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Kirche und Theater

Predigt von Bischof Dr. Friedhelm Hofmann beim Aschermittwoch der Künstler am 5. März 2014 in Stift Haug in Würzburg

Liebe Schwestern und Brüder,

der heutige Aschermittwoch ruft uns – wie in jedem Jahr – auf, innezuhalten, einen Augenblick Ewigkeitserfahrung aufzunehmen, d.h. die volle Wirklichkeit unseres Daseins wahrzunehmen und so über das rein Sichtbare hinaus einen Neuansatz im eigenen Lebensvollzug zu wagen.

Unser Leben ist bei allem Schönen und Lebenswerten auch von Brüchen und Grenzen geprägt. Wir empfinden unser Dasein oft als einengend – wenn nicht gar als unfrei. Wann übersteigen wir Engen und Grenzen und überwinden einengende Verpflichtungen des Alltags?

Das heutige übergreifende Thema des Aschermittwochs der Künstler lautet: Verhältnis von Kirche und Theater. Hier werden zwei Bereiche unseres Lebens angesprochen, in denen wir zweckgebundenes Dasein verlassen und in eine uns übersteigende Freiheit einsteigen. Aber wie ist das Verhältnis von Kirche und Theater?

Gibt es trotz wechselseitiger Unterstellungen von beiden über Trennendes hinaus auch Gemeinsames, das verbindet und in den Blick genommen werden sollte?

In Europa entspringt das Theater dem kultischen Geschehen der Antike. Die Christen sahen die Schauspielerei als etwas Abträgliches an, da sie hier wegen der antiken Texte und dem Spiel auf der Bühne etwas vom teuflischen Prunk wahrnahmen. Die Schauspieler wurden wegen ihres als unehrenhaft angesehenen Berufes ausgegrenzt. Diese Einstellung wurde durch die Tatsache, dass schließlich die Christen selbst zur Belustigung des Volkes in der Arena drangsaliert und gar umgebracht wurden, noch gesteigert.

Erst im Mittelalter wurde ein geistliches Theater in den Kirchenraum einbezogen. Dieses religiöse Volkstheater wurde aber auch nicht von allen akzeptiert oder gar geliebt. Eigentlich geschah erst im 19. Jahrhundert durch die entstandenen Laienspielgruppen eine Annäherung zum Theater. Aber die Lust des Theaters, kritisch mit der Institution Kirche umzugehen, ließ selbst die gefundene neue Nähe von Kirche und Theater brüchig sein. Das zum Beispiel Anfang der 60iger Jahre von Rolf Hochhuth auf die Bühnenbretter gebrachte Stück „Der Stellvertreter“ verstärkte die kritische Haltung der Kirche.

Dennoch ist in den vergangenen Jahrzehnten – wie in der Herder Korrespondenz nachzulesen – „Bewegung in das Nicht-Verhältnis gekommen“ (Stefan Orth, in: Monatshefte für Gesellschaft und Religion – 11/2010).

Zum einen wurden verstärkt religiöse Themen in Theateraufführungen behandelt – man denke nur beispielsweise an die Autoren Paul Claudel und Georges Bernanos – zum anderen entdeckte man kirchlicherseits verschiedene Gemeinsamkeiten, die nicht nur ihre Wurzeln in der Tradition mittelalterlicher Krippen-, Passions- und Osterspiele hatten, sondern auch das dramatische Potenzial in der Liturgiefeier erkannte.

Gestern (03. März 2014) konnte man noch in der FAZ von der triumphal geratenen Uraufführung der ersten Oper von Mark Andre in Stuttgart lesen, die unter dem Titel „wunderzaichen“ den Weg der Gottsuche in einem Besucher des Heiligen Landes zum Transit zwischen der geschöpflichen und der transzendenten Welt aufzeigt.

Während also Glaube und Ritual zu Themen im Theaterbereich wurden, die in Neuinszenierungen zum Teil sakrale Umdeutungen erfuhren, besann sich die Kirche auf Facetten des geistlichen Spiels in den eigenen Gotteshäusern.

Längst hat die Kirche in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts den Kontakt zu den Künstlern im Allgemeinen und zu den Theaterleuten im Besonderen verstärkt aufgenommen.

Im Jahre 2010 fand innerhalb der Reihe Werkstattgespräche mit Künstlern der deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken im Kloster Weingarten bei Ravensburg (08.09.-11.09.2010) eine Begegnung mit Dramatikern, Theaterleuten, Wissenschaftlern und Theologen statt, in der unter anderem auch das Autorenehepaar Tankred Dorst und Ursula Ehler-Dorst einbezogen war. Ihr Stück „Ich, Feuerbach“ (1986; Regie: Veit Güssow) wurde aufgeführt und diskutiert.

In diesem Theaterstück, das – wie häufiger bei Dorst – religiöse Dimensionen anspricht, „geht es um einen Theaterschauspieler, der sich nach einer jahrelangen Pause wieder um ein Engagement bemüht. Der Intendant lässt ihn jedoch beim verabredeten Termin bis zuletzt warten, so dass jener dem Regieassistenten, unterbrochen von nervenden Bühnenarbeitern, seine Lebens- und schließlich auch seine Leidensgeschichte auf und hinter der Bühne erzählt. Fast wie ein Gott sei der Intendant, heißt es in Verstärkung der Anspielungen auf „Warten auf Godot“ von Samuel Beckett.“ (Stefan Orth. a.a.O.)

Das gemeinsame Gespräch über Inhalt, Aussage auf der Bühne und Wirkung beim Publikum machte noch einmal deutlich, dass auch das Theater als Ort der menschlichen Sinnsuche aufgesucht wird und bei aller manchmal berechtigten kirchlichen Kritik dieser Raum auch für uns ein Lernort sein kann.

Umgekehrt wurde von den Theaterleuten erkannt, dass innerhalb der liturgischen Feiern Elemente des Theaters eine große Rolle spielen: So Aufbau der Liturgie, Riten, Gesten und – besonders – der Raum selbst.

Natürlich ist Liturgie selbst etwas anderes als Theater, aber es gibt wahrzunehmende Schnittpunkte um Lebensdeutung und Lebenshoffnung. Menschliche Erfahrungen und Sehnsüchte ringen um Verheißung und Widerspruch, letztlich um Transparenz. Kirche und Theater bemühen sich dabei um eine Verbesserung der Gesellschaft.

„Der Lobpreis Gottes in der Liturgie ist im Kern selbstredend etwas anderes als eine Theateraufführung. Allerdings war man sich (bei der Tagung) mit Blick auf die Praxis durchaus einig, dass auch der Liturge vom Schauspieler lernen kann, wenn es darum geht, im Gottesdienst als Akteur präsent zu sein, mit Körpergefühl und Ausdrucksvermögen seinem Tun, seiner Stimme und damit der Botschaft mehr Überzeugungskraft zu verleihen.“ (Ebd.), fasste Stefan Orth zusammen.

Natürlich ist der Priester kein Schauspieler. Aber er muss die Gestik beherrschen, die Mimik, die Artikulation. Insofern können auch die Priester viel vom Theater lernen.

Nicht vergessen dürfen wir, dass es in der Kirche und im Theater um ein unterschiedliches Verhältnis zu Autorität und Macht geht. Das Theater will die Richtigkeit der Verhältnisse hinterfragen und an herrschenden Ideologien nagen. In der Kirche geht es um die Ermöglichung einer Gotteserfahrung der Nähe, die auf der unantastbaren und unauslotbaren Autorität Gottes basiert.

Während das zentrierende Tun beide, Kirche und Theater, verbindet, geht es im Christentum um Nächstenliebe und im Theater um Empathie.

Die Aufgabe des Theaters ist es, auch auf die dunklen Seiten des Lebens zu schauen. Dabei werden auch Wege beschritten, die schmerzen und dorthin führen, wo es weh tut.

In der Kirche geht es um die Heilszusage an den suchenden Menschen. Auch der sündige Mensch soll sich in der Heilsbotschaft, der Frohen Botschaft, wiederfinden. Es geht hier nicht um Aufdeckung, Bloßstellung und Unterhaltung, sondern um Umkehr, also Entscheidung und Zuversicht.

Die heutige erste Lesung aus dem Buch Joel bringt dies auf den Punkt: „So spricht der Herr: Kehrt um zu mir von ganzem Herzen mit Fasten, Weinen und Klagen. Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider und kehrt um zum Herrn, eurem Gott! Denn er ist gnädig und barmherzig.“ (Joel 2,12.13)

Dieser Impuls bei Joel, der der Versuchung „zur Verhübschung der Lebenswelt“ (Stefan Orth, a.a.O) entgegensteht, zielt zwar nicht auf die Bedeutung des Schmerzes für das künstlerische Empfinden und Arbeiten, wohl aber auf eine „schmerzende Ästhetik“ (Ebd.), die – wie der Würzburger Pastoraltheologie Erich Garhammer im Zusammenhang mit dem Werkstattgespräch in Weingarten formulierte – „die Übertünchung der Widersprüche und Brüche durch Blendwerk aufdecke.“(Ebd.)

Diesen ethischen Impuls verstärkt noch einmal der heilige Paulus in der heutigen zweiten Tageslesung: „Wir bitten an Christi Statt: Lasst euch mit Gott versöhnen!“ (2 Kor 5,20) Über den Appell hinaus konstatiert er: „Jetzt ist sie da, die Zeit der Gnade; jetzt ist er da, der Tag der Rettung.“ (2 Kor 6,2)

Hier geht es also nicht nur um das Bewusstmachen menschlichen Handelns, sondern um das Bewusstmachen menschlicher Chancen in einer sich offenbarenden Realität.

Menschliche Lebenserfahrung, die auf der Bühne visualisiert und ins Wort gebracht wird, wird in der Kirche nicht als Spiel sichtbar, sondern als existentieller Vollzug. Hier geht es um mich, mein Leben, meine Zukunft.

Heinrich Heine wird das Zitat zugeschrieben: „In die Kirche ging ich morgens, um Komödien zu schauen; abends ins Theater, um mich an der Predigt zu erbauen.“ (Ebd.) Verdrehte Welt. Wie ist es bei uns? Muss es uns nicht darum gehen, dass wir das uns übertragene Glaubensgut so einsetzen, dass die Wirklichkeit in und durch die würdige Feier der Liturgie aufscheint und uns inspiriert, die uns angebotene Lebensfülle anzunehmen und umzusetzen?

Amen.