„Denkt an eure Vorsteher, die euch das Wort Gottes verkündet haben; schaut auf das Ende ihres Lebens, und ahmt ihren Glauben nach“ (Heb 13,7). Wenn wir in Würzburg diesem apostolischen Appell folgen, dann rückt Bischof Josef Stangl in unserem Blick. 27 Jahre hat er als Priester in der Diözese gewirkt, 21 Jahre war er ihr Oberhirte. Als Priester wie als Bischof war er ein Hirte nach dem Herzen Gottes. „Er war ein brüderlicher Bischof,“ schrieb die Führung des Bundes der Katholischen Jugend, mit der er neun Jahre als Jugendbischof für Deutschland zusammengearbeitet hat. Glaubwürdig und liebenswürdig hat Bischof Josef „die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes“ (Tit 3,4) bezeugt. Ungezählten hat er das Wort Gottes verkündet. Ungezählten hat er auch nach seinem Tod Wichtiges zu sagen. Gott ruft uns auf, im Gedenken an unsere Vorsteher ihren Glauben nachzuahmen. Deshalb muss es uns um mehr als um eine dankbare Erinnerung gehen; es geht darum, die Glaubenshilfen anzunehmen, die wir dem Heimgerufenen verdanken.
Glaubenshilfen
Als erstes sagt er uns: Lebt ganz aus Christus, mit ihm und in ihm.
Auf seine Weise hat er das bereits seinen Mitbrüdern im Priesterseminar ans Herz gelegt. Als Präfekt seines Kurses sagte er ihnen: „Wir müssen zu Gott, der Quelle des wahren Lebens kommen, um, wie die Rebe ganz aus dem Weinstock lebt, ganz aus Christus … heraus zu leben.“ Genau das hat er zeitlebens weitergegeben. Wie er selber ganz aus Christus leben wollte, so wollte er andere zu ihm hinführen, damit sie alle das Glück der Christusgemeinschaft erfahren sollten. Im Glauben wusste Josef Stangl, dass die Verheißungen des Propheten Jesaja in Jesus Christus erfüllt sind: Er ist nicht nur unser menschlicher Bruder, er ist „der starke Gott, der Vater in Ewigkeit, der Fürst des Friedens. Seine Herrschaft ist groß, und der Friede hat kein Ende“ (Jes 9,5 f.). Er ist derselbe „gestern, heute und in Ewigkeit“ (Hebr. 13,8). Als Bischof Josef aus Krankheitsgründen sein Amt niederlegte, schrieb er in seinem Abschiedsbrief: „21 Jahre war ich euer Bischof als „Diener Christi und Verwalter der Geheimnisse Gottes“ (1 Kor 4,1), als „Mitbruder und Zeuge der Leiden Christi“ (1 Petr 5,1).“ Diese Worte kennzeichnen ihn und seine Weise der Nachfolge Christi. Wie Christus wollte er Diener aller sein; wie er war er bereit, das ihm zugewiesene Kreuz auf sich zu nehmen.
In seiner ersten Silvesterpredigt nach seiner Bischofsweihe griff Bischof Josef das Wort des Hebräerbriefes auf, das wir eben gehört haben: „Jesus Christus, derselbe gestern, heute und in Ewigkeit“ (Hebr 13,8). Er schloss das Wort Johannes des Täufers an: „Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt“ (Joh 1, 26). Die ganze Predigt zielte darauf ab, den, der mitten unter uns ist, bewusst zur Mitte des Lebens zu machen. Seine konkrete Wegweisung zur Mitte ist auch heute noch aktuell. Bischof Josef stellte heraus: Jesus steht in unserer Mitte im Gotteswort der Bibel, in der heiligen Eucharistie und in der Gestalt der Kirche.
Das führt uns zu einer weiteren Glaubenshilfe: Zusammen mit dem Aufruf: „Lebt ganz aus Christus, mit ihm und in ihm“ sagt uns Bischof Josef: Lebt ganz für das ganze Gottesvolk. Für Josef Stangl ist klar: „Wer zu Christus Ja sagt, muss auch Ja sagen zur einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche.“ Er hat sie gegründet; er ist ihr Haupt, sie ist sein Leib. Er lebt in ihr, er wirkt in ihr. Er will auch durch sie wirken, durch alle ihre Glieder. Bischof Josef hat sich besonders dafür eingesetzt, dass die Laien ihre Verantwortung erkennen und wahrnehmen. In seinem Vorschlag für die Themen des Konzils, den er offiziell einbrachte, hat er sich dafür ausgesprochen, das Recht und die Rolle der Laien in der Kirche zu behandeln. Die entsprechenden Beschlüsse des Konzils hat er in unserer Diözese tatkräftig umgesetzt. Pfarrgemeinderäte, Dekanatsausschüsse und der Diözesanrat wurden ins Leben gerufen. Zu den zahlreichen ehrenamtlichen Kräften kamen neue, hauptamtliche Helferinnen und Helfer. Das gehörte zu der Erneuerung, der sich Bischof Josef verpflichtet wusste. Auf sie zielte sein Wahlspruch. Wie Johannes der Täufer dem Herrn den Weg bereitet hat, so wollte er das Volk für den Herrn bereit machen, „dem Herrn ein bereites Volk“ zuführen. Alle sollten dabei mithelfen. „Jeder von uns ist Glied an seinem Leib, alle Glieder gehören zusammen und dienen dem Ganzen.“ „Jeder muss den Dienst aufnehmen, zu dem er gerufen ist. Alle müssen ihren Dienst gemeinsam leisten.“ Seiner Verantwortung bewusst nahm Bischof Josef intensiv am Konzil und an der Würzburger Synode teil; intensiv setzte er sich für die Verwirklichung ihrer Beschlüsse ein. Dazu gehört auch sein Engagement für die Ökumene. Wie das Konzil weist er auf die Einheit hin, die uns trotz aller Trennungen miteinander verbindet. Nachdrücklich betont er: „Wir haben unseren Erlöser Jesus Christus als große Mitte in unserem Leben“. In seinem Abschiedsschreiben verknüpft er mit dem Ja zur gegebenen Einheit den Auftrag zum gemeinsamen Zeugnis: „Die Gemeinsamkeit des Evangeliums verbindet uns zu gemeinsamen Aufgaben und zum gemeinsamen Einstehen für die christlichen und menschlichen Grundwerte und zum Zeugnis für Jesus Christus, unseren Herrn und Gott.“ Als Nationalpräsident der Catholica Unio wusste sich Bischof Josef besonders den orthodoxen Schwesterkirchen verpflichtet. Mit dem Nationalsekretär Pater Alfons Maria Mittnacht gehörte er viele Jahre lang zur Ökumenekommission der Deutschen Bischofskonferenz. In dieser wurden und werden auch die Aufgaben behandelt, die sich im Blick auf das Judentum stellen.
Das lässt uns dankbar an das Votum denken, mit dem sich Bischof Josef während des Konzils in einer kritischen Phase für ein klares Wort über das christlich-jüdisches Verhältnis eingesetzt hat. Geradezu beschwörend sagte er seinen Mitbrüdern: „In dieser Entscheidungsstunde des Konzils gilt: Nicht Diplomatie, nicht Taktik, nicht allzu große pastorale Klugheit, sondern Gerechtigkeit auf dem geraden Weg, „die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh 8,32). Ein Jahr vor seinem Tod wies er in einer Ansprache darauf hin, dass Christen und Juden miteinander aufgerufen sind, der unheilvollen Trennung von Gott und Welt entgegenzuwirken. Wörtlich erklärte er: „Juden und Christen verstehen sich beide als Zeugen eines Gottes, von dem her keine Kluft zu dieser Welt hin besteht.“ Das verpflichtet uns alle miteinander zum Einsatz für die Welt, für die Gerechtigkeit in ihr und vor allem für den Frieden.
Die letzten Worte
Zum apostolischen Appell, der unser Gedenken bestimmt hat, gehören die Worte: „Schaut auf das Ende ihres Lebens“ (Hebr 13,7). Diejenigen, die dieses Ende unmittelbar erlebt haben, berichten uns, dass zu diesem zwei Sätze gehörten. Bischof Josef hat sie mehrfach wiederholt, als ihm das Sprechen bereits sehr schwer wurde. Diese Sätze lauten: „Wir wollen unablässig beten“ und: „Wir wollen auf jeden Fall unsere Würde bewahren.“ Was immer der Todkranke sich dabei gedacht hat, er gibt uns mit diesen Worten einen letzten Glaubens- und Lebensimpuls. Er ruft uns zu: „Betet ohne Unterlass! Bewahrt eure Würde! In unserer Zeit ist die Würde des Menschen vielfach bedroht. Bewahrt eure Menschenwürde! Bewahrt eure Christenwürde! Bewahrt eure Würde als Kinder Gottes und Geschwister Christi! Lebt ganz aus Christus, mit ihm und in ihm! Lebt ganz für das ganze Gottesvolk! Lebt so zur Ehre Gottes und zum Heil der Welt!“ Amen.
(3907/1321)