Alzenau/Taizé (POW) Micha Lang ist 22 Jahre alt, stammt aus Alzenau und hat im Frühjahr seinen Bachelor in Biologie beendet. Von Ende Mai bis Mitte August war er in Taizé, einer ökumenischen Gemeinschaft in Südfrankreich. Er hat dort als Volunteer gelebt und gearbeitet. Im Herbst wird er für ein Biologie-Masterstudium nach Marburg ziehen. Im POW-Interview erzählt er unter anderem, warum er als Freiwilliger in dem französischen Ort gewirkt hat und was er aus dieser Zeit mitnimmt.
POW: Erst mal eine grundsätzliche Frage: Wie würdest Du jemandem, der noch nie da war, erklären was Taizé ist?
Micha Lang: Wenn man das rein sachlich betrachtet, dann ist es ein Orden, eine Gemeinschaft von Brüdern, die in Frankreich lebt. Und die haben es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen aus der ganzen Welt willkommen zu heißen, vor allem Jugendliche zwischen 18 und 35 Jahren. Aber auch für Familien gibt es ein Programm. Die Gemeinschaft betet dreimal am Tag, führt ein sehr einfaches Leben und bietet die Möglichkeit, eine Woche mit den Brüdern zusammen zu leben und sich mit gewissen Themen auseinanderzusetzen. Das heißt, es gibt morgens immer eine Bibelarbeit und dann kann in Gruppen darüber geredet werden. Es ist ein Ort, um ein bisschen Abstand vom Alltag zu nehmen und, ja, sich ein bisschen mit sich selber zu beschäftigen.
POW: Woher kommt Deine Beziehung zu Taizé?
Lang: Meine Familie war oft da, als ich noch klein war. Und später war ich auch als Jugendlicher dort. Es sind super viele Leute, die den Ort besuchen wollen, deswegen begrenzen sie das auf eine Woche. Als Volunteer kann man aber länger bleiben.
POW: Dir scheint der Ort viel zu bedeuten.
Lang: Also für mich selber ist der Ort zwar kein Paradies auf Erden, aber es kommt dem schon sehr nahe. Die Zeit dort ist immer sehr schön und fühlt sich einfach sehr friedvoll an. Alle sind nett zueinander, man hilft sich gegenseitig. Es ist ein sehr einfaches Leben. Nach der Woche war es für mich immer schwer, wieder zurück in den Alltag zu kommen, mit den ganzen gesellschaftlichen Klischees und dem Druck. Dann dachte ich mir: „Okay, die Zeit dort tut mir immer sehr gut, ich möchte dort einen längeren Zeitraum verbringen.“ Ich habe mich Anfang Januar als Volunteer beworben, das heißt man schickt da einfach eine Mail hin, erklärt ein bisschen die Beweggründe. Es ist ein gegenseitiges Angebot: Ich biete meine Hilfe an, und gleichzeitig kriege ich eben die Möglichkeit, da zu leben und die Zeit auch für mich zu nutzen.
POW: Was genau hast du da als Volunteer gemacht?
Lang: Erst habe ich eine normale Woche verbracht, wie ich es sonst auch immer gemacht habe. Danach bin ich ins Freiwilligenhaus gezogen. Da ist ein ständiges Kommen und Gehen. Den Sommer über waren wir um die 100 Freiwillige aus der ganzen Welt. Wir haben alle Jobs übernommen, die notwendig sind, um diesen wunderschönen Ort am Laufen zu halten. Das heißt, die Leute, die für eine Woche da sind, die arbeiten auch mit, entweder vormittags oder nachmittags. Die Volunteers müssen das Ganze anleiten und kontrollieren. Wir müssen zum Beispiel Essen austeilen für bis zu 2000 Leute am Tag. Wir müssen kochen und wieder aufräumen, müssen Toiletten putzen und Müll sammeln. Die Gebete sind ein wichtiger Teil des Taizé-Alltags. Da müssen wir aufräumen, während des Gebets für Ruhe sorgen, Fürbitten vorbereiten. Es ist sehr abwechslungsreich: Jede Woche ändert sich der Job und du arbeitest mit neuen Leuten zusammen.
POW: Gab es irgendwas, was dir schwergefallen ist?
Lang: Die drei Monate waren völlig anders als die eine Woche, die man normalerweise da ist. Als Freiwilliger ist der Tag vollgepackt mit zwei bis drei Jobs am Tag. Das Ganze ist schon anstrengend, zumal man einfach auch viele Begegnungen hat, viele Erfahrungen. Man muss schon aufpassen, dass man sich auch die Zeit für sich selbst nimmt. Dann sind da sehr viele Freiwillige aus vielen Ländern zusammen. Ich habe mir das Zimmer mit drei weiteren geteilt, aus Paraguay, aus Irland und aus Nicaragua. Ich habe mich mit allen drei sehr gut verstanden. Aber das heißt, man musste gucken, wie man sich verständigt, wie man zusammenlebt. Was für den einen vielleicht okay ist, ist für den anderen völlig neu, weil er aus einer anderen Kultur kommt.
POW: Gibt es im Nachhinein etwas, wo Du sagst: Das nehme ich mit ins Leben zuhause?
Lang: Momentan gelingt es mir noch nicht so gut, aber wenn ich wieder meinen geregelten Alltag habe, dann würde ich gerne ein bisschen was von dem Alltag in Taizé in meinen Alltag hier integrieren. Heutzutage ist alles sehr schnell und sehr getaktet. Es muss alles funktionieren, es ist alles durchgeplant und ich falle dann oft abends ins Bett und bin einfach nur müde. Und dort hatte ich immer mal die Zeit, meinen Tag zu reflektieren, zu sagen: Okay, das war schön, das hat mir nicht so gut gefallen, das würde ich gerne morgen anders machen oder mit jemandem besprechen und klären. Ich will mir in Zukunft diese Zeit nehmen, mich mal zehn, zwanzig Minuten hinzusetzen, ohne irgendwelchen anderen Einfluss, Musik, Videos, andere Menschen und wirklich auf mich selber schauen: Wie geht es mir gerade, wie habe ich das und das empfunden und wie möchte ich vielleicht in Zukunft damit umgehen?
POW: Für viele ist ja Taizé auch verbunden mit einer bestimmten Art von Musik. Ist das auch was für Dich?
Lang: Auf jeden Fall. Das ist super schön. Also die Gesänge in den Gebeten sind immer schon sehr, sehr einprägsam und emotional. Und dann hat man ja abends eben auch die Möglichkeit, einfach länger zu sitzen. Da kann man vielleicht noch mit ein paar Brüdern reden oder halt einfach nur singen. Das ist schon was sehr Schönes und das nehme ich auf jeden Fall auch mit.
POW: Würdest Du sagen, Taizé ist nur was für fromme Menschen?
Lang: Wenn man sich nicht stark mit dem Glauben identifiziert, kann das vielleicht abschreckend sein, dass es ein Orden ist, dass sie dort dreimal am Tag beten. Das klingt natürlich sehr fromm. Aber das ist es überhaupt nicht und das finde ich auch das Coole daran. Sie heißen ja jeden willkommen. Ich habe mich beispielsweise jahrelang nicht mit dem Glauben auseinandergesetzt und bin dahingefahren und hatte trotzdem eine ultraschöne Zeit, weil es für mich vor allem um den Austausch mit anderen Menschen ging und darum, mich mit mir selber zu beschäftigen. Ich bin selber nicht super fromm und habe die Zeit einfach für mich genutzt: Wo stehe ich in meinem Leben? Woran glaube ich? Was will ich mit meinem Leben anfangen? Und natürlich kann man das dann direkt auch mit dem Glauben oder mit Gott verbinden. Aber das ist kein Muss. Keiner fordert einen auf oder verurteilt einen dafür, wie man glaubt oder was für Einstellungen man hat. Solange man natürlich niemand anderen damit verletzt.
POW: War das jetzt für Dich der letzte Besuch in Taizé?
Lang: Auf keinen Fall! Ich habe die Möglichkeit jedes Jahr zu kommen und die Möglichkeit werde ich auf jeden Fall auch nutzen. Und ich könnte mir auch vorstellen, da noch mal einen längeren Zeitraum zu bleiben.
Interview: Burkard Vogt (POW)
(3724/0912; E-Mail voraus)
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