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Reportage

Kunst für Blinde

Würzburger Museum am Dom bietet Inklusionsführung an – Besucher dürfen Skulpturen ertasten – Weihnachtsführung am 19. Dezember

Würzburg (POW) „Ist das das Bein?“, fragt Helga Frey und tastet mit den Fingern den Oberschenkel von Jesus ab. Frey steht vor dem Gipsabguss der Pietà Rondanini von Michelangelo im Würzburger Museum am Dom und fährt mit ihren Händen an der Skulptur entlang. Ein ungewohnter Anblick in einem Kunstmuseum. Dort ist es eigentlich streng verboten, die Kunstwerke zu berühren. Die Museumspädagogin Dr. Yvonne Lemke beantwortet die Frage mit einem Ja und möchte wissen, was Frey spüren könne. „Das fühlt sich wie ein echtes Bein an. Ich kann sogar die Muskeln spüren und hier ist die Kniescheibe, ganz real“, beschreibt Frey. Sie ist sehbehindert und nimmt an einer Inklusionsführung durch die Kunstausstellung teil. Bereits zum dritten Mal betrachtet sie die verschiedenen Werke. Und das, obwohl sie nur noch zwischen Dunkel und Hell unterscheidet.

„In jeder Führung ist etwas zum Anfassen dabei“, erklärt Lemke. Wenn das bei einem Originalstück mal nicht möglich sei, dann habe das Museum 3-D-Drucke davon. So können die Besucher, insbesondere die Sehbehinderten, das Museumsstück trotzdem in die Hand nehmen und erkunden. „Skulptur oder Gemälde, das ist eigentlich egal, denn beides ist sehr interessant“, sagt Dolores Hartmann-Krstic. Dennoch sei es eindrucksvoller, wenn man aktiv werden und etwas anfassen darf. Sowohl Hartmann-Krstic als auch Frey sind nicht von Geburt an blind. Deshalb wissen sie, wie Farben aussehen. Während Frey nur noch Hell von Dunkel unterscheiden kann, ist Hartmann-Krstic auf einem Auge blind. Auf dem anderen Auge sieht sie nur noch mit acht Prozent der normalen Sehkraft.

Die kleine Gruppe geht weiter zu einem Gemälde von Dieter Krieg, das keinen Titel trägt. „Die Leinwand ist zwei Meter und 70 Zentimeter hoch und etwas mehr als zwei Meter breit“, sagt Lemke. „Mit groben dicken Pinselstrichen hat der Künstler ein Kreuz gezeichnet, auf dessen Querbalken das Wort Sohn draufsteht.“ Ihrer Meinung nach sei das Spannende am Werk, dass es auf das Wesentliche reduziert ist, „auf das Kreuz und den Sohn, den Sohn Gottes“. Die vierte Frau in der Runde ist Museumspädagogin Katja Kraus. Sie hat keine Sehbeeinträchtigung, findet es aber spannend, dass man genau nachvollziehen könne, wie das Bild entstanden ist. „Anscheinend wurde zuerst der Längsbalken gemalt, dann der Querbalken.“ Frey und Hartmann-Krstic lauschen den Beschreibungen von Lemke und Kraus und wenden ihr Gesicht ab und zu dem Gemälde zu. „Also für mich ist das kein Bild, das mich besänftigt, es wühlt eher auf“, schildert Frey ihren Eindruck.

Bei Gemälden sei es wichtig, den Sehbehinderten eine Vorstellung von der Größe zu vermitteln, erklärt Lemke. „Damit sie wissen, vor was sie da eigentlich sitzen.“ Dann beginnt die Beschreibung, was zu sehen ist und was im Mittelpunkt steht. „Man beschreibt das immer vom Großen zum Kleinen, also bis ins Detail.“ Faszinierend findet sie im Anschluss die Interpretation, die sich aus dem Gespräch heraus ergebe. „Jeder hat eine andere Interpretation und bringt da vielleicht auch seine eigene Lebensgeschichte mit ein.“

Um eine Führung für Blinde oder Sehbehinderte zu machen, müsse man sich besonders auf die Besucher einlassen. „Bei Sehenden würde ich fragen, was sie auf dem Bild sehen. Aber bei Blinden oder Sehbehinderten muss man eigentlich fast jeden Pinselstrich erläutern“, sagt Lemke. Aus diesem Grund geht Lemke meist nur auf drei Werke aus dem Museum ein. „Da es bei uns ja so viel zu entdecken gibt und wir so viel Material haben, hab ich mir gedacht, dass wir jedes Mal etwas anderes machen.“

Alle zwei Monate bietet Lemke eine öffentliche Inklusionsführung durch das Museum an. Die Führung richtet sich sowohl an blinde und sehbehinderte Menschen als auch an alle, die Kunst einmal anders erfahren wollen. Die nächste Führung widmet sich dem Thema Weihnachten und findet am Mittwoch, 19. Dezember, um 15 Uhr statt. Die Teilnahme kostet pro Person zwei Euro zuzüglich zum Museumseintritt. Begleitpersonen haben freien Eintritt. Eine Anmeldung ist nicht nötig.

Rebecca Hornung (POW)

(5118/1326; E-Mail voraus)

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