Würzburg (POW) Dass er einmal dahin kommen würde, wo die schweren Jungs einsitzen, hätte Christoph K. (Name geändert) nie gedacht. Doch da ist er nun. Noch immer drei Wochen. Fast fünf Jahre war der 50-Jährige in Haft. „Ich werde ihn Ende August an der Torwache abholen“, sagt Stephan Hohnerlein, der die Zentrale Beratungsstelle für Strafentlassene der ökumenischen Christophorus-Gesellschaft seit einem Jahr leitet. Regelmäßig begibt sich der Sozialpädagoge in die JVA, um Gefangene vor ihrer Entlassung zu beraten, teilt die Christophorus-Gesellschaft.
Auch Christoph K. traf Hohnerlein mehrere Male. Dem Gefangenen geht es gar nicht gut. Sein Selbstbewusstsein ist massiv angeschlagen. Christoph K. hat regelrecht Angst vor der Freiheit. So viel hat sich verändert, seit er im „Bau“ sitzt. Hier hat er die Coronakrise kommen und gehen sehen. Hier hat er den Ausbruch des Ukrainekriegs miterlebt. Hier bekommt er mit, dass „draußen“ alles immer teurer wird. Wie soll er mit all den Veränderungen nach so langer Zeit klarkommen?
Menschen, die aus dem Gefängnis entlassen werden, haben oft ein ganzes Bündel von Problemen zu bewältigen. Viele stecken tief in Schulden. Viele haben keinen Job mehr. „Das größte Problem ist, dass die Männer nicht wissen, wo sie hinsollen“, sagt Stephan Hohnerlein. Die meisten scheuten den Einzug in eine Obdachlosenunterkunft. Christoph K. bleibt dieses Schicksal erspart: „Wir können ihn in unser ambulant Betreutes Wohnen aufnehmen.“ Insgesamt zehn Wohnungen hat der Sozialarbeiter für straffällig gewordene Männer nach der Haftentlassung zur Verfügung.
„Es ist das Beste, wenn Männer, die keine Wohnung haben, nach der Entlassung direkt zu uns kommen, aber leider lassen sich Umwege über eine Obdachlosenunterkunft nicht immer vermeiden“, bedauert Hohnerlein. Selbst das ambulant betreute Wohnen gebe jedoch keine Gewähr, dass es mit der Resozialisierung reibungslos klappt. Nicht selten scheiterten die Männer trotz festen Willens, künftig ein straffreies Leben zu führen. Das hänge in erster Linie mit der Wohnungskrise zusammen.
Hohnerlein darf die von ihm aufgenommenen Haftentlassenen offiziell nur ein Jahr lang ambulant betreuen. Viele könnten nach einem Jahr auch wieder selbstständig leben: „Sie haben die Vergangenheit hinter sich gelassen, stehen nun aber vor dem großen Problem, dass sie keine Wohnung finden.“ Das Problem bestehe schon lange und werde immer akuter: „Der niedrigpreisige Wohnungsmarkt ist sehr hart umkämpft, immer mehr Leute drängen auf ihn.“ Das setze die Männer aus dem ambulant betreuten Wohnen immens unter Druck. Spätestens ein halbes Jahr nach dem Einzug wachse die Anspannung spürbar.
Es brauche kein kriminologisches Gespür, um bei einigen Männern vorauszusagen, dass sie es aufgrund der vielfältigen Schwierigkeiten kaum schaffen werden, straffrei zu bleiben, und dass sie wieder hinter Gittern landen. „Einer unserer Klienten hat inzwischen 30 Wohnungen besichtigt, nie ist es etwas geworden“, sagt Hohnerlein. Dabei ist der Mann fest bei einem Arbeitgeber angestellt. Er hat die Probezeit überstanden. Sein Chef sei zufrieden mit ihm. Er werde die Stelle sicher behalten und könnte die Miete locker bezahlen. Doch keiner wolle ihn. „Solche Erfahrungen sind äußerst kontraproduktiv für die Resozialisierung“, betont der Leiter der Zentralen Beratungsstelle für Strafentlassene.
Christoph K. hat diese Erfahrung noch vor sich. Im Augenblick ist er nur froh, zu wissen, dass er in einem Monat eigene vier Wände hat. Dass er sich zurückziehen kann. Dass er einen Platz hat, wo er darüber nachdenken kann, wie er sein neues Leben gestalten möchte. Zu wissen, dass es für ihn dank Hohnerlein einen Ort geben wird, wo er entspannen kann und wo er sich sicher fühlen wird, erleichtert ihn über die Maßen.
Christopher K. habe anderen Schlimmes angetan. Wobei es möglicherweise noch schlimmer gewesen sei, was er sich selbst damit angetan habe. „Sein altes Leben ist komplett futsch“, sagt Hohnerlein. Nun habe Christoph K. den festen Willen, sich ein neues Leben aufzubauen. Stunden über Stunden habe er in seiner Zelle über sich und sein bisheriges Leben nachgedacht. Bitter bereue er, was er getan hatte.
So schwierig Christoph K.s Lebensumstände auch sind: Er gehört keineswegs zu den kompliziertesten von Hohnerleins Klienten. „Immer mehr unserer Klienten haben massive psychische Probleme“, schildert der Sozialarbeiter. Sie leiden nicht nur an Depressionen. Sondern zum Beispiel an ausgeprägten Verhaltensstörungen wie Borderline. Oder auch an ADHS. „Wegen der Schwere der psychischen Erkrankungen kommen auch wir immer öfter an unsere Grenzen“, sagt der Sozialarbeiter. Die Männer bräuchten dringend psychotherapeutische Hilfe. Doch die Praxen sind bekanntlich überlaufen: „Wir bemühen uns dann, die Männer an sozialpsychiatrische Dienste sowie weitere Fachstellen anzubinden.“
Insgesamt 200 Männer wurden im vergangenen Jahr vom Team der Zentralen Beratungsstelle für Strafentlassene unterstützt. Pro Klient fanden durchschnittlich sieben Beratungsgespräche statt. 62 Männer wurden 2022 bereits mehrere Wochen vor ihrer Haftentlassung beraten. 17 konnten im Betreuten Wohnen aufgenommen werden. Übrigens kann man sich auch via Internet an Hohnerlein wenden: „Vergangenes Jahr kam es zu 75 Online-Kontakten.“
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