Würzburg (POW) Eine ausführliche Dokumentation über die Lage des Bistums Würzburg am Ende des Zweiten Weltkriegs hat die Historikerin Verena von Wiczlinski im Auftrag des Diözesanarchivs Würzburg herausgegeben. Zusammen mit Generalvikar Dr. Karl Hillenbrand und Archivdirektor Dr. Johannes Merz stellte sie das im Würzburger Echter-Verlag erschienene Buch „Kirche in Trümmern? Krieg und Zusammenbruch 1945 in der Berichterstattung von Pfarrern des Bistums Würzburg“ am Mittwoch, 26. Oktober, im Diözesanarchiv Würzburg vor.
Würzburgs Bischof Dr. Matthias Ehrenfried hatte am 31. Mai 1945 die Pfarrer aufgerufen, die Ereignisse der letzten Kriegswochen für jede Gemeinde genau aufzuzeichnen. Aus 141 von 479 Pfarreien der Diözese Würzburg liegen dem Diözesanarchiv solche Kriegs- und Einmarschberichte vor. Auf Anregung des Diözesanarchivs wurde nach den Worten von Archivdirektor Merz am Lehrstuhl für Neueste Geschichte der Universität Würzburg eine repräsentative Auswahl dieser Berichte wissenschaftlich bearbeitet und für ein breiteres Publikum erschlossen. Für die Dokumentation wurden 36 Berichte ausgewählt. Sie liefern nach Angaben der Herausgeberin ein eindrucksvolles Bild von der Lage und den Geschehnissen vor Ort in der „Stunde Null“ in Mainfranken. „Es wurde am Kriegsende noch heftig in Unterfranken gekämpft.“
Die Kirche habe in dieser Zeit des vollständigen Zusammenbruchs noch als eine der wenigen Institutionen über eine intakte Verwaltung und ein funktionierendes Kommunikationsnetz verfügt, sagte von Wiczlinski bei der Buchpräsentation. Der Leser gewinne durch die Berichte der Priester einen Eindruck vom Erfahrungshorizont des katholischen Klerus’ im Bistum Würzburg bei Kriegsende und von der religiösen Situation des Kirchenvolks. Darüber hinaus erhalte er auch unmittelbare Einblicke in die politische, wirtschaftliche und soziale Situation der Bevölkerung in den Städten und Dörfern Mainfrankens angesichts der Katastrophe des Jahres 1945.
Generalvikar Dr. Karl Hillenbrand nannte die 60 Jahre nach Kriegsende erschienene Publikation eine wahre Fundgrube. Die Informationen in den Berichten seien nicht hoch genug zu bewerten. In Würzburg sei die Erinnerung an das Jahr 1945 sehr stark mit dem Gedenken an den Untergang der Stadt am 16. März verbunden. Mit den vorliegenden Berichten der Pfarrer werde der Blick auch auf die Geschehnisse im gesamten Bistum geworfen. In weiten Teilen Unterfrankens habe das Kriegsende noch vielfach Todesopfer und Zerstörungen mit sich gebracht. Grundsätzlich solle mit der Veröffentlichung der Dialog der Kirche mit der Gesellschaft gefördert und das allgemeine Geschichtsbild bereichert werden, gerade auch bei aktuellen Diskussion. Besonders dankte Hillenbrand der Herausgeberin und ihren Mitarbeiterinnen Petra Ney und Verena Spinnler für die äußerst engagierte und kompetente Arbeit.
In dem Band erläutert von Wiczlinski zunächst die Kriterien für die Auswahl und Bewertung der Berichte. Die Edition fuße auf drei Ebenen: der Dokumentation des Kriegsendes in den Pfarreien, der Darstellung der Denkweise des Klerus im Umgang mit dem Krieg und seinen Folgen sowie der Wahrnehmung des Kriegsendes vor dem Hintergrund der Erfahrung des Dritten Reichs. Viele Pfarrer sprechen beispielsweise von der „Befreiung“. Deutlich werde in den Berichten, dass das vielfach in den Köpfen vorhandene Bild kaugummiverteilender GIs, die von neugierigen Kindern am Straßenrand beäugt in die Dörfer einzogen, ohne auf Widerstand zu stoßen, für das Bistum Würzburg oft nicht zutreffe. Viele Orte seien heftig umkämpft worden. Meist erstaunlich positiv sei die Beurteilung der amerikanischen Besatzungstruppen durch die Pfarrer.
Die Quellendokumentation führt die Berichte aus folgenden Pfarreien auf: Aschaffenburg-Schweinheim und Stadtdekanat, Goldbach, Klingenberg am Main, Amorbach, Eisenbach, Arnstein, Oberriedenberg, Fellen, Gemünden, Rengersbrunn, Hammelburg, Hergolshausen, Neubrunn, Eibelstadt, Erlach, Frickenhausen, Hohestadt, Marktbreit, Ochsenfurt, Baldersheim, Röttingen, Stalldorf, Tauberrettersheim, Würzburg-Käppele, Höchberg, Margetshöchheim, Gerbrunn, Rottendorf, Veitshöchheim, Burgwallbach, Alitzheim, Steinach an der Saale, Unterebersbach und Schweinfurt. Der einzige Dekanatsbericht liegt aus Haßfurt vor. Dort schrieb Pfarrer und Dekan Johann Kötzner bereits am 24. April 1945 über die Besetzung des Dekanatsgebiets durch amerikanische Truppen an das Bischöfliche Ordinariat Würzburg.
Der ausführlichen Quellendokumentation sind zwei Aufsätze zur historischen Einordnung vorangestellt. Herbert Schott vom Staatsarchiv Nürnberg erläutert die Eroberung Unterfrankens durch die Amerikaner, und der Würzburger Kirchenhistoriker Professor Dr. Wolfgang Weiß beleuchtet das Thema „Bischof Ehrenfried und Bistum Würzburg im Jahr 1945“. Eine umfangreiche Chronologie der Kriegsereignisse und des ersten Nachkriegsgeschehens vervollständigt das informative Buch. Sie reicht vom Absturz eines feindlichen Fliegers am 7. Januar 1945 in Riedenheim bis zum Abzug der amerikanischen Truppen am 15. April 1945 in Püssensheim und zur Besetzung des Flugplatzes in Riedenheim am 19. April 1945.
Verena von Wiczlinski (Hg.): Kirche in Trümmern? Krieg und Zusammenbruch 1945 in der Berichterstattung von Pfarrern des Bistums Würzburg. 325 Seiten. 19,80 Euro. Echter Verlag, Würzburg 2005. ISBN 3-429-02717-9.
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