgebrauch aus heutiger Sicht untragbar erschienen wie Michael Ende oder Otfried Preußler. In anderen Bistümern würden Priestergräber einplaniert und Bischofsgräber etikettiert wegen Verstrickung in und Vertuschung von sexuellem Missbrauch. „Das Überschreiben des kollektiven Gedächtnisses ist kein ‚unschuldiger‘ Vorgang, sondern immer hochpolitisch. Erinnerung, Identitätsbildung und politische Legitimierung gehören eng zusammen“, betonte Bischof Jung. „Ich nenne hier nur die Begründung im Falle Kardinal Faulhabers, dessen Platz nicht wegen seiner Taten umbenannt wurde, sondern aufgrund dessen, was er gerade nicht oder nicht genug getan habe.“

Erinnerungskulturen seien immer Konstrukte, bei denen Erinnerungshoheit und Erinnerungsinteressen zusammenspielten. „Bei der momentanen Welle an Umbenennungen fragt man sich allerdings, ob es überhaupt eine Biographie, ein Lebensschicksal geben könnte, das den Maßstäben genügen könnte, oder ob wir nicht Gefahr laufen, völlig geschichts- und gesichtslos zu werden in dem bisweilen selbstgerecht anmutenden Übereifer des Aussortierens und aus dem Gedächtnis Verbannens.“ Auch für Liborius Wagner gelte: „Gegen eine vorschnelle Vereinnahmung und eine unreflektierte Idealisierung hilft nur die nüchterne historische Forschung“, sagte der Bischof.

Professor Weiß ließ zu Beginn seines Vortrags mit einem Ausschnitt aus dem Fernsehbeitrag des Bayerischen Fernsehens die Seligsprechung im Petersdom vor 50 Jahren lebendig werden. „Im Zusammenhang mit der Seligsprechung gab es allerdings ein Problem, denn sie erfolgte in gewisser Weise mit einer zeitgeschichtlichen Verspätung.“ Die in über drei Jahrhunderten gewachsenen Stereotypen des Bildes von Liborius Wagner hätten nicht mehr gepasst. „Es waren nun neue Sprachregelungen gefordert, die dem Paradigmenwechsel, dem veränderten Referenzrahmen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, besonders auch in ökumenischer Hinsicht, Rechnung trugen.“ Die bisherigen Narrative eines römisch-katholischen Alleinvertretungsanspruchs seien als problematisch empfunden worden, zumal auch das Priesterbild im Wandel begriffen gewesen sei. „Es gab daher einen gewissen Rechtfertigungsdruck, warum die Seligsprechung in dieser Situation erfolgte.“ Deswegen habe Papst Paul VI. bei der Seligsprechung betont: „Er, der selige Liborius, ist ein Beispiel, ist ein Märtyrer, den wir freilich nicht feiern wollen als eine ‚gezielte Glaubenskundgebung‘, nämlich um aus einem Martyrium einen Grund zur Polemik und zur Anklage zu machen, wohl aber ein Zeugnis des Beispiels für alle und der Einladung zur Versöhnung im Geiste der Brüderlichkeit.“ Deswegen enthielten die Messgebete zum Gedenktag des Seligen auch die Passage im Tagesgebet: „Lass auf die Fürbitte des seligen Liborius alle, die Du durch die eine Taufe geheiligt hast, auch verbunden sein in der Einheit des Glaubens und durch das Band der Liebe.“ Dieses aus heutiger Sicht berechtigte Anliegen hat laut Weiß mit „der Zeitsituation des Liborius Wagner und wohl auch mit seinen persönlichen religiösen Horizonten kaum etwas zu tun“.

Der verstorbene langjährige Generalvikar Dr. Karl Hillenbrand habe einst betont, von der Zeit des Liborius Wagner trenne die Menschen von heute ein „breiter geschichtlicher Graben“, der „allzu direkte Vergleiche und Übertragungen“ verbiete. Überzeitliche Aspekte, die mit dem Seligen verbänden, seien „Lebensentscheidung, Gewissenstreue, Gottvertrauen“. Die Gewissenstreue dürfe aber nicht mit der modernen Gewissensfreiheit verwechselt werden, betonte Weiß. Vielmehr habe Wagner darunter die Pflicht zur Treue zu Jesus Christus und seiner Kirche sowie die damit verbundene Sorge für das ewige Heil verstanden. „Im Kontext seiner Zeit war religiöse Toleranz keine Tugend, höchstens ein politisches Zugeständnis für einen unvermeidlichen Ausnahmefall.“ Es sei daher abwegig, in Wagner einen „Kämpfer seiner Zeit für religiöse Toleranz, Glaubens- und Meinungsfreiheit zu sehen, so sympathisch uns das erscheinen mag“. Weiß stellte zudem fest, dass die Verehrung des Seligen nicht die erhoffte Entwicklung genommen habe. Die 1987 geweihte Liborius-Wagner-Kirche in Kahl am Main ist geschlossen, der 1990 in Altenmünster eingerichtete Pilgerhof mit Scheunenkirche wurde 2019 aufgegeben. „Seine Größe zeigte er in den herausfordernden Stunden des Zeugnisses für seinen Glauben. Von daher wurde bald nach seinem Tod der Vergleich mit den Märtyrern der Kirche des Altertums gewählt und davon gesprochen, er habe ein Ende ‚gemäß dem Vorbild des alten Martyriums‘ gefunden. Und in dieser Haltung bleibt er Vorbild und verdient es, dass wir uns an ihn als Zeugen des Glaubens erinnern.“

Stichwort: Seliger Liborius Wagner

Liborius Wagner wurde am 5. Dezember 1593 als Sohn strenggläubig evangelischer Eltern im thüringischen Mühlhausen geboren. Von 1613 bis 1619 studierte er in Leipzig, Gotha und Straßburg die Freien Künste und erwarb den Magistergrad. Nach erfolglosem Bemühen um eine Lehrerstelle in Mühlhausen ging er 1622 nach Würzburg. Dort begann er im gleichen Jahr an der von Bischof Julius Echter gegründeten Universität ein Studium der katholischen Theologie. Nach der Konversion zum katholischen Glauben empfing er 1625 die Priesterweihe. Nach etwa einem Jahr als Kaplan in Hardheim im Odenwald wurde Wagner 1626 Pfarrer in Altenmünster bei Schweinfurt, das damals der Benediktinerabtei Neustadt am Main unterstand, mit der Filialkirche Sulzdorf. Wagner bemühte sich, in einer Zeit, in der es selten religiöse Toleranz gab, um den Ausgleich der Konfessionen. Philipp Albrecht Truchseß von Wetzhausen auf Sternberg bestimmte als Dorfherr der Gemeinde die Einwohner von Altenmünster zum protestantischen Glauben. In benachbarten Sulzdorf lebten umgekehrt fast ausschließlich Katholiken. Für Konflikte sorgte der Umstand, dass sich nach weltlichem Recht auch die evangelischen Dorfbewohner von Wagner taufen, trauen und beerdigen lassen mussten, er aber nach Kirchenrecht Andersgläubige nicht in geweihter Erde begraben durfte. Die protestantischen Bauern waren dem Priester gegenüber daher feindselig. Wagner befand sich in einem Dilemma. Einerseits sah er sich in der Pflicht, den katholischen Glauben weiterzugeben, andererseits hatte er auch Verständnis für die evangelischen Gemeindemitglieder. Als im Dreißigjährigen Krieg 1631 die Armee des protestantischen Schwedenkönigs Gustav Adolf ins Bistum Würzburg einfiel, flüchtete Wagner ins nahe Reichmannshausen. Protestantische Soldaten nahmen ihn fest und brachten ihn auf die Burg Mainberg bei Schonungen. Dort versuchte man unter schwerster Folter fünf Tage lang vergeblich, ihn vom katholischen Glauben abzubringen. Am 9. Dezember 1631 wurde er getötet. Seinen Leichnam warf man nackt in den Main. Erst nach mehreren Monaten wurde er von Fischern geborgen. Wagners Gebeine, die bereits im 17. Jahrhundert als Reliquien verehrt wurden, ruhen heute in der Pfarrkirche von Heidenfeld im Landkreis Schweinfurt. Am 24. März 1974 wurde Wagner im Petersdom in Rom von Papst Paul VI. seliggesprochen.

mh (POW)

(1324/0342; E-Mail voraus)

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