Würzburg (POW) Für Sehende ist das Gemälde „Anbetung der Könige“ im Würzburger Museum am Dom ein Blickfang: Knallfarbene Figuren sind vor einem schwarzen Hintergrund gruppiert, die Personen und Gegenstände durch Plastiktüten verfremdet. Doch wie lassen sich Gemälde und Skulpturen beispielsweise für blinde und sehbehinderte Menschen verständlich machen? Etwa durch detailgetreue Miniaturausgaben, durch unterschiedliche Materialien zum Fühlen und Riechen, und manchmal auch durch Musik. Je nach Ausstellung seien bis zu einem Dutzend Kunstwerke auf unterschiedliche Arten für Menschen mit Handicap erschlossen, schätzt Museumspädagogin Dr. Yvonne Lemke und erklärt: „Wir wollen ein Museum für alle sein.“
Speziell für Blinde und Sehbehinderte bietet das Museum am Dom viel „Kunst zum Anfassen“. Lemke greift in eine Kiste und holt ein halbes Dutzend gut 30 Zentimeter langer Figuren heraus. Sie haben die gleichen Umrisse wie jene im Gemälde „Anbetung der Könige“. Das Sperrholz ist mit unterschiedlich strukturierten Oberflächen beklebt, zum Beispiel weichem Filz oder körniger Raufasertapete. Sie stehen für die unterschiedlichen Farben. Die Köpfe der Figuren sind mit Plastiktütchen verhüllt, genau wie beim Original. „Die Besucher können die Figuren ertasten und vor dem Kunstwerk anordnen. Das funktioniert wirklich gut“, erklärt Lemke. Stellvertretend für die Gaben der heiligen drei Könige gibt es zudem drei Kästchen mit Weihrauch, Myrrhe und „Goldklümpchen“. „Es ist uns wichtig, dass alle Sinne angesprochen werden, also auch Schmecken, Riechen und Fühlen.“
Besonders deutlich wird das beim „Großen Globus“ von Thomas Virnich. Wenn man das Museum betritt, stolpert man förmlich über die aus Holz, Seide, Pappe, Landkarten und Draht gemachte bunte Erdkugel. Zum Anfassen ist sie zu empfindlich. Dafür hat das Museumsteam ein Spiel entworfen. Auf einer großen Weltkarte können Kinder Fotos von Tieren den richtigen Kontinenten zuordnen, an Döschen mit heimischen und exotischen Gewürzen schnuppern oder erraten, aus welchem Land die mitreißende Trommelmusik kommt. „Das hat den Zugang zu diesem Kunstwerk erleichtert“, sagt Lemke. Sie habe auch schon mal Obst und Gemüse ins Museum gebracht, um für Kinder das „Abendmahl“ von Michael Triegel erlebbar zu machen. Denn über der einzelnen Figur, die allein an der langen Tafel sitzt, hängt eine Girlande aus Früchten. „Wir wollten aus einem zweidimensionalen Gemälde etwas Dreidimensionales machen.“
Es gebe unzählige Möglichkeiten, Kunstwerke für alle zugänglich zu machen, erklärt Lemke. Die gut zwei Meter hohe Sandsteinskulptur des heiligen Jakobus von Tilman Riemenschneider etwa gibt es auch als Miniaturausgabe zum Anfassen, erstellt auf einem 3D-Drucker. Im Fundus des Museums finden sich Jakobsmuscheln und Lahnmarmor, wie ihn Albert Schilling für seine Skulpturen verwendete. Wer eines der faustgroßen Marmorstücke in die Hand nimmt, bekommt einen guten Eindruck davon, wie schwer selbst eine kleine Plastik sein muss. Die Werke Schillings dürfen übrigens angefasst werden, sagt Lemke. Hierzu bekommt der Besucher einen hauchdünnen Spezialhandschuh, der den Tastsinn aber nicht beeinträchtigt.
Von den Angeboten profitieren nicht nur Kinder und Erwachsene mit einem Handicap, ist Lemke überzeugt. „Sie eröffnen neue Zugänge zu den Kunstwerken.“ Wenn die Kinder beim „Großen Globus“ mit Feuereifer Tiere zuordnen und Musik hören, stecken sie mit ihrer Begeisterung auch ihre Eltern an, hat die Museumspädagogin beobachtet. Und von einer Führung in leichter Sprache profitieren nicht nur Menschen mit Lernschwierigkeiten, sondern auch alle mit geringen Deutschkenntnissen – ob Migrant oder ausländischer Tourist.
Alle inklusiven Angebote wurden zusammen mit Experten entwickelt, betont Lemke. Die Materialien für die „Anbetung der Könige“ etwa wurden von Studenten der Museologie und der Sonderpädagogik der Universität Würzburg in Zusammenarbeit mit Schülern der Würzburger Graf-zu-Bentheim-Schule entworfen. Die Kinder hätten auch die Kunstwerke ausgesucht, mit denen sich die Studenten beschäftigen sollten, erzählt Lemke. Getestet wurde die daraus entstandene Führung von einer Klasse, in der Kinder mit und ohne Sehbehinderung sowie lernbehinderte Schüler zusammen unterrichtet werden. „Das hat sehr gut geklappt“, sagte Lemke. Unterstützt werde das Museum zudem von Volker Tesar, Leiter der Bezirksgruppe Unterfranken-Würzburg des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbunds (BBSB).
Derzeit läuft ein Projekt mit der Würzburger Wichern-Schule im Rahmen der Sonderausstellung „Die blaue Krone“ von Cäsar W. Radetzky. 20 Kinder im Alter von zehn bis 15 Jahren befassen sich mit dem 14-teiligen Kreuzweg und setzen ihn in eigenen Kunstwerken um – etwa als Gemälde, Plakat, Zeichnung oder Fotoinstallation. „Sie deuten den Kreuzweg auf ihr eigenes Leben um“, erklärt Lemke. Die fertigen Kunstwerke sollen ab 21. Juni im Museum am Dom zu sehen sein. Bereits zur Sonderausstellung „Silvia Hatzl. Die zweite Haut“ im Jahr 2012 hatten Schüler der Wichern-Schule eine eigene, vielbeachtete Ausstellung gestaltet. Zu sehen waren unter anderem Kleider aus Orangenscheiben, aus bunten Papierwürfeln oder Plastiktüten. Sie könne solche Projekte nur empfehlen, sagt Lemke. „Dabei kommen so interessante und spannende Sachen heraus. Sie eröffnen auch mir neue Wege zu den Kunstwerken.“
Inklusionsführungen können vereinbart werden bei: Museum am Dom, Kiliansplatz 1, 97070 Würzburg, Telefon 0931/38665600. Der Link www.museum-am-dom.de/blinde-im-museum.mp3 führt zu einem gesprochenen Text auf der Homepage des Museums. Blindenhunde dürfen mitgebracht werden.
sti (POW)
(1718/0411; E-Mail voraus)
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