Würzburg/Obernburg/Köln (POW) Albin Krämer (50) ist seit 2004 Bundespräses der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) in Köln. Im Oktober 2007 wurde er mit großer Mehrheit für weitere vier Jahre wiedergewählt. Krämer wurde in Aschaffenburg geboren und stammt aus Obernburg. Mehrere Jahre war er Diözesanpräses der KAB und Leiter der Betriebsseelsorge im Bistum Würzburg sowie Pfarrer von Ober- und Unterleinach. Im Interview, das in Würzburg geführt wurde, spricht er über den Schutz des Sonntags, die Ziele der KAB und über die Einflussnahme in der Politik.
POW: Was bedeutet für Sie persönlich die Wiederwahl zum KAB-Bundespräses?
Albin Krämer: Ich freue mich, dass ich das Vertrauen des Verbandes für weitere vier Jahren bekommen habe. 88 Prozent der 200 Delegierten haben mir ihre Stimme gegeben. Das ist eine Anerkennung sowohl für meine Arbeit als auch für meine Person. Ich freue mich auch über das Vertrauen, das Bischof Dr. Friedhelm Hofmann und die Deutsche Bischofskonferenz mir gegeben haben. Wofür ich ebenso dankbar bin: Ich habe in den vergangenen vier Jahren an vielen Orten in Deutschland und teilweise auch darüber hinaus Frauen und Männer kennen gelernt, die sich jeweils vor Ort der sozialen Frage stellen und mit ihren Möglichkeiten aus dem Geist des Evangeliums Antworten suchen. Ich möchte auch in den nächsten vier Jahren Frauen und Männern Mut machen, sich weiter zu engagieren und sich zu vernetzen. Als Verband müssen wir Stimme der Arbeitnehmerschaft in der Kirche und gleichzeitig Stimme der Kirche in der Arbeitswelt sein und die Ideen und Aussagen der katholischen Soziallehre und des Evangeliums mit in die Gestaltung der Gesellschaft hineintragen.
POW: Konnten Sie im Bistum Würzburg etwas lernen, das Ihnen nun in Köln weiterhilft?
Krämer: Auf alle Fälle! Ich war hier im Bistum sieben Jahre Diözesanpräses der KAB und Leiter der Betriebsseelsorge, von daher war ich mit der Arbeit und den Fragestellungen vertraut. Ich war vorher auch Diözesankurat der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg, diese Seite der Jugendarbeit hat mich sehr geprägt. Außerdem war ich 16 Jahre Pfarrer in Ober- und Unterleinach. Die Arbeit in der Gemeinde mit den Menschen: das bringt mir sehr viel bei den Überlegungen auf Bundesebene. Diese 16 Jahre in einer Pfarrgemeinde im fränkischen Land, das ist schon eine sehr wertvolle Erfahrung gewesen.
POW: Die KAB setzt sich seit vielen Jahren bundesweit für den Schutz des Sonntags ein. Warum ist der Sonntagsschutz so wichtig?
Krämer: Der Sonntag ist geschützt seit dem 3. März 321. Da hat Kaiser Konstantin ein Gesetz zum Schutz des Sonntags erlassen. Der Rhythmus, den der Sonntag unserem Leben gibt, ist schon über 5000 Jahre alt – denn fällt der Sonntag weg, gibt es ja keine Woche mehr, nur noch Monate. Wenn wir das jetzt aufgeben, greifen wir das an, was unsere Kultur ausmacht: nämlich gemeinsame Freizeiten, gemeinsame Zeiten des Feierns, des Aufatmens, der Kultur und des Kultes, auch der Religion. Wo wir diese gemeinsamen Zeiten nicht mehr haben, geben wir im Letzten unsere Gesellschaft auf. Wir reduzieren den Menschen auf seine Rolle als Verbraucher, auf seine Rolle als Konsument und vergessen, dass der Sonntag Tag der Schöpfung ist und nicht der Wertschöpfung; und dass der Sonntag der Tag des Herrn und nicht der Tag des Hertie ist.
POW: Haben Sie denn Verständnis für kleine Lockerungen – wenn man zum Beispiel mal im Herbst einen Sonntag öffnet? Oder sagt die KAB auch da: Sonntag muss Ruhetag sein?
Krämer: Das sind Versuche, den Damm zu brechen. Die KAB bleibt da wirklich in der klaren Linie. Und wir sind ja nicht allein: Die neue Allianz für den Sonntag wird von den Gewerkschaften mitgetragen. Es gibt in Bayern inzwischen 16 Allianzen für den freien Sonntag, um einfach auch vor Ort darauf zu achten, dass der Sonntag geschützt wird.
POW: Ist der Damm denn nicht schon längst gebrochen?
Krämer: Es wird natürlich versucht, immer mehr Risse hineinzubringen. Manchmal habe ich schon den Eindruck, dass die KAB mit zu den Letzten gehört, die diesen Damm verteidigen. Ich würde mir da auch von den Bischöfen ein größeres Engagement wünschen. Wir begrüßen sehr, dass in Berlin-Brandenburg beide Kirchen gegen den verkaufsoffenen Sonntag geklagt haben. Dank der Allianz für den freien Sonntag merken wir, dass immer mehr Menschen sich dafür stark machen. Es beginnt wieder ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür zu wachsen, was wir mit dem Sonntag aufgeben.
POW: Geschäftsöffnungen an Sonntagen werden in vielen Kommunen auch von Christen und christlichen Ratsfraktionen wie der CDU/CSU geduldet oder befürwortet. Wie geht die KAB damit um?
Krämer: Wir versuchen immer wieder mit den Politikern ins Gespräch zu kommen, besonders auch unsere Gruppen vor Ort. Und je mehr die Politiker vor Ort angefragt werden, desto weniger sind sie dann auch bereit, den Sonntag freizugeben. Wir brauchen eine Lobby, auch von den Leuten, die für den Sonntag kämpfen. Die Lobby der Wirtschaft ist groß genug.
POW: Manager füllen sich die Taschen, während Familien um die Grundversorgung kämpfen. Was meinen Sie – wandelt sich der deutsche Sozialstaat immer mehr zur Zweiklassengesellschaft?
Krämer: Ja, das spüren wir immer stärker, wenn wir uns die Zahlen anschauen: 650.000 unserer Mitbürger – so die neueste Zahl – sind in Vollzeitarbeit und können dennoch von ihrem Einkommen nicht leben, das heißt sie sind auf ergänzende Sozialhilfe angewiesen. Es gibt eine andere Statistik, wonach jedes sechste Kind in Deutschland in Armut lebt. Wenn gerade im Niedriglohnsektor Kinder in Armut sind, dann müssen bei uns alle Alarmglocken schellen. Die Politik redet vom Aufschwung, aber der kommt nun mal nicht bei allen an.
POW: Welche Möglichkeiten hat denn da die KAB, in der Politik Einfluss zu nehmen?
Krämer: Die KAB tritt ein für den Mindestlohn. Wir wollen, dass alle Menschen gut leben können. Jeder soll ein Einkommen haben, mit dem er auskommen kann. Weiter kämpfen wir für eine vernünftige Alterssicherung. Das KAB-Modell der solidarischen Alterssicherung ist ja inzwischen nicht nur KAB-Modell, sondern auch das Modell der katholischen Verbände. Eine Untersuchung des Ifo-Instituts München hat bestätigt, dass das der richtige Weg ist. Uns geht es darum, die Leute vor Altersarmut zu bewahren. Alle die Menschen, die heute im Niedriglohnsektor tätig sind, rutschen aber genau da hinein. 20 Staaten in Europa haben bereits den Mindestlohn. Warum sich die Politik so schwer damit tut, ist nicht nachzuvollziehen.
POW: Waren Sie in dieser Frage von der Kanzlerin enttäuscht, haben Sie gegen Ihre Entscheidung protestiert?
Krämer: Es gibt entsprechende Pressemitteilungen von uns. Wir hatten im vergangenen Jahr ein Gespräch mit der Kanzlerin, wo es vor allem um die Frage des Rentenmodells ging und auch um den Mindestlohn. Da wurde ganz klar, dass es unterschiedliche Vorstellungen gibt. Aber wir sind mit der Politik weiter im Gespräch. Und die Stärke eines Verbandes, auf die Politik Einfluss zu nehmen, ist nicht nur die Bundesebene. Die Stärke der KAB sind die 2900 Gruppen vor Ort, die die Politiker auf die brennenden Themen aufmerksam machen. Wir haben das beim Rentenmodell gemerkt. Zu dem Thema haben bei uns viele Abgeordnete in der Bundesstelle angerufen und gesagt: Schickt uns bitte nähere Informationen. Das heißt: Die Lobbyarbeit von unten ist für einen Verband ganz entscheidend. Dann kann er auch bei Gesprächen auf Bundesebene mit den Abgeordneten ganz anderes Gehör finden. Diese zwei Standbeine – die Arbeit vor Ort und auf Bundesebene – bringen etwas in Bewegung.
POW: Sie haben selbst einmal die Kraft der Visionen betont – welche Vision haben Sie von einem Deutschland der Zukunft?
Krämer: Ein Volk ohne Visionen geht zugrunde, so steht es in der Bibel. Die Vision der KAB ist eine Tätigkeitsgesellschaft. Wir brauchen einen neuen Begriff von Arbeit. Arbeit ist nicht nur Erwerbsarbeit, sondern der ganze Pflege- und Sozialbereich muss als Arbeit gesehen werden. Wir sprechen von der sogenannten Triade der Arbeit. In dieser Vision sitzen wir alle – bildlich gesprochen – an einem großen Familientisch, an dem alle Platz haben, an dem alle teilhaben können und nicht nur von den Brotkrumen leben dürfen. Es gibt in der modernen Arbeitswelt nicht so viel Erwerbsarbeit, dass alle mit 40 Stunden die Woche daran teilhaben können. Deswegen müssen wir sehen, wie wir die Arbeit in Zukunft verteilen. Und da haben wir mit der Tätigkeitsgesellschaft, der Triade der Arbeit ein gutes Konzept und auch eine gute Vision, an der wir Stück für Stück arbeiten.
POW: Was wünschen Sie der deutschen Gesellschaft für das Jahr 2008?
Krämer: Den Blick dafür, dass das Soziale und das Menschliche nicht nach den Gesetzen des Marktes gestaltet werden dürfen; die Kraft der Hoffnung, dass Gottes Verheißungen von einem Leben in Fülle auch uns heute gelten; Gottes Geist und Kreativität für die nötigen Schritte.
(0108/0016; E-Mail voraus)
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