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„Kirche soll zeitgenössisch sein“

Kunstreferent Domkapitular Dr. Jürgen Lenssen wird am 11. Mai 70 Jahre alt – Theologie und Kunst als Standbeine seines Wirkens – Viele Pläne für den Ruhestand

Würzburg (POW) Wenn er auf sein bisheriges Leben zurückblickt, fällt ihm als erstes das Wort „Vertrauen“ ein. „Ich durfte ein ungemeines Vertrauen erfahren, an das ich gerne zurückdenke“, sagt Domkapitular Dr. Jürgen Lenssen, Kunstreferent der Diözese Würzburg. Das Vertrauen von Bischof em. Dr. Paul-Werner Scheele, der ihn 1989 zum Leiter der damaligen Hauptabteilung Bau- und Kunstwesen im Bischöflichen Ordinariat ernannte. Und das Vertrauen der Gemeinden, auch wenn seine Entscheidungen nicht immer unumstritten waren. „Dass im Umgang mit Kunst Konflikte programmiert sind, versteht sich von selbst.“ Am Donnerstag, 11. Mai, wird Lenssen 70 Jahre alt. Zum 31. Mai tritt er altersbedingt von seinen Aufgaben als Domkapitular und Leiter der Hauptabteilung Kunst zurück. Franken ist längst seine Heimat geworden. „Ich bin hier zu Hause. Ich liebe das Frankenland“, sagt er. Für seinen Ruhestand hat er unzählige Pläne – von der Fertigstellung noch laufender Kirchensanierungen und Museumsprojekte bis hin zu Ideen für Bücher. Doch noch wichtiger sind für ihn die vielen Begegnungen mit den Menschen: „Die Freundschaften bleiben.“

In seinem Leben gab und gibt es zwei Standbeine: die Theologie und die Kunst. Beides ergänze sich hervorragend. „Die Kirche war immer Trägerin von Kunst und Kultur.“ Umgekehrt tue es der Kirche gut, sich von der Kunst inspirieren zu lassen: „Kirche soll zeitgenössisch sein. Die Weite, die der Kunst eigen ist, sollte auch die Kirche auszeichnen.“ Für seine zahlreichen Initiativen zur Kunst- und Kulturförderung wie die Errichtung der diözesanen Museen und die Gestaltung von Gotteshäusern ist Lenssen weit über das Bistum Würzburg hinaus bekannt. „Die Diözese Würzburg hat in der deutschen Diözesanlandschaft den Ruf, dass zeitgenössische Kunst einen wirklichen Stellenwert bekommt.“ Künstler wie Michael Triegel, Thomas Lange und Jacques Gaßmann wurden von Lenssen entdeckt oder gefördert. „Es ist spannend, wenn diese Künstler in ihren Bildinhalten Themen aufgreifen, die auch wir verfolgen – Barmherzigkeit, Menschenwürde, die Verortung des Menschen.“

Die Gegenüberstellung alter und neuer Kunst bestimmt das Konzept der insgesamt 13 Museen, die nach seinen Plänen und unter seiner Regie in den vergangenen Jahren entstanden. „Ich wollte ganz bewusst eine Dezentralisierung, damit diese Museen und ihre Kunstschätze im ganzen Bistum wahrgenommen werden können“, erklärt Lenssen. Zentrales und umfangreichstes Museum ist das Museum am Dom in Würzburg, das 2003 eröffnet wurde. Eingebettet ist es in eine Landschaft von Museen, die über das ganze Bistum verteilt, teils in kommunaler, teils in kirchlicher Trägerschaft, Kunstwerke aus dem Besitz der Diözese präsentieren: etwa das Kartäusermuseum Tückelhausen, das Museum Kartause Astheim, der Domschatz Würzburg, das Museum Schloss Oberschwappach, das Museum Johanniskapelle in Gerolzhofen, das Pilger- und Wallfahrtsmuseum in Dettelbach oder das „Museum. Burg. Miltenberg.“ auf der Mildenburg. Zuletzt wurden im Dezember 2016 das Krippenmuseum in Baunach und im März 2017 das Museum zum frühen Christentum in Franken in Karlburg eröffnet. Den Kontakt zu Künstlern pflegte Lenssen bei Künstlergottesdiensten im Dom, beim traditionellen Aschermittwoch der Künstler oder bei Ausstellungen. Besonders am Herzen liegt ihm die Kunst aus der ehemaligen DDR. So sicherte er 1995 der Diözese den bedeutenden Nachlass des Dresdner Künstlers Friedrich Press.

Mehr als 370 Kirchen und Kapellen habe er in den vergangenen 28 Jahren umgestaltet, schätzt Lenssen. Dabei gab es immer wieder auch Auseinandersetzungen um seine Ideen, seine Pläne, seine Kunstwerke. Sehr deutlich war dies bei der Debatte um die Neugestaltung des Kilianshauses um die Jahrtausendwende zu erleben, als Befürworter und Gegner heftig miteinander stritten, oder auch bei der Haßfurter Ritterkapelle. Manches davon sei unter der Gürtellinie gewesen. „Aber viel entscheidender ist, dass mir von vielen Gemeinden bis heute großes Vertrauen entgegengebracht wird“, sagt Lenssen. Besonders schön sei für ihn die Arbeit in sehr kleinen Gemeinden gewesen, von denen manche gerade mal 100 Katholiken zählten. „Ich konnte die Liebe zu ihrem Sakralraum spüren.“ Gerade hier habe er viel Offenheit erlebt, „in der Frömmigkeit wie in Fragen der Raumgestaltung“. Auf allgemeine Zustimmung stießen die großen Kirchensanierungen unter seiner Regie wie von Kiliansdom, Stift Haug, der Neumünsterkirche in Würzburg, der Stadtpfarrkirche Dettelbach oder der Pfarr- und Wallfahrtskirche zum Heiligen Kreuz auf dem Volkersberg. Zahlreiche Altäre in den Gotteshäusern der Diözese Würzburg und darüber hinaus – selbst in evangelischen Kirchen – tragen Lenssens Handschrift. Seine künstlerischen Arbeiten fanden Interesse bei Ausstellungen in mehreren Städten Deutschlands, Italiens und den USA.

Bevor er in das Domkapitel gewählt wurde, war Lenssen fast 20 Jahre als Seelsorger tätig. „Die Gemeindeseelsorge hat mich sehr geprägt. Ich hatte zunächst Angst, dass ich nun keine Gemeinde mehr haben würde“, sagt er. Bei den 11.30-Uhr-Messen im Kiliansdom habe er dann eine neue Gemeinde gefunden. „Das hat mich getragen. Ich habe auch Trauungen, Taufen und Beerdigungen gehalten.“ Nach seiner Emeritierung wird er weiterhin in die Feier der 11.30-Uhr-Messen eingebunden bleiben.

Auch als Künstler wird er tätig sein. So werden noch unter seiner Federführung die Generalsanierung der Pfarrkirche Sankt Mauritius in Wiesentheid und der Pfarrkirche Sankt Oswald in Baunach abgeschlossen. In Karlstadt wird 2018 ein weiteres diözesanes Museum „Kunst und Geist zu Beginn der Neuzeit“ mit dem Schwerpunkt Renaissance und Reformation eröffnen. Auch von außerhalb der Diözese habe er viele Anfragen bekommen – von katholischen wie evangelischen Gemeinden. „Ich möchte auch noch einiges veröffentlichen, zum Beispiel über unsere fränkischen Dorfkirchen. Es sind wirklich Perlen!“

Zur Person

Dr. Jürgen Lenssen wurde 1947 in Mönchengladbach geboren. Die ersten Lebensjahre verbrachte er in Bad Neustadt, anschließend lebte er mit seinen Eltern bis 1962 in Mönchengladbach. Theologie, Kunstgeschichte und Volkskunde studierte er in Würzburg, Münster und Osnabrück. Am 27. November 1971 empfing er in Osnabrück durch Bischof Helmut Herrmann Wittler die Priesterweihe. Nach der Kaplanszeit in Osnabrück und Lingen/Ems kam er 1974 aufgrund familiärer Verbindungen in die Diözese Würzburg. Seine erste Stelle trat er als Kaplan in Alzenau an. 1975 wurde er Kuratus in Dittelbrunn, im gleichen Jahr Jugendseelsorger für das Dekanat Schweinfurt-Nord. 1981 ernannte ihn Bischof Dr. Paul-Werner Scheele zum Pfarrer in Glattbach. 1988 promovierte Lenssen zum Doktor der Theologie in Liturgiewissenschaft. Im gleichen Jahr wurde er stellvertretender Dekan im Dekanat Aschaffenburg-West. Am 1. Oktober 1989 ernannte ihn Bischof Scheele zum Ordinariatsrat und zum Leiter der Hauptabteilung Bau- und Kunstwesen im Bischöflichen Ordinariat Würzburg. Die Leitung des Baureferats gab Lenssen 2015 ab. 1989 übernahm er zudem die Aufgabe als Personalreferent für die Pastoral- und Gemeindereferenten, die er 1996 aus gesundheitlichen Gründen abgab. Von 1990 bis 2000 war Lenssen außerdem Referent für die Hochschulseelsorge und von 1991 bis 2002 Mitglied der Kommission für Kirchenmusik. Seit 1. Oktober 1991 ist er Mitglied des Domkapitels.

1992 übernahm der Domkapitular auch die Aufgabe des Direktors der Stiftung Kunstsammlung der Diözese Würzburg. Darüber hinaus wurde er 1998 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft kirchlicher Museen und Schatzkammern im deutschsprachigen Raum und war von 1999 bis 2003 Präsident der Deutschen Gesellschaft für zeitgenössische Kunst und christliche Kultur. Außerdem engagierte er sich als Geistlicher Beirat der Diözesangruppe Würzburg des Bunds Katholischer Unternehmer (BKU), als Vertreter des Domkapitels bei der Verwaltung der Ignaz-Kolb’schen Messweinstiftung und als Rektor der ehemaligen Klosterkirche der Kartause Astheim. In der diözesanen Kommission für Liturgie und Kirchenmusik ist er seit 2004 erneut tätig, in der 2006 errichteten Kunstkommission der Diözese hat er einen ständigen Sitz. Im März 2017 wurde er erneut in den Wissenschaftlichen Beirat zur Instandsetzung des Speyerer Doms berufen.

Für die Resakralisierung und Ausstattung der alten Glattbacher Kirche Mariä Himmelfahrt erhielt Lenssen 1985 die Verdienstmedaille der Gemeinde Glattbach und 1988 die Denkmalschutzmedaille des Freistaates Bayern. Das Bundesverdienstkreuz am Bande wurde ihm 2006 verliehen. Für sein „Gesamtkunstwerk“ zeichnete ihn die Stadt Würzburg 2009 mit dem Kulturpreis aus. Das Landesamt für Denkmalpflege verlieh ihm 2011 die „Alte Münze“ für besondere Verdienste im Bereich Denkmalschutz, Denkmalpflege und Museumsarbeit. 2013 erhielt er für sein museales und kulturelles Schaffen den Kulturpreis des Bezirks Unterfranken.

sti (POW)

(1717/0460; E-Mail voraus)

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