Liebe Schwestern und Brüder,
nun darf ich schon mehr als ein Jahr „für Euch Bischof und mit Euch Christ“ sein, um es mit einem Wort des heiligen Augustinus zu sagen. Dankbar schaue ich auf die gemeinsame Zeit zurück. Es gab wohl auch einige Irritationen, Fragen und Probleme, die einen verstärkten Dialog eingefordert haben. Überwogen hat für mich die Freude. Wie froh bin ich, dass viele Menschen aus dem Bistum mir geschrieben, mich angerufen oder auch besucht haben. Auf diese Weise wird ein immer besseres Kennenlernen und Vertrautsein möglich.
Diese Erfahrung hat mich auch zu den Gedanken dieses Hirtenbriefes geführt. Ich gehe dabei von einer biblischen Grunderkenntnis aus:
Als Jesus einmal an Johannes vorbei ging, der gerade im Jordan taufte, verwies er auf ihn mit den Worten: „Seht das Lamm Gottes!“ Die beiden Jünger, von denen einer Andreas, der Bruder des Simon Petrus war, wandten sich daraufhin an Jesus mit der Frage: „Wo wohnst du?“ Sie bekamen zur Antwort: „Kommt und seht!“ (vgl. Joh 1,39).
Dieses „Kommt und seht!“ war nicht nur an diese beiden Jünger des Johannes gerichtet, die daraufhin Jesus gefolgt sind, sondern gilt auch uns heute. Jesus Christus ruft allen, die nach ihm fragen, zu: Kommt und seht!
Wie ein roter Faden zieht sich dieser Anruf Jesu durch das Neue Testament und das Leben der Kirche. Zu allen Zeiten sind Frauen und Männer dem Ruf Jesu gefolgt und haben so ihre Berufung als Nachfolge gelebt. Gott sei Dank ist unser Bistum immer noch gesegnet mit Priestern, Diakonen und Ordensleuten. Freilich ist für alle mit dem Geschenk der Berufung die brennende Sorge mit dem Nachwuchs verbunden. Dafür gilt es einfach weiterhin inständig zu beten und den Herrn der Ernte immer neu zu bitten. Auch die verschiedenen geistlichen Bewegungen sind eine große Bereicherung nicht nur für die Weltkirche, sondern auch für unsere Diözese. Ebenso sind die vielen Frauen und Männer in den pastoralen Berufen ein großes Geschenk an uns.
Wer die großen weltkirchlichen Ereignisse des vergangenen Jahres mitverfolgt oder gar daran teilgenommen hat, konnte etwas von der Einladung Jesu in unserer Zeit miterleben. Aber nicht immer gibt es solche Höhepunkte. Genauso entscheidend ist die Frage: Wie dürfen wir die Einladung Jesu in unserem Alltag verstehen? Wie lässt sie sich dort umsetzen?
1. Zuerst und wohl auch zutiefst beinhaltet diese Einladung die Aufforderung, Gott zu suchen und noch mehr kennen zu lernen. Wer ist Gott, und wo erfahren wir verlässliche Auskunft über ihn?
Unser Heiliger Vater Papst Benedikt XVI. hat seine viel beachtete erste Enzyklika mit den Worten begonnen: „Gott ist die Liebe“ … (1 Joh 4,16). Das bedeutet:
Wir können Gott als Liebe und Liebenden erkennen, wenn wir uns Zeit nehmen, um seine Spuren in der Schöpfung und in unserem eigenen Leben zu entdecken.
Wir können Gottes geheimnisvolle Liebe erkennen, wenn wir sein Wort in der Heiligen Schrift aufmerksam hören und in uns aufnehmen.
Immer sind wir von Gott eingeladen, an den unterschiedlichen Gottesdiensten teilzunehmen und vor allem die Heilige Messe als „Quelle und Mitte allen kirchlichen Tuns“ aktiv mitzufeiern, wie es das Zweite Vatikanische Konzil betont hat.
Im Kommunionempfang wird uns wohl die dichteste Weise der Begegnung mit dem lebendigen Herrn geschenkt. Das persönliche Gebet als freundschaftliches Verweilen und Zwiesprache mit Jesus Christus wird zur starken Brücke zwischen Gott und uns. Denn in der eucharistischen Verbindung mit Jesus verwirklicht sich auf intensivste Weise die Kommunikation zwischen dem unfassbaren Gott und uns in unserer oft so zerbrechlichen und begrenzten Alltagserfahrung.
Wenn wir Gott als Liebe und Liebenden erfahren wollen, müssen wir uns auch genügend Zeit für ihn nehmen und bereit sein, ihn zu hören. Für Wichtiges und Liebenswertes nehmen wir uns ja auch sonst Zeit.
2. Das Hören auf Gott ist wiederum Antwort auf seine Initiative. Deshalb ist ein Zweites wichtig: Gott will mit uns sein und in seiner Liebe bei uns bleiben. So lautet auch der erste ganze Satz der neuen Enzyklika „Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm“ (1 Joh 4,16). Es gibt wohl kaum eine tröstlichere Auskunft über Gott und Zusage von ihm. Gott verschenkt sich in seiner Liebe an uns. Er will, dass wir die von ihm empfangene Liebe weitergeben. Das größte Geschenk, die Gabe der Liebe wird so zur großen Aufgabe und zum Dauerauftrag unseres Lebens. Dabei können wir uns fragen, ob wir als Christen auch tatsächlich an dieser Liebe zu erkennen sind und ob es in unserem Leben Erfahrungsräume dafür gibt.
Denn viele unserer Mitmenschen fragen uns Christen in übertragenem Sinne: Wo wohnt ihr?
Welche Antwort können wir ihnen dann geben? Die Antwort Jesu lautet: Kommt und seht!
Was erfahren suchende und fragende Menschen heute durch uns im Alltag? Wie erleben sie uns in unserem Verhalten? Können sie uns als betende Menschen erkennen – bei den Mahlzeiten, in einem Gottesdienst in der Kirche oder auch anbetend vor dem Tabernakel?
Wir leben in einer Zeit gravierender Umbrüche und vielfältigster Veränderungen. Viele fragen, wie es mit dem Glauben und der Kirche in unserem Land weitergehen wird. Unsere Gemeinden mit all ihren unterschiedlichen Gruppen und Verbänden sind nur dann zukunftsfähig, wenn sie den Menschen solche Räume eröffnen, in denen sie etwas von der Liebe Gottes erfahren können.
Wir brauchen Gemeinden und Pfarreiengemeinschaften, in denen Menschen in überschaubaren Gruppen ihren Glauben und ihr Leben miteinander teilen, um so aus der Liebe Gottes zu leben.
Wir brauchen Frauen und Männer, die einladend, aber nicht vereinnahmend die Aufforderung Jesu „Kommt und seht!“ durch ihr Leben und ihre konkrete Hilfsbereitschaft sichtbar und erfahrbar werden lassen.
Wir brauchen mehr denn je junge Menschen, von denen der Funke der Begeisterung im Glauben auf andere überspringt, wie es der Weltjugendtag so eindrucksvoll gezeigt hat.
In den bayrischen Diözesen stehen die Pfarrgemeinderatswahlen an. Sie stehen unter dem Leitwort „aus Überzeugung“. Dankbar und wertschätzend dürfen wir auf die Frauen und Männer schauen, die sich in diesem Gremium für die Belange der Kirche vor Ort einsetzen. Sie haben, wie alle anderen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Respekt und Dank verdient. Allen, die nach einer längeren Zeit ihres Einsatzes – aus welchen Gründen auch immer – ausscheiden, gilt mein besonderer Dank für die geleistete Arbeit. Über alle, die weitermachen oder neu anfangen, freue ich mich und wünsche ihnen viel Kraft und Gottes Segen. Dies sage ich ebenso mit Blick auf die Wahlen zur Kirchenverwaltung im Herbst.
Liebe Schwestern und Brüder, „Wir kommen, wohin wir schauen!“ In diesem Wort des Dichters Heinrich Spaemann wird ausgedrückt, wie sehr es auf die Blickrichtung in unserem Leben ankommt. Richten wir unser Augenmerk auf das „Kommt und seht!“. In diesem Wort Jesu wird uns liebevoll ans Herz gelegt, dass wir bei ihm immer willkommen sind. Bei ihm finden wir alles, wovon wir wahrhaft gut leben können. Bleiben wir in seiner Liebe, was immer auch geschehen mag, und lassen wir uns von ihm senden, diese Liebe zu leben.
Dazu segne Euch der dreifaltige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist!
(87 Zeilen/1006/0360; E-Mail voraus)