Würzburg/Aschaffenburg (POW) Seit gut 50 Jahren gibt es die Arbeitsgemeinschaft der katholischen Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfe und der Jugendsozialarbeit (AGkE) des Caritasverbands für die Diözese Würzburg. Zu ihr gehören unter anderem Einrichtungen der stationären Jugendhilfe, ambulante Dienste und zahlreiche Beratungsstellen in ganz Unterfranken. Diplom-Psychologe Andreas Purschke, Leiter der Erziehungsberatungsstelle der Caritas in Aschaffenburg, gibt im Interview Einblicke in seine Arbeit unter Coronabedingungen.
Caritas: Herr Purschke, wie hat Ihre Beratungsstelle im Aschaffenburger Martinushaus unter Coronabedingungen arbeiten können?
Andreas Purschke: Das war phasenweise recht unterschiedlich. Wir waren durchweg erreichbar über Telefon, E-Mail und Videochat. Aber den Kolleginnen und mir war sofort klar, dass es ohne echte Präsenz, ohne direkte Begegnung von Angesicht zu Angesicht bei vielen Klienten nicht gehen kann. Die neuen Möglichkeiten sind lediglich eine Ergänzung. Das mussten wir auch für die Schulen feststellen. Distanzunterricht mag technisch möglich sein, hat aber schwere Folgen für die Kinder und Jugendlichen.
Caritas: Was meinen Sie mit „schweren Folgen“? Der Onlineunterricht wurde doch vielfach gelobt?
Purschke: Der unkontrollierte Medienkonsum hat bei Schülerinnen und Schülern extrem zugenommen. Sie sitzen stundenlang vor Bildschirmen. Ich meine nicht den Unterricht übers Smartphone oder Notebook, sondern den zusätzlichen Fernsehkonsum und die Onlinespiele. Nicht wenige Eltern waren und sind damit überfordert. Den Kindern fehlen die echten Kontakte, der Umgang mit der Peergroup, das Gespräch mit den Gleichaltrigen. Betroffen sind alle Schichten unserer Gesellschaft. Corona hat auch an dieser Stelle vorhandene negative Tendenzen verschärft. Wer einsam war, ist nun noch einsamer. Wer unter bestimmten Zwängen zu leiden hatte, tut das nun umso mehr. Wenn man etwas Positives sagen möchte, dann das: Es gibt zum Glück engagierte Lehrer, die in der Pandemie gemerkt haben, dass der persönliche Kontakt zu den Kindern und ihren Familien wichtig ist. Schule muss mehr sein als Wissensvermittlung.
Caritas: Das Ende der Einschränkungen scheint in Sicht. Was empfehlen Sie auf dem Weg in die Normalität?
Purschke: Da fließen Milliarden, um Wissens- und Leistungsdefizite aufzufangen. Wir brauchen aber keinen wachsenden Leistungsdruck, sondern Investitionen ins Soziale. Wir sollten die Kinder, die Jugendlichen und ihre Familien ernsthaft fragen, wie es ihnen geht. Die Rückkehr ins Klassenzimmer muss emotional aufgefangen werden. Vielleicht ist eine Woche im Landschulheim wertvoller, damit die Kinder wieder miteinander warm werden und sich austauschen können. Stattdessen nehme ich den Druck der Lehrer wahr, schnell noch Noten machen zu müssen und Rückstände aufarbeiten zu wollen.
Caritas: Und jenseits der Schule?
Purschke: Vereine und Gruppenstunden sind so wichtig. Das bekommen wir in der Beratung immer wieder mit. Ich empfehle, nicht nur zu öffnen und abzuwarten, sondern ganz aktiv und engagiert auf die Kinder und Jugendlichen zuzugehen. In der Lethargie meinen viele, sie bräuchten jetzt gar keine Gruppen und Kreise mehr. Aber das ist ein Irrtum. Auch die Eltern sollten hinschauen, dass es weitergeht bei den Ministranten, den Pfadfindern und anderen kirchlichen Jugendgruppen. Das sind doch die Orte, an denen das gute Miteinander eingeübt und gelebt wird, wo es mal nicht um Leistung, Leistung, Leistung geht, sondern ums Menschsein. Für die Kirche und ihr Plädoyer für ein christliches Menschenbild ist das eine unglaubliche Chance.
Caritas: Und wenn es Probleme gibt, ist die Erziehungsberatung der Caritas da?
Purschke: Selbstverständlich. In Aschaffenburg ist es die Beratungsstelle der Caritas, anderenorts die des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) oder die Diakonie. Jede dritte Familie im Raum Aschaffenburg hatte oder hat Kontakt mit uns. Wir beraten und begleiten und sind froh, dass das gar nichts Ungewöhnliches mehr an sich hat. Die Empfehlung verbreitet sich über Mundpropaganda. Etwas Besseres kann einer Beratungsstelle gar nicht passieren. Und bei allen Problemen und Herausforderungen gehört für uns die positive und menschenfreundliche Grundstimmung immer dazu, eine Zuversicht, die sicherlich auch aus dem Glauben erwachsen kann.
Interview: Sebastian Schoknecht (Caritas)
(2421/0562; E-Mail voraus)
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