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„Man darf auch weinen“

„Hospizgruppe-Gehörlose Unterfranken“ besucht gehörlose und hörgeschädigte Kranke und Sterbende – Kommunikation in Gebärdensprache – Ökumenische Gruppe vor 17 Jahren gegründet

Würzburg (POW) Die Sonne scheint hell und warm durch die orangeroten, transparenten Vorhänge ins Zimmer. Durch ein geöffnetes Fenster sind Rufe und das Lachen spielender Kinder aus dem Kindergarten Marienheim zu hören. Doris Ehrenreich, gehörlose Hospizbegleiterin, besucht Renate* Beck, eine gehörlose Bewohnerin, im Würzburger Caritas-Marienheim. Das Lächeln und die wachen Augen der Dame zeigen, wie sehr sie sich über den Besuch freut. „Die Stärke von uns Gehörlosen ist unsere Mimik. Wir können daran gut erkennen, wie es dem anderen geht, was er fühlt oder empfindet“, gebärdet die Hospizbegleiterin. Sie ist Mitbegründerin der ökumenischen „Hospizgruppe-Gehörlose Unterfranken“ und begleitet seit über 17 Jahren gehörlose sterbende Menschen. Denn „gerade beim Sterben will man unter Gleichgesinnten sein“, betont Pfarrer Horst Sauer, Gehörlosenseelsorger der evangelischen Gehörlosengemeinde Würzburg-Schweinfurt.

„Die gehörlosen Hospizbegleiter wissen als selbst Betroffene am besten, wie eine einfühlsame Begleitung von schwerkranken und sterbenden gehörlosen Menschen gut gelingen kann“, sagt Pastoralreferentin Claudia Walter, Diözesanbeauftragte für die katholische Hörgeschädigtenseelsorge des Bistums Würzburg. Gemeinsam mit Gudrun Heid, Hospizbeauftragte für die „Hospizgruppe-Gehörlose Unterfranken“, und Pfarrer Sauer begleitet sie als Seelsorgerin die gehörlosen Hospizbegleiter organisatorisch und seelsorglich. Etwa fünf Mal im Jahr trifft sich die Gruppe, um sich über Erfahrungen auszutauschen und zu reflektieren. Zudem werden im Rahmen dieser Praxisreflexion aktuelle Themen der Hospizarbeit besprochen, wie beispielsweise „Demenz bei Sterbenden“ oder „Rituale beim Sterben“. Etwa 250 Besuche leisten die sieben gehörlosen Hospizbegleiter im Jahr. „Die Begleitung eines gehörlosen Kranken oder Sterbenden durch eine hörende Person wäre lange nicht so intensiv, weil keine Identifikation stattfände“, erklärt Heid.

Wenn Ehrenreich Renate Beck besucht, nimmt sie Fotos oder eine der Porzellanfiguren aus dem Regal. Die schlichten Möbel des Heims hat Beck durch persönliche Möbel und Dekoration ergänzt. An den Wänden hängen Fotos, auf dem Tisch stehen Blumen aus Plastik und ein Porzellanengel. Bunte Porzellanhasen, Schokonikoläuse und Puppen sitzen nebeneinander im Regal. Die Gegenstände dienen Ehrenreich als Motivation und Anhaltspunkt zur Kommunikation. Auch, um etwas über Becks Gedanken und Wünsche herauszufinden. Die alte Dame richtet ihre Augen aufmerksam auf ihre Besucherin. Ob sie versteht, was Ehrenreich gebärdet, ist nicht klar erkennbar. Beck ist dement. Das lässt sich die Hospizbegleiterin aber nicht anmerken. Sie geht auf jedes Lächeln, jede Hand- oder Kopfbewegung ein. „Ich besuche Frau Beck schon lange, daher kann ich erahnen, was sie erzählen möchte und was sie bewegt“, erklärt Ehrenreich. Wichtig bei der Kommunikation seien vor allem körperliche Nähe und Berührungen. Die Hospizbegleiterin hält Becks Hand und streicht ihr über die Wange – Gesten, die unmissverständlich und direkt sind.

In Deutschland leben laut Deutscher Gesellschaft für Hörgeschädigte etwa 300.000 hörgeschädigte Menschen, darunter 80.000 Gehörlose. Sie kommunizieren mit der Deutschen Gebärdensprache (DGS), die seit 2002 anerkannt ist. Wie in der deutschen Lautsprache gibt es in der DGS Vokabeln, eine klar definierte Grammatik – und Dialekte. „Bei der DGS gibt es regionale Unterschiede. Es geht um ein exaktes Zusammenspiel aus Mundbild, Mimik und Gestik“, sagt Pfarrer Sauer. Die Gehörlosengemeinschaft in Unterfranken sei nicht so groß. „Ich habe zwar hörende Bekannte, aber meine engsten Freunde sind gehörlos – die sind wie ich“, gebärdet Ehrenreich. „Als ich Kind war, gab es da, wo ich wohnte, keine extra Schule für Gehörlose. Man hat uns verboten zu gebärden. Man hat gesagt ‚Gebärdensprache ist Affensprache‘. Aber Gebärdensprache ist unsere Muttersprache!“ Ihr Mann und ihre beiden erwachsenen Kinder sind hörend. Da Ehrenreich erst im Alter von elf Jahren an den Folgen einer Hirnhautentzündung ertaubt ist, ist ihre Lautsprache gut verständlich.

Wie sie mit der Trauer der Sterbenden und ihrer Angehörigen umgehen, werden die Hospizbegleiter oft gefragt. Erna Kübert, ehrenamtliche gehörlose Hospizbegleiterin aus Karlstadt, ist dankbar für den Halt, den die Gruppentreffen ihr geben. „Bei meinen ersten Begleitungen war ich unsicher. Aber mit der Gruppe habe ich mehr Kraft und Mut bekommen, um auf Sterbende zuzugehen.“ Sie hat ihr Gehör verloren, als sie 13 Jahre alt war. Oft habe sie sich ausgeschlossen gefühlt. Doch mithilfe der Gehörlosengemeinschaft und der katholischen Gehörlosenseelsorge habe sie neuen Mut geschöpft. „Ich weiß jetzt: Die Hörenden haben auch ihre Probleme.“ Margrit Bielefeldt ist erst seit ein paar Monaten Mitglied der Gruppe. Durch die Gespräche mit Pfarrer Sauer und den anderen Hospizbegleitern weiß sie: „Man darf auch weinen. Man darf das, was das Herz belastet, zulassen.“ Auch Walter und Ehrenreich haben für sich herausgefunden, wie man die ehrenamtliche Hospizarbeit schafft: „Wer das Leben liebt und einen Sinn in ihm sieht, kann andere Menschen beim Sterben begleiten.“

Stichwort: „Hospizgruppe-Gehörlose Unterfranken“

Die „Hospizgruppe-Gehörlose Unterfranken“ wurde 2001 von Doris Ehrenreich (katholische Gehörlosengemeinschaft Würzburg) und Gerlinde Koch (evangelische Gehörlosengemeinschaft Würzburg) initiiert. Sie hatten die Erfahrung gemacht, dass schwerkranke und sterbende Gehörlose häufig zu wenig Begleitung erfahren und isoliert sind, da Hilfs- und Pflegedienste oft keine Gebärdensprache beherrschen. Bestärkt von Diakon Lothar Taube, dem damaligen evangelischen Gehörlosenseelsorger, und Monsignore Pfarrer Karl Weber, damals katholischer Hörgeschädigtenseelsorger der Diözese Würzburg, entstand 2001 die „Hospizgruppe-Gehörlose Unterfranken“. Wolfgang Engert, der damals Hospizbeauftragter der Diözese Würzburg und Vorstandsmitglied im Hospizverein Würzburg war, übernahm die Ausbildung der Hospizbegleiter. Die Kosten wurden von der Diözese Würzburg getragen. Die sieben ehrenamtlichen Hospizbegleiter und ‑begleiterinnen sind gehörlos und kommunizieren in Gebärdensprache. Sie besuchen die Betroffenen zuhause, im Pflege- und Seniorenheim sowie auf Palliativstationen. Die Hospizgruppe wurde im November 2016 mit dem „Bürgersozialpreis der Stadt Würzburg“ ausgezeichnet. Unter dem Motto „Leben in Würde bis zuletzt“ sind Pastoralreferentin Gudrun Heid, Hospizbeauftragte der „Hospizgruppe-Gehörlose Unterfranken“, Pastoralreferentin Claudia Walter, Diözesanbeauftragte für die katholische Hörgeschädigtenseelsorge, und Pfarrer Horst Sauer, evangelischer Gehörlosenseelsorger für Würzburg-Schweinfurt, für die seelsorgliche und organisatorische Betreuung der ökumenischen „Hospizgruppe-Gehörlose Unterfranken“ zuständig.

*Vorname von der Redaktion geändert.

ch (POW)

(0918/0206; E-Mail voraus)

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