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Dokumentation

Maria – unsere Hoffnung und Trösterin

Predigt von Bischof Dr. Franz Jung beim Gottesdienst auf dem Maria Ehrenberg am Sonntag, 11. September 2022

„Maria unsere Hoffnung und Trösterin“ – was für ein wunderbares Motto für das Jubiläumsjahr dieses Wallfahrtsortes Maria Ehrenberg, an dem seit 500 Jahren die Mutter der Barmherzigkeit angerufen wird.

Schon bei meinem ersten Besuch 2018 beeindruckte mich besonders die große Freitreppe, die 254 Stufen zur Wallfahrtskirche hinaufführt und die ich damals bewusst zu Fuß hinaufgegangen bin. Die Treppe ist ein wunderbares Bild für die Hoffnung und den Trost, den die Gottesmutter uns als Gläubigen und der Kirche im Ganzen vermittelt –, gerade heute, an dem Tag, an dem wir ihrer Geburt gedenken.

Die Freitreppe als Sinnbild für den Stammbaum Jesu aus dem Evangelium

Das Festevangelium von Mariä Geburt legt uns den Stammbaum Jesu vor. Ausgehend von Abraham, dem Vater des Glaubens, verfolgt der Evangelist Matthäus die Geschlechterabfolge bis hin zu Josef, dem Mann Mariens, aus der der Messias geboren wurde. Dieser Stammbaum, sagt der Kirchenvater Rupert von Deutz im 12. Jahrhundert, ist einer Himmelsleiter vergleichbar. Denn er führt aus dem Dunkel der Geschichte hin zum Licht des Messias. Er ist wie diese Treppe hier, unsere Himmelsleiter auf den Ehrenberg, die von den Niederungen hinaufführt auf den Gipfel des Berges zur Begegnung mit dem lebendigen Gott.

Im Blick auf das glückliche Ende, die Geburt des Messias, kann man den Stammbaum sicher als Himmelsleiter betrachten. Wenn man aber seine einzelnen Glieder anschaut, ahnt man, dass nicht immer klar war, dass diese Geschlechterabfolge wirklich dem Heil dient und zum Himmel führt.

In diesem Stammbaum finden sich nämlich nicht nur heiligmäßige Menschen und Gottsucher, sondern auch sehr fehlbare Menschen, Ungläubige, Mörder und Ehebrecher.

So ist es auch im Blick auf die Ahnentafel in unserem eigenen Leben. Da gibt es nicht nur Lichtgestalten, sondern oftmals auch viel Ungeklärtes und Unerlöstes. Und so ist es auch in der Kirche. Es gibt nicht nur die Kirche der Heiligen, sondern auch die Kirche der Sünder. Und alle gehören zusammen, auch wenn wir gerne auf eine tadellose Vergangenheit zurückblicken würden und stolz auf eine ruhmreiche Vergangenheit verweisen möchten.

Dem ist nicht so. Und das ist gut so. Denn es erinnert uns wie der Stammbaum daran, dass im Leben nicht immer alles glatt läuft. Das erfahren wir jetzt in der Kirchenkrise unserer Tage. Wir erleben, wie das, was vermeintlich gut war, sich bei näherem Hinsehen und unter einem neuen Blickwinkel als weniger gut entpuppt oder sogar als etwas, was kriminell war und dessen man sich heute schämt. Deshalb ist es gut, diesen Stammbaum und diese Himmelsleiter offen und einsehbar stehen zu lassen und sie nicht zu bereinigen oder aufzuhübschen. Nein, auch das Dunkle gehört dazu. Aber das heutige Fest der Geburt Mariens erinnert uns daran, dass auch aus dem, was nicht gut war, Gutes entstehen und wachsen und heranreifen kann.

Wir stehen auf dieser Treppe wie in einer großen Generationenfolge. An uns ist es, den Weg zum Heil positiv zu gestalten und uns nach allen Kräften zu bemühen, die Unheilsgeschichte in eine Heilsgeschichte zu verwandeln, so wie wir es bei den Beratungen des Synodalen Wegs die vergangenen Tage gemacht haben. Maria, der Mensch, der aus Gott geboren ist, hilft uns dabei.

Auf dem Weg zum Himmel nicht stehen bleiben

Die 254 Stufen wollen aber erst einmal erklommen sein. Da kann einem schon einmal die Puste ausgehen. Wenn man hinaufblickt, kann einen auch das dumpfe Gefühl überkommen, das schaff ich nie, das traue ich mir nicht mehr zu.

Auch das kennen wir auf unserem Lebens- und Glaubensweg. Es geht nicht immer vorwärts. Manchmal wollen und dürfen wir verschnaufen, vor allem wenn wir eine wichtige Etappe im Leben erreicht haben. Aber stehen bleiben sollen wir nicht.

Natürlich gibt es Momente der Ratlosigkeit und der Verzweiflung, in denen wir nicht mehr weiterwissen. Es gibt Verwundungen im Leben und Schmerzen, die uns glauben lassen, es ginge nicht mehr weiter.

Die Gottesmutter kennt diese Momente der Ratlosigkeit. Als Simeon ihr weissagt, dass ein Schwert durch ihr Herz dringen wird und sie förmlich zusammenzuckt und erstarrt. Als der zwölfjährige Jesus ihr sagt, dass er eigentlich in das Haus des himmlischen Vaters gehört und nicht nach Nazareth. Als Jesus geradezu provokant darauf verweist, dass seine Mutter und Brüder nicht seine leiblichen Eltern und Verwandten seien, sondern nur die, die den Willen Gottes erfüllen.

Wir können uns lebhaft vorstellen, wie sie auf ihrem Glaubensweg stehenbleibt, verwirrt, enttäuscht und ratlos. Aber Maria geht trotzdem weiter. Sie ist aus Gott geboren. So glaubt sie an seine Führung im Heiligen Geist. Gerade weil sie aus Gott geboren ist, weiß sie, dass seine Gedanken nicht unsere Gedanken sind. Sie vertraut darauf, dass sich im Leben vieles erst später klärt und wir vieles erst später verstehen, ohne deshalb zu verzweifeln.

Maria lässt sich ins Weite hinausführen, weil sie sich als neuer Mensch Gott vorbehaltlos anvertraut.

Auf dem Weg zum Himmel nicht rückwärtsgehen

Stehen bleiben ist das eine. Noch schlimmer aber ist das andere: Rückwärtsgehen. Beides gehört zusammen. Denn wer keine Fortschritte macht im Leben, der tritt nicht einfach auf der Stelle. In Wirklichkeit geht er rückwärts. Denn die Welt um ihr herum schreitet voran. Wer stehen bleibt, der fällt zurück.

Das geschieht immer dann, wenn Menschen sich der Wirklichkeit verschließen.

Wirklichkeitsverlust tritt ein, indem man der Vergangenheit verhaftet bleibt, mehr zurückschaut auf das, was war, als nach vorne zu blicken und sich mutig den Herausforderungen der Zukunft zu stellen.

Wirklichkeitsverlust tritt ein, wenn Menschen Probleme aussitzen und totschweigen in der irrigen Annahme, es würde sich alles irgendwie von selbst erledigen.

Wirklichkeitsverlust tritt ein, wenn man nötige Klärungen verschiebt, wichtige Entscheidungen vertagt, schwierigen Gesprächen aus dem Weg geht.

Die Macht der Bequemlichkeit und der Trägheit hält uns bisweilen gefangen und verhindert, dass wir mutig ausschreiten auf dem Weg.

Maria als Mensch, der aus Gott geboren ist, hat keine Angst vor der Wahrheit. Sie stellt sich mutig den Herausforderungen ihres Lebens. Selbst unter dem Kreuz bleibt sie stehen und harrt aus, ohne wegzulaufen. Sie weiß, dass die Wahrheit wehtun kann. Sie weiß aber auch, dass nur der weiter voranschreitet, der die Wahrheit annimmt.

Nur so erfährt sie durch das Leid hindurch die Macht der Auferstehung Jesu, der die Wahrheit in Person ist und uns mitten im Tod das Leben erschließt. Mit diesem Jesus geht Maria immer vorwärts und nie zurück.

Man steigt die Himmelsleiter auf, indem man absteigt

Auf der Himmelsleiter steigt man auf, indem man herabsteigt. So sieht es zumindest der Heilige Benedikt in seiner Regel. Im Kapitel über die Demut nimmt Benedikt Bezug auf das paradoxe Wort Jesu: „Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden und wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden“ (Lk 14,11). Nur der demütige Mensch, der sich vor Gott klein macht, steigt auf der Himmelsleiter empor.

Das gilt vor allem von Maria selbst. Sie preist in ihrem Loblied die Größe des Herrn, der auf die Niedrigkeit seiner Magd herabschaut (Lk 1,48). Gott setzt auf die, die alles von ihm erwarten. Die Großes vollbringen, weil sie auf seine Macht vertrauen und deshalb vor den Mächtigen der Erde nicht kuschen. Die sich nicht auf ihren irdischen Besitz verlassen, sondern auf den Reichtum seiner Gnade. Die sich nicht abspeisen lassen mit Minderwertigem, sondern den Hunger und den Durst nach Gottes Gerechtigkeit wachhalten.

Die Demütigen sind keine Duckmäuser und Angsthasen. Die wahrhaft Demütigen trauen sich vielmehr Großes zu, weil sie sich nicht von den irdischen Grenzen und Begrenztheiten entmutigen lassen. Sie glauben fest daran, dass für Gott nichts unmöglich ist. Aus dieser festen Überzeugung öffnet sich auch Maria Gott, so dass das Unmögliche geschieht: Sie trägt den Messias in die Welt, der die irdischen Grenzen sprengt und uns das Leben Gottes verheißt. Die Demütige steigt hinauf. Ja, sie wird selbst zur wahren Himmelsleiter, wie sie der Hymnos Akathistos der Ostkirche besingt.

„Suchst du Trost in bangen Stunden, geh zum heil’gen Berg hinauf. Wo so viele Trost gefunden, nimmt auch dich Maria auf.“

Dieses ermutigende Wort steht auf dem Sockel der ersten Marienfigur auf der Treppe, der Himmelsleiter, die zu Maria Ehrenberg emporführt. Unser Leben aus dem Glauben ist wie ein Gehen auf dieser Himmelsleiter. Sie erinnert uns an unsere Heils- und Unheilsgeschichte wie der Stammbaum Jesu. Zugleich ermutigt sie uns, nicht zu verzagen trotz der dunklen Flecken in unserer Biographie und im Leben der Kirche. Die Himmelsleiter lädt uns dazu ein, nicht stehen zu bleiben. Sie mahnt uns aber auch, nicht rückwärts zu gehen. Auf der Himmelsleiter schreiten die aus, die sich vor Gott klein machen. Wer vor ihm sich erniedrigt, wird von ihm erhöht werden.

Am Ende der Leiter winkt die Zuversicht, Gott schauen zu dürfen. Das wunderbare Gnadenbild auf Maria Ehrenberg stellt uns deshalb Maria vor Augen, die auf Christus verweist. Maria wird zur Himmelsleiter, die dem den Weg bereitet, der Himmel und Erde in seiner Person miteinander vereint. Am Fest ihrer Geburt bitten wir sie heute inniglich, dass auch wir im Glauben neu geboren werden, um auf ihre Fürsprache die Himmelsleiter zum Heil erklimmen zu können. Amen.