Hinweis

Ihre Browserversion wird leider nicht mehr unterstüzt. Dies kann dazu führen, dass Webseiten nicht mehr fehlerfrei dargestellt werden und stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Wir empfehlen Ihnen, Ihren Browser zu aktualisieren oder einen der folgenden Browser zu verwenden:

„Kein billiger Horrorstreifen“

Interview mit Pfarrer Alfred Singer, Diözesanbeauftragter für Weltanschauungsfragen, zum Film „Der Exorzismus von Emily Rose“

Würzburg (POW) Am kommenden Donnerstag, 24. November, startet in den deutschen Kinos der US-Thrillers „Der Exorzismus von Emily Rose“. Der Beauftragte der Diözese Würzburg für Weltanschauungsfragen, Pfarrer Alfred Singer, hat den Film vorab gesehen. In folgendem Interview schildert er seine Eindrücke, stellt den Film der „wahren deutschen Begebenheit“ gegenüber und erläutert den Exorzismus der Kirche.

POW: Sie konnten den Film „Der Exorzismus von Emily Rose“ vorab ansehen. Mit welchen Gefühlen haben Sie den Kinosaal verlassen?

Pfarrer Alfred Singer: Mit gemischten Gefühlen. Bei mir und den anderen Zuschauern herrschte zunächst große Nachdenklichkeit vor angesichts der im Film aufgegriffenen Problematik „dämonischer Besessenheit“ und ihrer filmischen Umsetzung. Dann war ich aber auch erleichtert, weil der Film nicht in einige Extreme verfällt, die bei einer Hollywood-Produktion durchaus möglich gewesen wären: Der Film ist kein billiger Horrorstreifen, dem es nur um gruselige und schockierende Effekte geht. Natürlich zeigt der Film auch schockierende Szenen, zu denen die Toneinspielungen wesentlich beitragen. Weil aber das gerichtliche Prozessgeschehen nach dem Tod der Studentin die Rahmenhandlung des Films bildet, von der aus bei den einzelnen Zeugenaussagen auf das Exorzismusgeschehen zurück geblendet wird, werden die Schockeffekte nicht übermächtig. Hier hebt sich der Film wohltuend ab von dem Horrorfilm „Der Exorzist“ aus den 1970er Jahren.

POW: Weitere Eindrücke?

Singer: „Der Exorzismus von Emily Rose“ ist keine Totalanklage gegen die katholische Kirche mit ihrer angeblich mittelalterlichen Exorzismuspraxis, der man als aufgeklärter Zeitgenosse nur verständnislos gegenüber stehen kann. Kirchenkritische Töne klingen zwar an – das mit der Verteidigung des Exorzisten beauftragte Anwaltsbüro soll unter allen Umständen vermeiden, dass der Priester zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wird; der den Exorzismus ausführende Pater wird aber sehr sympathisch und subjektiv glaubwürdig gezeichnet: Er handelt als Seelsorger, der nichts anderes will, als einem gequälten Menschen zu helfen, bei dem alle ärztliche und psychiatrische Kunst versagt hat. Weiter ist der Film auch kein Versuch, im Sinne eines amerikanischen christlichen Fundamentalismus die Existenz des Teufels, des personalen Bösen zu demonstrieren oder gar zu beweisen. Zwar wird die Möglichkeit teuflisch-dämonischer Besessenheit beziehungsweise die Frage einer „natürlichen“ Erklärbarkeit der Phänomene thematisiert anhand der Personen des Films; sie bleibt aber offen und wird damit als Frage an den Zuschauer weitergegeben. Der Film selbst sympathisiert deutlich mit der Möglichkeit, dass es eine „andere Realität“ geben kann.

POW: Im Titel des Films heißt es „nach einer wahren Geschichte“. Wie stark lehnt sich der Film an die Ereignisse von Klingenberg an?

Singer: Dass die Ereignisse von Klingenberg bei aller freien Ausgestaltung des Films letztlich den Hintergrund bilden, wird sehr deutlich. Die Emily Rose des Films lebt zunächst in einem streng religiösen Elternhaus, studiert dann Pädagogik in der Stadt, wird dort von unerklärlichen, beängstigenden Phänomenen heimgesucht, hat einen Freund, der ihr bis zum Ende beisteht. Da ärztliche, therapeutische und psychiatrische Bemühungen zu keiner Besserung ihres Zustandes führen, beauftragt die zuständige Diözese einen Priester, den so genannten „Großen Exorzismus“ durchzuführen, der mit dem Tod der Studentin endet. Bei der Gerichtsverhandlung wird der Exorzist für schuldig befunden.

POW: Welche Veränderungen sind zu beobachten? Wo verlässt der Film die „wahre deutsche Begebenheit“?

Singer: Die Ereignisse von Klingenberg in den 1970er Jahren habe ich damals nur aus der Ferne verfolgt; meine Kenntnisse darüber habe ich aus Gesprächen und aus entsprechenden Veröffentlichungen. Im Film wird nur ein Priester, der Heimatpfarrer der Familie Rose, mit der Durchführung des Exorzismus beauftragt. In Klingenberg damals waren es zwei Priester, die zwar mit der Familie bekannt, aber nicht die zuständigen Gemeindeseelsorger waren. Im Film geht es um einen einzigen Exorzismus, der erfolglos verläuft, während in Klingenberg viele Exorzismen versucht wurden. Im Film wohnte, wie sich im Verlauf des Prozesses herausstellt, ein Arzt beziehungsweise Psychiater dem Exorzismus bei; in Klingenberg war dies nicht der Fall. Der Film bezeichnet die Verletzungen und Verwundungen der „Besessenen“ als „Stigmata“, also als Ausprägung der Wundmale Christi; davon war in Klingenberg meines Wissens keine Rede. Im Film sagt die Ethnologin, Spezialistin für schamanische Zustände und Praktiken, als Zeugin vor Gericht aus. Die deutsch-amerikanische Kulturanthropologin Felicitas D. Goodman, deren Buch „Anneliese Michel und ihre Dämonen“ (1980) einer der Anlässe und Hintergründe für den Film sein dürfte, ist jedoch beim Aschaffenburger Prozess nie aufgetreten. Der Film stellt Emilys Bereitschaft, ihre Besessenheit als „Sühneleiden“ anzunehmen, als ihre eigene freie Entscheidung dar. In Klingenberg dürfte das familiäre, soziale und religiöse Umfeld der Studentin weitaus größeren Einfluss ausgeübt haben. Als äußerst fragwürdig erscheint mir die im Film angedeutete Möglichkeit, die junge Frau als Heilige zu betrachten, die in besonderer Weise von Gott berührt und auserwählt wurde, stellvertretendes Leiden auf sich zu nehmen, und die Frage nach ihrer Heiligsprechung zu stellen. Befremdet hat mich auch der am Schluss des Films eingeblendete Satz, dass das Grab der Verstorbenen von Menschen noch heute als „Wallfahrtsstätte“ aufgesucht wird.

POW: Wie versucht der Film eine Antwort zu geben auf die Frage, ob die junge Frau wirklich von dämonischen Mächten besessen war oder ob sie nur an einer schweren Krankheit litt?

Singer: Der Film gibt auf diese Frage keine definitive Antwort – glücklicherweise! Der Staatsanwalt, eigentlich ein überzeugter christlicher Baptist, vertritt entschieden die Position von Wissenschaftlern und „aufgeklärten“ Zeitgenossen, dass es sich bei der Besessenheit der Emily Rose letztlich um einen besonders schweren und komplizierten Fall von epileptischer Psychose handelt. Der sympathische Pater Moore (der Exorzist) ist felsenfest überzeugt, dass der personale Böse am Werk ist und eine Macht darstellt, gegen die man sich wappnen muss. Die Verteidigerin des Paters bezeichnet sich zunächst als Agnostikerin, wird aber angesichts dessen, womit sie konfrontiert wird und was sie auch selbst erlebt, in ihrer Einstellung zunehmend verunsichert, bis sie nach dem Prozess zugibt: „Ich bin mir nicht sicher, was ich gesehen habe.“ Problematisch erscheinen einige Aussagen des Paters: Musste die junge Frau tatsächlich leiden, damit die Menschen unserer Zeit erfahren, dass das „spirituelle Reich“ – was damit auch immer gemeint ist – wirklich ist? Sind ihre „Stigmata“ tatsächlich ein „Beweis, dass Gott nicht tot ist“? Es wäre theologisch abwegig zu meinen, man müsse die Existenz des Teufels beweisen, damit die Menschen an die Existenz Gottes glauben. Der Film macht deutlich, dass es in diesem Bereich nicht nur um „Fakten“, sondern sehr stark um persönliche Einstellungen, um Glaubensüberzeugungen geht. Damit kann der Film zum Anstoß werden, dass die Zuschauer sich persönlich mit der Problematik des Bösen auseinandersetzen.

POW: Gelingt es den Schauspielern, das sehr schwierige Thema „satanische Besessenheit“ umzusetzen?

Singer: Emily Rose spielt die schwierigen Szenen, die Schockszenen überzeugend. Im Ganzen des Films ist sie aber nicht die zentrale Gestalt, sondern im Mittelpunkt stehen der Exorzist und seine Verteidigerin. Interessant erscheint mir, dass die im Film als Auswirkungen dämonischer Besessenheit dargestellten Phänomene insgesamt dem sehr ähneln, was die Parapsychologie „Spukphänomene“ nennt. Die schauspielerischen Leistungen der Hauptdarsteller sind meines Erachtens ausgezeichnet.

POW: Wie beurteilen Sie die Gerichtsszenen?

Singer: Die Gerichtsszenen sind ganz nach amerikanischem Muster konzipiert, wie man sie aus zahlreichen Filmen und Fernsehsendungen kennt. Die Auseinandersetzungen zwischen Staatsanwalt und Verteidigerin, aber auch die Auftritte des Paters sind weitgehend spannend gestaltet. Wie weit sie inhaltlich dem Verlauf des Aschaffenburger Prozesses damals entsprechen, entzieht sich meiner Kenntnis. Die Gerichtsverhandlung als Rahmenhandlung für den ganzen Film zu verwenden, halte ich für eine glückliche und gut umgesetzte Idee.

POW: Kann der Film hilfreich sein bei der Frage nach der Existenz des Bösen?

Singer: Diese Frage wird wohl jeder Zuschauer für sich selbst beantworten müssen. Da der Film keine fertigen Antworten vorgibt – wenn auch mit einer erkennbaren Sympathie für die Möglichkeit der Existenz einer „anderen Wirklichkeit“ –, kann der Film durchaus anregen, sich mit solchen Fragen auseinander zu setzen. Wir kommen hier in den Bereich des Glaubens, wo es nicht mehr um „wissenschaftliche“ Beweise oder Widerlegungen gehen kann, sondern wo die persönliche Entscheidung und Überzeugung ins Spiel kommt.

POW: Der Große Exorzismus der Kirche wurde 1999 überarbeitet. Was hat sich seit den Ereignissen von Klingenberg verändert?

Singer: Gegenüber dem Rituale Romanum von 1614 sehe ich vor allem zwei entscheidende Veränderungen: Es wird bestimmt, dass ein Großer Exorzismus als äußerste Möglichkeit überhaupt nur dann in Frage kommt, wenn alle anderen ärztlichen, psychologischen, psychotherapeutischen, psychiatrischen und sonstigen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Damit dürfte die Zahl von Exorzismen von vornherein auf ein Minimum schrumpfen, sofern überhaupt ein bischöflicher Auftrag dazu erteilt wird. Immerhin ist seit dem „Fall Klingenberg“ im Bereich der katholischen Kirche in Deutschland kein weiterer von einem Bischof angeordneter oder genehmigter Exorzismus bekannt geworden. Die zweite wesentliche Änderung: Im neuen Ritus ist die „imperativische Form“ des Exorzismus – das heißt der ausdrückliche Befehl an den Teufel oder die Dämonen, den besessenen Menschen zu verlassen -, die es zwar weiterhin gibt, zurückgetreten hinter die „deprekative Form“. Dies bedeutet in der Form eines Gebets die Bitte an Gott, den leidenden Menschen von seinen Qualen zu befreien und ihn in seinem Leiden zu stärken. Das Erfragen der Namen der Teufel beziehungsweise der Dämonen, die den Menschen besetzt halten – was doch sehr an magische Praktiken erinnert –, ist ganz weggefallen.

POW: Worin sehen sie die steigende Nachfrage nach Exorzisten begründet – vor allem in den USA und Italien?

Singer: Ich sehe vor allem deutliche Unterschiede in den Mentalitäten. In Amerika hat in den letzten Jahren das evangelikale Christentum stark zugenommen, das – aufgrund biblischer Aussagen – ganz selbstverständlich mit der Existenz von Teufel und Dämonen rechnet. In Italien geht man wohl unbefangener und unbelasteter an die Frage der Existenz des personalen Bösen heran. Dass es in Italien inzwischen rund 300 Diözesanexorzisten gibt und dass der Exorzist Gabriele Amorth behauptet, er habe bereits mehr als 40.000 Exorzismen erfolgreich durchgeführt – ob dies positiv zu sehen ist, darüber kann man sicherlich streiten. In Deutschland gehen wir mit dem Problem insgesamt zurückhaltender, kritischer um und sind nicht geneigt, hinter allen negativen und unerklärlichen Phänomenen sogleich den Teufel selbst am Werk zu sehen. Zudem sind wir nach den Ereignissen von Klingenberg „gebrannte Kinder“, die gut daran tun, mit teuflischer und dämonischer Besessenheit vorsichtig und zurückhaltend umzugehen.

POW: Können Sie den Film weiterempfehlen?

Singer: Der Film wird für Menschen enttäuschend sein, die nur einen Horrorfilm à la „Der Exorzist“ erwarten. Für Erwachsene, die sich mit den erwähnten Fragen auseinandersetzen wollen, kann der Film durchaus ein Anstoß sein. Meine Vermutung geht dahin, dass der Film – vielleicht nach einer kurzen Zeit großen Zulaufs – wohl nicht der große Kassenschlager werden wird. Zur Zeit wird das Thema in den Medien sehr hochgespielt; ich glaube aber nicht, dass dieser Boom lange anhalten wird. Eine abschließende Bemerkung: Der Film bestätigt meine Beratungserfahrung, dass Menschen, die sich teuflisch oder dämonisch besessen wähnen und unter ihrem Zustand furchtbar leiden, nicht nur medizinische und psychiatrische, sondern vor allem auch seelsorgliche Hilfe benötigen. Wir brauchen Seelsorger, die mit solchen Phänomenen verantwortlich umgehen, den gequälten Menschen in ihrem Leiden zur Seite stehen und für sie beziehungsweise mit ihnen zusammen betend von Gott Beistand und Hilfe, Kraft und Trost erbitten.

(4705/1541; E-Mail voraus)

Hinweis für Redaktionen: Foto abrufbar im Internet

Medienvertreter erhalten auf Wunsch eine von der Pressestelle des Bischöflichen Ordinariats Würzburg in Zusammenarbeit mit dem Diözesanarchiv Würzburg erstellte Dokumentation mit einer Auswahl wichtiger kirchlicher Verlautbarungen zum „Fall Klingenberg“. Die Texte finden sich auch im Internet unter www.bistum-wuerzburg.de.